Pedro Sánchez geht ins Risiko

Mit den Wahlen will Spaniens Premier trotz drohenden Rechtsrucks eine stabilere Minderheitsregierung erreichen

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Hindernis auf dem Weg, erneut spanischer Regierungschef zu werden, scheint der Sozialdemokrat Pedro Sánchez meistern zu können. Als er den Termin für vorgezogene Wahlen auf den 28. April festlegte, wurde befürchtet, dass sich die Nähe zu den Feiertagen negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken würde, was erfahrungsgemäß der Rechten nützt. Das zeigte sich vergangenen Dezember in der bevölkerungsreichsten Region Andalusien. Erstmals seit vier Jahrzehnten regieren dort deshalb die Sozialdemokraten (PSOE) nicht mehr.

Wahlen in Andalusien waren schon oft ein Fingerzeig für spanische Wahlen. In Sevilla lief es auf eine Koalition aus der rechtskonservativen Volkspartei (PP) und der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger/Cs) hinaus, die von der rechtsextremen VOX-Partei gestützt wird. VOX zog in Andalusien erstmals in ein Parlament ein. Die Befürchtung, dass sich das ultranationalistische und frauenfeindliche Bündnis auch spanienweit durchsetzen könnte, treibt Wähler in Scharen zur Briefwahl. Postämter sind überfordert, mehrfach musste der Wahlrat die Frist zur Einreichung der Unterlagen verlängern, zuletzt bis Freitagmittag.
Ein Querschnitt der Umfragen legt nahe, dass die PSOE die Wahlen gewinnen und Sánchez die bisher schwache Basis von 85 von 350 Abgeordneten im Parlament verbreitern kann.

Zuletzt hat er per Dekret noch etliche Sozialmaßnahmen beschlossen, um weitere Zustimmung zu erlangen. Mit etwa 29 Prozent statt zuvor knapp 23 Prozent soll die PSOE von 85 auf etwa 120 Sitze wachsen. Sie läge deutlich vor der PP. Die soll, wegen der Zersplitterung rechter und ultrarechter Stimmen, von gut 33 Prozent auf 20 Prozent abstürzen. Die Cs stagnieren und sollen nur noch leichte Zugewinne verbuchen und etwa 15 Prozent erhalten. Sie wollen der PP die Führung in der Rechten abnehmen, doch ihr Aufstieg wird von der ultrarechten VOX abgewürgt. Die kam in Andalusien auf knapp elf Prozent und soll landesweit ein ähnliches Ergebnis erreichen.

Nach den Umfragen, die in Spanien regelmäßig weit daneben liegen, soll es für eine Regierung nach andalusischem Vorbild nicht reichen. Sánchez hofft, dass sich ihm am Montag zwei Szenarien bieten und er auch mit den Cs eine Regierung bilden kann. Er umwirbt sie, obwohl deren Chef Albert Rivera ein Bündnis rundweg ablehnt. Schon nach den Wahlen 2015 – in Spanien wird zum dritten Mal in nur vier Jahren gewählt – hatte die PSOE ein Bündnis mit den Cs versucht, fand dafür aber keine Mehrheit.

Sehr ernst nimmt Sánchez den »Sperrgürtel« nicht, den Rivera um die PSOE gelegt hat, weil er angeblich mit den Katalanen paktiere. Die »Begnadigungen« der katalanischen Politiker, denen derzeit in Madrid der Prozess gemacht wird, habe er »schon auf der Stirn« stehen. Rivera ist aber dafür bekannt, dass er oft das Gegenteil seiner Versprechungen macht. Vor den Wahlen 2016 sagte er, dass er unter keinen Umständen die von Korruption zerfressene PP an die Macht bringen werde. Das Gegenteil war der Fall. Er versuchte noch im Juni 2018, Mariano Rajoy zu retten. Seine Partei schloss sich dem Misstrauensantrag von Pedro Sánchez nicht an, nachdem die PP im Mai 2018 wegen ihres »Korruptionssystems« vom Staatsgerichtshof verurteilt worden war. Rajoy wurde mit den Stimmen der Linkspartei Podemos (Wir können es) und von katalanischen sowie baskischen Parteien gestürzt. Dadurch übernahm Sánchez die Regierungsgeschäfte.

PSOE und Cs sind längst im Gespräch und Sánchez appelliert an die Verantwortung von Rivera. Er hält sich alle Türen offen, da klar ist, dass es für eine Mehrheit mit Podemos und der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) nicht reicht. Podemos ist in der Wählergunst abgestürzt. Die zerstrittene Partei, die sich vom basisdemokratischen Modell verabschiedet hat, ist längst kein Hoffnungsträger mehr. Für viele ist sie nur noch das kleinste Übel, da sie sich von vielen Positionen verabschiedet hat. Kam sie 2016 mit der Vereinten Linken (IU) noch auf gut 21 Prozent, sollen es nur noch 14 Prozent oder weniger werden.

Sánchez will nicht erneut im Bündnis mit Podemos auf die Stimmen katalanischer Unabhängigkeitsparteien angewiesen sein. Deshalb geht er den gefährlichen Weg, bei dem er am Sonntag die Macht auch verlieren könnte. Hätte er einen realen Dialog mit den Katalanen geführt, hätten die auch seinem Haushalt zugestimmt. Neuwahlen hätte es nicht gegeben. Wie der Chef der Republikanische Linken (ERC), per Videoschaltung aus dem Gefängnis, versichern die Katalanen mit Blick auf eine mögliche von VOX gestützte Rechtsregierung, man würde Sánchez erneut an die Regierung bringen. »Wir werden ihm aber keinen Blankoscheck ausstellen«, erklärt Oriol Junqueras aus dem Knast. Katalonien hält am Selbstbestimmungsrecht fest, fordert einen Dialog, in dem auch über ein Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild gesprochen wird.

Über eine Lösung der Katalonienfrage wurde in diesem Wahlkampf kaum gesprochen, auch mit ihnen in zwei TV-Runden nicht. Die Rechte lieferte sich dafür einen Wettkampf, wer härter mit Katalonien umspringen will. Sánchez konnte sich dagegen moderat zeigen. Dabei bietet aber auch er den Katalanen, auf deren Stimmen er wahrscheinlich erneut angewiesen sein wird, keine Lösungsvorschläge.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -