Mit Billhardt unterwegs in Vietnam
Der Fotograf zeigte den Lesern des »nd« seine zweite Heimat
Zehnmal war Thomas Billhardt während des Vietnamkriegs (1964-1975) als Fotoreporter im Land. Als 1979 die Vietnamesen den Kambodschanern halfen, sich vom mörderischen Pol-Pot-System zu befreien, das von China militärisch unterstützt wurde, war er wieder vor Ort. 21 Jahre später kehrte er mit seinen Kriegsfotos ins friedliche Vietnam zurück, um Überlebende ausfindig zu machen. Im März 2019 begleitete der bekannte DDR-Fotograf nun zwei nd-Leserreisegruppen für jeweils zehn Tage durch Vietnam. Mit Billhardt unterwegs sein, von seinen Kriegserinnerungen erfahren, das wollten viele - nicht alle konnten mitreisen.
Mit seiner Kamera, die lässig über seiner linken Schulter hängt, empfängt er uns in Hanoi, wo er kurz zuvor die erste Gruppe verabschiedet hat. Immer noch jederzeit bereit für den Augenblick, um sekundenschnell den Auslöser zu drücken. Nach symbolhaften Motiven sucht der 82-Jährige damals wie heute. Das Menschliche, sagt er, ist sein oberstes Prinzip.
Die Reise beginnt dort, wo die diesjährige endete. Von Da Nang, der Wirtschafts- und Hafenmetropole in der Mitte Vietnams, wird sie nach Hoi An führen, in ein pittoreskes Städtchen und Zentrum der vietnamesischen Schneiderkunst.
Nächste Station ist die Küstenstadt Quy Nhon. Bei europäischen Touristen noch relativ unbekannt, bietet sie authentische Einblicke in ein ganz anderes Vietnam: Grüne Berge, ein blaues Meer und die antike Architektur der Cham-Türme aus dem 11. Jahrhundert sorgen für exotische Erlebnisse.
Aus dieser Beschaulichkeit geht es dann in die Millionenmetropole Ho-Chi-Minh-Stadt, das einstige Saigon. Großstadtgetümmel, moderne und traditionelle Architektur und viele geschichtsträchtige Plätze und Gebäude geben der Stadt ein unvergleichliches Flair.
Nur rund drei Autostunden entfernt tauchen wir in eine ganz andere Welt ein. Im Mekongdelta besuchen wir mehrere Orte abseits der großen Touristenströme: Ben Tre, die Kokosnussmetropole Vietnams, Can Tho mit seinen schwimmenden Märkten und mehr Kanälen als in Venedig sowie Vinh Long mit seinen großen exotischen Obstgärten werden die dortigen Stationen sein. nd
Mehr Informationen erhalten Sie von der Abteilung Leserreisen: Frank Diekert, Tel.: (030) 2978-1620, E-Mail: leserreisen@nd-online.de
Der erste Spaziergang durch Hanoi wird für uns zum Kulturschock: Tausende Mopedfahrer, die sich ohrenbetäubend den Weg freihupen. Dazwischen viele Pkw, Rikschas, Busse, Fahrräder und Menschen, die auf der Straße laufen müssen, weil die Bürgersteige mit Mopeds zugeparkt oder von Händlerständen und Garküchen zugestellt sind. Das Essen duftet verführerisch, doch, oh Schreck, in einer Glasvitrine liegen goldbraun gegrillte Hunde. Schöneres bietet das jahrhundertealte Wasserpuppentheater, das wir besuchen. Die Bühne ist ein Wasserbassin, verdeckt hinterm Vorhang führen die Spieler an langen Stöcken die Puppen. Begleitet von Musikern werden parabelhafte Geschichten vom Leben der Bauern erzählt.
Später berichtet Thomas Billhardt von seinen Kriegserlebnissen, wie er vorm ersten Einsatz duschte und plötzlich die Sirene ging. Jetzt musst du raus und fotografieren, sei ihm voller Angst bewusst geworden. Seine ersten Aufnahmen machte er von Bunkern - Betonröhren mit vielen Kanaldeckeln auf den Straßen. Den Schmerz, vor allem aber das Leben im Krieg wollte er zeigen, entgegen den offiziell geforderten Heldenbildern.
Nächste Station unserer Reise ist die Halongbucht. Von Nebelschleiern mystisch verhangen, ragen bewachsene Kalkfelsen aus dem Meer - fast 200 auf einer Fläche von 1500 Quadratkilometern. Der Fotograf erinnert sich, wie er hier 1972 im bombardierten Hong Gay fotografierte. 1994 ernannte die UNESCO die Karstlandschaft zum Weltkulturerbe. Seitdem entwickelt sich hier der Tourismus. Hunderte Hotels wurden und werden gebaut. Hinzu kommen täglich 500 Hotelschiffe. Mit dem Massentourismus verschwanden Stille und Idylle. Umweltschäden sind absehbar.
In Hue, der alten Kaiserstadt, besuchen wir die Palastanlage, die während des Kriegs völlig zerstört wurde und seit Mitte der 1990er Jahre wiederaufgebaut wird. Weiter geht’s nach Da Nang, während des Krieges größter amerikanischer Militärstützpunkt mit 13 Landebahnen. In der Region um die »City of War« wurden rund 33 000 Tonnen Bomben abgeworfen. Thomas Billhardt war im April 1975 beim Abzug der Amerikaner dabei. Als Kriegsrelikte blieben noch Hangars und Mauerreste mit Stacheldraht in der schick aufgebauten Hafenstadt. Ein Urlaubsparadies breitet sich über 25 Kilometer entlang der Pazifikküste aus.
Hoi An, vom 16. bis 18. Jahrhundert wichtige Handelshafenstadt, ist die letzte Station unserer Reise. Der historische Stadtkern blieb vom Krieg verschont und wird seit 1999 als UNESCO-Kulturerbe geschützt. Ungestört vom lärmenden Verkehr kann man hier stundenlang durch die alten Gassen mit kleinen Läden, Pagoden, Restaurants, japanischem und chinesischem Viertel spazieren. Seidenlampions, die überall an Häusern, Straßen und Brücken hängen und abends leuchten, sind das Wahrzeichen der Stadt.
Eine eindrucksvolle Reise geht zu Ende. Thomas Billhardt wird schon im Sommer nach Vietnam zurückkehren. Dann eröffnet das Goethe-Institut in Hanoi eine Ausstellung mit seinen Kriegsfotos und aktuellen Aufnahmen aus Vietnam.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.