Brutale Abschiebungen aus Leipzig und Osnabrück

Familie in Sachsen auseinandergerissen, Suizidgefährdeter aus Klinik heraus nach Gambia »rückgeführt«

  • Yaro Allisat, Jana Frielinghaus
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch für abgelehnte Asylbewerber, die nur »geduldet« sind, gilt laut den Richtlinien der Länder theoretisch der Grundsatz, dass Familien nicht durch eine Abschiebung getrennt werden dürfen.
Auch für abgelehnte Asylbewerber, die nur »geduldet« sind, gilt laut den Richtlinien der Länder theoretisch der Grundsatz, dass Familien nicht durch eine Abschiebung getrennt werden dürfen.

Die aufgeheizte Asyldebatte führt immer wieder zu besonders brutalen Abschiebungen, die Bundesländer vermelden stolz die gestiegene Zahl in EU-Staaten oder ihre Herkunftsländer »rückgeführter« Menschen. Am Freitag berichteten gleich zwei Flüchtlingsräte über Vorfälle, die sich in dieser Woche ereignet hatten. In Leipzig wurde eine Familie getrennt, nur die wegen schwerer Erkrankung nicht reisefähige Mutter wurde nicht nach Georgien gebracht. Im niedersächsischen Osnabrück wurde ein Gambier, der sich wegen einer schweren psychischen Krise in eine Klinik hatte einweisen lassen, aus dem Krankenhaus geholt und abgeschoben.

Zum Fall in Leipzig erklärte der Sächsische Flüchtlingsrat am Freitag, in der Nacht zum Dienstag habe die Polizei die Familie G. getrennt und den Vater mit den beiden Kindern, zehn und sechs Jahre alt, nach Georgien abgeschoben. Die Mutter Nino G., die aufgrund eines Hirntumors nicht reisefähig ist, sei noch in Leipzig.

Die Eltern, die seit drei Jahren mit ihren Kindern in Leipzig in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber lebten, hörten am späten Montagabend, wie plötzlich die Tür ihres Zimmers vom Sicherheitspersonal der Einrichtung abgeschlossen wurde. »Kurz danach standen Polizisten in unserem Zimmer und wollten uns alle abschieben«, berichtete Frau G. dem Flüchtlingsrat. Nino G. wurde in ein Krankenhaus gefahren, das ihre Reiseunfähigkeit bestätigte. Daraufhin entschieden die Beamten, Vater und Kinder trotzdem abzuschieben. Deren Flugzeug nach Tiflis startete am Dienstagmittag in Berlin.

»Eine schwerkranke Mutter von ihren Kindern zu trennen, ist eine völlig neue Dimension von Brutalität bei Abschiebungen.«

Dave Schmidtke Sächsischer Flüchtlingsrat

Ein Leipziger Migrationsrechtsanwalt hat sich nach nd-Informationen der Sache angenommen, um im besten Fall anerkennen zu lassen, dass die Abschiebung rechtswidrig war und die Familie nach Deutschland zurückgeholt werden muss. Dies kann jedoch Monate dauern.

Das Behördenhandeln widerspreche dem sächsischen »Leitfaden zur Rückführungspraxis«, moniert der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR). Danach sind Abschiebungen von Familien in der Nacht, von Schwerkranken und Familientrennungen untersagt. Der Leitfaden ist jedoch nicht rechtlich bindend. Der SFR fordert, die Richtlinie in geltendes Recht zu überführt. Familientrennungen seien darüber hinaus grundgesetzwidrig, meint der Verein.

»Eine schwerkranke Mutter von ihren Kindern zu trennen, ist eine völlig neue Dimension von Brutalität bei Abschiebungen«, sagt Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat zu »nd«. »Zugleich werden viele Anträge auf Aufenthaltstitel für Langzeitgeduldete abgelehnt.« Die Langzeitduldung ist für viele Menschen eine Sackgasse. Sie müssen nach einer Gesetzesänderung im vergangenen Jahr in den ersten drei Jahren mit dem niedrigsten Maß an gesundheitlicher Versorgung auskommen, dürfen den Wohnort nicht frei wählen und sehr oft nicht arbeiten oder eine Ausbildung machen.

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Georgien wurde vom Bundestag als sogenanntes sicheres Herkunftsland eingestuft, weshalb Asylanträge von Bürgern des Landes standardmäßig abgelehnt werden. Dabei gehören dort Armut und Korruption, Femizide, geschlechtsspezifische Gewalt und Propaganda gegen Menschen, die sich nicht in traditionelle Geschlechterrollen einpassen, zum Alltag.

Auch unter Venezolanern wachse die Angst vor Abschiebungen, allein dieses Jahr habe es bereits drei Rückführungen aus Sachsen gegeben, sagt Schmidtke. Er hofft aber, das der Fall der Familie G. Menschen aufrüttelt: »Vielleicht wird dann mal klar, wohin diese Abschiebungsdebatten am Ende führen.«

Derweil hat die Leipziger Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) aufgefordert, zu dem Vorgang Stellung zu nehmen. Der aktuelle Fall sei »skandalös und verletzt eindeutig den grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie«, erklärte Nagel am Freitag. Der Minister müsse sich auch dazu erklären, »weshalb Abschiebehindernisse nicht rechtzeitig erkannt oder warum sie ignoriert wurden«. Es müsse dringend geprüft werden, »wie die Familie wieder vereint werden kann«. Die Abschiebung der engsten Angehörigen dürfe zugleich »nicht dazu missbraucht werden, eine freiwillige Ausreise zu erpressen«, so Nagel mit Blick auf die Lage von Nino G.

Derweil erklärte Sachsens Landesdirektion für Asyl und Ausländerrecht gegenüber der Nachrichtenagentur dpa am Freitagnachmittag, man habe im Einklang mit dem Leitfaden gehandelt. Die Familie sei »vollziehbar ausreisepflichtig« gewesen, die Mutter habe die Möglichkeit gehabt »freiwillig« mitzureisen. 2023 und 2024 seien bereits zwei Abschiebeversuche gescheitert, weil die Georgier nicht angetroffen worden seien. Zwei freiwillige Ausreisen, die organisiert und finanziert gewesen wären, habe die Familie nicht angetreten. »Das Vorliegen eines Hirntumors wurde bis heute gegenüber der Landesdirektion weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht«, teilte die Behörde weiter mit.

Von einem weiteren dramatischen Fall berichtete am Freitag der Flüchtlingsrat Niedersachsen. Demnach wurde am Dienstag aus der psychiatrischen Klinik des Ameos-Konzerns in Osnabrück ein Mann nach Gambia abgeschoben. Dabei sei durch die von der Ausländerbehörde zur Amtshilfe eingesetzten Polizisten massive körperliche Gewalt gegen den Betroffenen, Lame K., angewendet worden. Zeug*innen der Initiative No Lager Osnabrück berichteten, der Mann sei an Händen und Füßen gefesselt worden. Ein Beamter habe ihm sein Knie auf Kopf und Hals gedrückt.

Erst drei Tage zuvor hatte sich der 34-Jährige laut Flüchtlingsrat auf Bitten seines Umfelds in die Klinik einweisen lassen, weil er sich in einer schweren psychischen Krise befand. Am 13. Januar war Lame K. in Abschiebungshaft genommen, eine Woche später aber aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts Osnabrück wieder entlassen worden.

Der Flüchtlingsrat kritisiert die Abschiebung und die Rolle des Klinikbetreibers dabei scharf. Krankenhäuser müssten »Orte des Schutzes, der Fürsorge und der Heilung sein«. Das Ameos-Klinikum habe aber »den Vollzug der Abschiebung eines Schutzbefohlenen nicht nur augenscheinlich widerstandslos hingenommen, sondern sogar aktiv unterstützt«, so der Verein unter Berufung auf die anwesenden Zeug*innen. Klinikangehörige hätten tatenlos zugesehen, als ihr Patient »in einem Zustand von Panik und Verzweiflung auf dem Gelände der Klinik gewaltsam fixiert und gefesselt wurde«. Statt zu intervenieren, hätten sie »viel daran gesetzt«, Zeug*innen vom Geschehen »abzuschirmen«.

Muzaffer Öztürkyilmaz von der Geschäftsführung des Flüchtlingsrats Niedersachsen mahnte, es dürfe »niemals zum Normalzustand werden, dass ausreisepflichtige Personen und Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel gewalttätige Abschiebungen befürchten müssen, wenn sie sich in Momenten psychischer Krisen bis hin zu akuter Suizidalität in psychiatrische Kliniken begeben«. Das Ergebnis wäre »der faktische Ausschluss unzähliger Menschen aus dem Gesundheitssystem und eine Verschärfung der psychischen Notlagen«, so Öztürkyilmaz.

Er verwies darauf, dass Lame K. mit der Ausländerbehörde kooperiert und seinen Klinikaufenthalt dort gemeldet habe. Unter diesen Umständen zeuge der Vollzug der Abschiebung »von dem geradezu verbissenen Versuch, die Abschiebezahlen in die Höhe zu treiben«, moniert der Flüchtlingsrat.

Zwei Tage nach der Abschiebung demonstrierten rund 500 Menschen vor der Ausländerbehörde Osnabrück, um ihre Solidarität mit Lame K. und ihre Empörung über die Abschiebung auszudrücken. Seine »Rückführung« war nicht die erste aus dem Osnabrücker Ameos-Klinikum. Bereits im März 2023 wurde ein Iraner, der sich wegen schwerer Suizidalität in Behandlung begeben hatte, von dort in ein EU-Land abgeschoben.

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