15 Jahre besseres Recht

Der 2. Mai ist auch ein Kampftag - der «internationale Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen». Eindrücke aus Berlin

  • Matthias Hering
  • Lesedauer: 3 Min.

Dreizehn Uhr ist zu früh!« Professionellen Nachtmenschen ist der Nachmittag Beginn allen Müßiggangs. Die Demonstration zum »internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen« in Berlin-Prenzlauer Berg hat jedes Jahr Startprobleme. Vor 13.30 passiert gewöhnlicherweise nichts. Es warten schlechtgelaunte Polizisten in Mannschaftswagen und auf Motorrädern, das Recht auf freie Meinungsäußerung liebevoll zu begleiten. Der U-Bahnhof Senefelder-Platz liefert mühsam schlendernde Menschengruppen aus, denen die Härte des Kampfes um die frühe Stunde ins Gesicht und die Leber geschrieben steht. Man kennt sich, plaudert und weiß, was der Tag bringt: nichts.

Wir reden von der erfolgreichsten Schnapsidee der jüngeren Geschichte. 2004 meldete ein loser Kampfbund um die Lesebühne »Surfpoeten« eine Demonstration an, den Irrsinn des sozialdemokratischen 1. Mai, ein Fest zur eigenen Ausbeutung, eine Feier aller heiligen Zwänge zur Lohnarbeit auszurichten, richtigzustellen.

Auf die Straße darf eine Demonstration in Deutschland erst mit 100 Teilnehmern. Bis 2005 mußte sich der Kampfbund gegen den Zwang zur Lohnarbeit mit Bürgersteigen begnügen. Seit 2006 aber sperrt die Polizei, die Kastanienallee und die Schönhauserallee für den Schlachtruf: »Wir sind nicht alle - es fehlen die, die arbeiten!« Die Straßenbahnen stehen, der Lieferverkehr stockt, das Volk guckt zu und freut sich, manchmal mit den frühen Biertrinkern.

Am 2. Mai 2019 bewegen sich 325 Nichtaktivisten (eigene Zählung) durch die teuerste Wohngegend Ostberlins. Ein eigener Block der Vokuhila-Träger marschiert mit. »Arbeit ist ein Delikt des letzten Jahrtausends.« Sie werben für »aktive Nichtarbeit«. Ihr Schlachtruf: »Arbeit nie wieder - lieber Vokuhila«, erklingt ausgerechnet vor den Räumen des ehemaligen Kiezfriseurs »Vokuhila«, aus denen mittlerweile ein Libanese Touristen mit allem Pamps des Orients versorgt. Die arabischen Händler an der Strecke betrachten den Zug mit Widerwillen und Unverständnis, er lenkt die Kundschaft ab. Ansonsten schwingt harmonisches Einverständnis durch die Lüfte. Oben in den Wohnungen, die gerade für 750.000 bis 1,5 Million Euro gehandelt werden, stehen gutgekleidete junge Menschen und applaudieren den Pennern. »Aktive Nichtarbeit« hat Distinktionsgrenzen, die Oben leben von Papas süddeutschem Konto, die unten kämpfen gegen Sanktionen vom Jobcenter.

Dr. Jakob Hein fordert auf einer der befahrensten Kreuzungen Berlins, Schönhauser / Ecke Dimitroff, ein bedingunsloses Grundeinkommen von 1500 Euro, mit Steigerungen auf 3000. »Geld durch Nichtstun zu vernichten, ist besser, als durch Kriege.« Finanzieren lässt sich das alles durch eine Abschaffung der Arbeitslosigkeit. So einfach ist das.

Vor den Schönhauser-Allee-Arkaden, einem sehr ekeligen Bau voller Handelsketten, warten fünf Straßenbahnen auf die Deklamation des »Gedichts gegen die Arbeit« des viel zu früh vertrunkenen Michael Stein: »Arbeit! // Geißel der Menschheit! // Verflucht seist du bis ans Ende aller Tage // Du, die du uns Elend bringst und Not // Uns zu Krüppeln machst und zu Idioten // Uns schlechte Laune schaffst und unnütz Zwietracht säst // Uns den Tag raubst und die Nacht // Verflucht seist du // Verflucht // In Ewigkeit // Amen. « Der machtvolle Chor überzeugt die Wartenden. Es ist ein grauer Tag und es wird gelacht.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -