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Lisa Poettinger wehrt sich gegen drohendes Berufsverbot
Im Kampf für ihre Zukunft als Lehrerin setzt Lisa Poettinger auf Öffentlichkeit und juristische Gegenwehr. Andere haben Angst
Lisa Poettinger selbst wirkt an diesem Freitag nicht eingeschüchtert, als sie über ihr drohendes faktisches Berufsverbot wegen Kapitalismuskritik im Zusammenhang mit der Klimakrise spricht. Die Solidaritätswelle sei überwältigend, deshalb könne sie mit geradem Rücken hier sitzen, sagt die angehende Lehrerin an diesem Freitag bei der Pressekonferenz im Münchner Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Ihr politisches Engagement werde sie nicht einstellen, betont sie auf Nachfrage.
Ein ehemaliger Schulfreund habe ihr aber geschrieben, dass er gerne eine Solidaritätserklärung unterzeichnen würde und dies nicht tue, weil er Angst habe, aus dem Referendariat zu fliegen. Dies zeige den »krassen Eingriff in die Meinungsfreiheit«.
Zudem sei der Kapitalismus nirgendwo in der Verfassung festgeschrieben, weist die 28-Jährige die Begründung des bayerischen Kultusministeriums für ihre angekündigte Nichtzulassung als Referendarin zurück. »Kapitalismus ist nicht Demokratie.« Im Gegenteil: Nach Artikel 151 der Bayerischen Verfassung müsse die Wirtschaft dem Gemeinwohl dienen und ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen.
Gestört hatte sich das Kultusministerium an einer Aussage der Klimaaktivistin über die Internationale Automobil-Ausstellung in München, die als »Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima« bezeichnet hatte. Hinzu kam die Teilnahme am Antikapitalistischen Klimatreffen München, das inzwischen vom bayerischen Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird.
Nun hat das Kultusministerium zwar verlauten lassen, Lisa Poettingers Fall befinde sich noch im Anhörungsstadium und sei nicht endgültig entschieden. Allerdings sollte ihr Referendariat, der Vorbereitungsdienst für das Lehramt nach erfolgreichem Studium, schon am 17. Februar beginnen. Zweieinhalb Wochen vorher noch nicht zu wissen, ob sie diesen Teil ihrer Ausbildung absolvieren darf, sei ein Unding, sagt ihre Anwältin Adelheid Rupp, eine frühere SPD-Politikerin.
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Als solche verweist Rupp auch auf das Hamburger Programm der heutigen Kanzlerpartei von 2007. Darin ist von »der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus« die Rede. Dazu bekenne sich also nicht nur die Partei Die Linke, der ihre Mandantin angehört. »Auch die Sozialdemokratie strebt das Ziel demokratischer Sozialismus an.« Dies sei »keine sektiererische Haltung«, so Rupp.
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, habe gesagt, Markt und Wirtschaft seien nie rational gewesen – außer mit Blick auf die eigene Profitmaximierung mit allen legalen und halblegalen Mitteln.
Zu zwei Strafverfahren, die gegen ihre Mandantin laufen, will sich Rupp im Detail nicht äußern, verweist auf die Unschuldsvermutung und geht davon aus, dass selbst im Fall einer Verurteilung das Strafmaß unter 90 Tagessätzen und somit nicht relevant für die berufliche Zukunft wäre.
In einem Fall wird ihr die Beschädigung eines AfD-Plakats in München vorgeworfen, im anderen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beim Protest gegen die Räumung des Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier.
Neben ihrer Anwältin, der Gewerkschaftssekretärin Siri Schultze (GEW) und Charlie Settie vom Antikapitalistischen Klimatreffen sitzt Ruben Hagspiel als Vertreter der Elterninitiative des Waldkindergartens, in dem Lisa Poettinger arbeitet, mit ihr auf dem Podium. Hagspiel nennt sie ein »leuchtendes Vorbild für die Werte, die wir unseren Kindern vermitteln wollen«, Schultze stellt klar, dass die GEW ihr Rechtsschutz gewähren wird.
Der Kommunist und Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger moderiert hier nicht nur, er spricht auch als ehemals Betroffener: Der bayerische Verfassungsschutz hatte 2016 gegen seine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni München interveniert und diese um Monate verzögert.
Politisch motivierte Berufsverbote seien ein »Werkzeug aus der Mottenkiste des kalten Krieges« und »Ausdruck einer autoritären Wende, der es entschieden entgegenzutreten gilt«, sagt Schamberger.
Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) hat laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks erklärt: »Wir wollen weder Kommunisten noch Nazis in unseren Schulen.«
Sollte es zu einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht kommen, sieht Rechtsanwältin Rupp gute Chancen, die Bayerische Staatsregierung zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu zwingen: »Der Papst dürfte in Bayern nicht Lehrer werden«, sagt sie. Das katholische Kirchenoberhaupt hatte das kapitalistische Wirtschaftssystem schon vor Jahren als »unerträglich« und als Ursache für Kriege bezeichnet.
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