- Politik
- Sudan
»Wir wollen keine halbe Revolution«
Adam Bahar, geflüchteter Aktivist aus dem Sudan, über die Rolle von Frauen und Queers in der Bewegung und wie es mit den Massenprotesten jetzt weiter geht.
Herr Bahar, am Montag hat die Protestbewegung die Gespräche mit dem Militärrat abgebrochen, der nach monatelangen Protesten am 11. April den Langzeitherrscher Omar al-Baschir abgesetzt hatte. In den Gesprächen ging es darum, eine Übergangsregierung zu bilden. Warum wurden sie vorzeitig beendet?
An den Gesprächen waren auch Parteien beteiligt, die zuvor vom Diktator unterstützt wurden. Al-Baschir hatte sie finanziert, um seine Herrschaft zu legitimieren. Sie vertreten teilweise eine ähnliche Ideologie wie die Muslim Brüder, wollen zum Beispiel die Rechte der Frauen einschränken. Bis zum 11. April waren sie noch Teil der Regierung, jetzt nennen sie sich Opposition. Deshalb hat die Bewegung kein Vertrauen.
Das Militär will diese alte Struktur beibehalten, weil sie davon profitieren. Wir wollen aber keine halbe Revolution. Wir wollen im Sudan eine ganz neue, zivile Regierung aufbauen. Wir wollen eine neue Verfassung und wir wollen auch, dass diejenigen, die Teil von al-Baschirs Regierung waren, vor Gericht kommen. All das wird mit dem jetzigen Militärrat nicht möglich sein.
Wie geht es für die Protestbewegung nun weiter?
Die Straßenblockade vor dem Militärhauptquartier in der Hauptstadt Khartum, die bereits seit Wochen steht, wird fortgeführt. Heute ist ein Zug mit tausenden von Menschen aus Atbara eingetroffen, um sie zu unterstützen. Es ist ein weiterer Millionen-Marsch angekündigt. Am Donnerstag will die Sudanese Professional Association (Sudanesische Berufstätigenvereinigung, eine Gewerkschaft, die eine zentrale Rolle bei den Protesten spielt, anm. d. Red.) zusammen mit den Oppositionsparteien und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen selbst eine Regierung benennen.
Kürzlich ging ein Video viral, in dem eine junge Frau von einem Autodach aus laut die Protestierenden animiert, immer wieder heißt es, Frauen würden bei den Protesten eine zentrale Rolle spielen. Wie kommt das?
Frauen hatten immer eine wichtige Position in der sudanesischen Gesellschaft, haben die gleichen Arbeiten gemacht wie die Männer und hatten viele Freiheiten. Al-Baschir hat versucht Frauenrechte einzuschränken, 2002 zum Beispiel wurden frauenfeindliche Gesetze erlassen, gegen die viele Frauen protestiert haben. Dadurch waren sie bereits gut organisiert und hatten ihre eigenen autonomen Strukturen, bevor die Revolution losging. Das hilft der Revolution und es bringt auch die Debatte über Frauenrechte und LGBTIQ*-Rechte innerhalb der Bewegung voran.
Es gab im Sudan natürlich schon immer queere Menschen, aber jetzt sind sie viel sichtbarer, auch in den sozialen Netzwerken. Zum 8. März haben Frauen dazu aufgerufen, sich in weiß zu kleiden und unseren traditionellen Schmuck zu tragen. Das ist ein Symbol für starke, gut ausgebildete Frauen und erinnert auch an die antiken nubischen Königinnen. Ein schwuler Mann hat sich ebenfalls traditionelle weiße Frauenkleider angezogen und Fotos davon in die sozialen Netzwerke gestellt.
Daraufhin gab es eine Diskussion: Einige waren der Meinung, er solle als Mann keine Kleider tragen. Viele haben sich aber solidarisch gezeigt und gesagt, wir bauen einen neuen Sudan auf mit Freiheit für alle Menschen. Das heißt, auch dieser Mann darf Frauenkleider tragen. Die Revolution hat schon jetzt viel verändert, nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene.
Die Regierung al-Baschirs hat im Rahmen des Khartoum-Prozesses auch Geld von der EU für ein Anti-Migrations-Abkommen erhalten. Immer wieder kam es im Sudan zu schweren Menschenrechtsverletzungen an Flüchtenden. Was bedeutet der Sturz al-Baschirs für flüchtende Menschen?
Leider nicht viel. Für viele der Menschenrechtsverletzungen ist die Miliz RSF (»Rapid Support Forces«) verantwortlich. Ihr Kommandeur ist General Muhammad Hamiti. Unter der neuen Militärregierung ist er der zweite Mann im Staat. Al-Baschir ist weg aber an der Struktur hat sich wenig geändert.
Wie unterstützt du von Deutschland aus die Revolution im Sudan?
Wir sudanesische Menschen in Europa wollen Gerechtigkeit. Wir haben gesehen, wie 30.000 Menschen unter dem Regime ermordet wurden. Wir wollen, dass al-Baschir vor den internationalen Gerichtshof kommt, dafür haben wir eine Kampagne gestartet.
Seit ich 2012 nach Deutschland gekommen bin, habe ich immer von hier aus die Revolution unterstützt. Wir haben Infoveranstaltungen gemacht, um über die Situation im Sudan aufzuklären und Demos vor der Botschaft organisiert. Im Moment übersetzen wir viel von dem, was in den sozialen Netzwerken passiert ins Englische und veröffentlichen es auf unserer Facebook-Seite »Sudan Uprising Germany«. Als die Regierung die sozialen Medien zwischenzeitlich abgeschaltet hatte, haben wir auch viele Videos, die wir privat zugeschickt bekommen haben, von hier aus hochgeladen.
Wie sollte sich deiner Meinung nach die EU jetzt gegenüber den Umbrüchen im Sudan verhalten?
Die EU sollte mehr Druck auf die Militärregierung ausüben, den Platz für eine zivile Regierung frei zu machen. Außerdem sollte sie die Menschen im Sudan unterstützen, nicht die Regierung. In den letzten vier Monaten, in denen die Menschen protestiert haben, hat sich hier niemand dafür interessiert. Die Bevölkerung hat die meiste Arbeit bereits alleine gemacht. Trotzdem gibt es im Sudan seit 30 Jahren keine Demokratie, die Zivilgesellschaft braucht dringend Unterstützung, um ihre eigene Stärke aufzubauen. Wenn es dem Sudan besser geht, braucht auch niemand von dort zu fliehen, ich würde auch zurück gehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.