- Politik
- Sichere Häfen
Mehr Spielräume für Kommunen
Die Blockade »sicherer Häfen« stößt auf Kritik.
Zahlreiche Kommunen in Deutschland wollen aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufnehmen. Die Bundesregierung sperrt sich jedoch in vielen Fällen gegen die Angebote und lässt die Aufnahmebereitschaft verpuffen. Menschenrechtsorganisationen und Politiker kritisieren nun diese Blockadehaltung.
Bisher haben sich 51 deutsche Städte zu sicheren Häfen erklärt. Nach Auskünften der Kommunen gegenüber »nd« wurden aber nur 39 gerettete Flüchtlinge vom Bundesinnenministerium auf diese Orte verteilt. Die Bundesregierung gibt dagegen an, dass bei 211 aus Seenot gerettete Menschen die Asylverfahren übernommen wurden. Generell strebe man nach einer »europäischen Lösung«. Ob 39 oder 211 Menschen: Die Kapazitäten sind um ein Vielfaches größer. Nach Berechnungen dieser Zeitung stehen in den 51 Städten - mindestens - 765 zusätzliche Plätze zur Verfügung. Einen Großteil davon lässt man ungenutzt. Flüchtlinge sind derweil auf den verblieben Rettungsschiffen immer wieder langwierigen Strapazen mit ungewissem Ausgang ausgesetzt.
Kritik an diesem Zustand kommt unter anderem von Amnesty International Deutschland. »Im Moment findet nach jeder geglückten Rettung ein unwürdiges Geschacher statt«, sagte Franziska Vilmar, bei der Menschenrechtsorganisation zuständig für Asylpolitik, gegenüber »nd«. »Wir fordern schon länger, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen EU-Staaten einen planbaren Mechanismus zur schnellen Ad-hoc-Aufnahme der Geretteten entwickelt«, betonte die Expertin. »Darüber hinaus gilt es zu prüfen, inwiefern die Gesetzgebung angepasst werden muss, um die Handlungsspielräume der Kommunen zu stärken.« Amnesty International lobt das Engagement der Städte. Dort seien offensichtlich Kapazitäten zur zusätzlichen Aufnahme von Geflüchteten vorhanden. »Ihr Wunsch, bei der Aufnahme von aus Seenot Geretteten eine stärkere Rolle zu spielen, sollte berücksichtigt werden«, so Vilmar. Dies stelle auch einen weiteren sicheren und legalen Fluchtweg dar.
Auch die Linkspartei im EU-Parlament kritisiert das Verhalten des Bundesinnenministeriums. »Mangelhafte innereuropäische Solidarität hier gegen die Bereitschaft auszuspielen, Menschenleben zu retten, verbietet ja wohl der gesunde Menschenverstand«, sagte die Abgeordnete Cornelia Ernst gegenüber »nd«. Die »Ausrede« aus den europäischen Hauptstädten, es brauche erst eine »europäische Lösung«, kann die Politikerin »allmählich nicht mehr hören«. Ernst verweist hierbei auf den seit anderthalb Jahren vorliegenden Vorschlag des EU-Parlaments zur Reform des sogenannten Dublin-Verteilsystems. »Eine menschenrechtskonforme Asylpolitik kombiniert mit einem fairen Verteilungsschlüssel auf Basis innereuropäischer Solidarität ist nicht nur möglich, sondern sie ist Realität«, so die Politikerin. Zwei Drittel des EU-Parlaments stünden hinter dem Vorschlag, aber die Innenministerien der EU verweigerten die Verhandlungen mit dem Parlament. »So können sie weiter lamentieren, es brauche eine europäische Lösung - einzig, um sich hinter diesem Vorwand weiter verstecken zu können«, sagte Ernst. Dies sei »Augenwischerei auf Kosten von Menschen in Not«.
Mehrmals in diesem Jahr mussten deutsche Hilfsorganisationen tagelang auf hoher See auf die Zuweisung eines sicheren Hafens warten. Währenddessen verhandelten die EU-Regierungen, wer wie viele Menschen aufnehmen sollte. Allen Staaten ging es offenbar darum, so wenig wie möglich von der »Fracht« zu erhalten. Die »Sea-Watch 3« hatte Anfang des Jahres 32 Menschen an Bord genommen. Die »Professor Penck« der deutschen Organisation »Sea-Eye« rettete im Januar 17 Schutzsuchende. Im Februar barg Sea-Watch erneut 47 Menschen aus Seenot. Zuletzt half Anfang April die »Sea-Eye« 62 Flüchtlingen. Die gefährlichen Odysseen dieser Menschen hätte Deutschland verhindern können.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!