Abrüstungskonferenz ohne Hoffnung

Atomwaffengegner in New York warnen eindringlich vor Aufweichung des Atomwaffensperrvertrags

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.

»Zwei Minuten vor Zwölf« sei es, und »die Zeit zum Sekundenzählen« bis zum großen Knall, einem Atomkrieg, angebrochen. So lautet die Stimmung auf der internationalen Konferenz, zu der sich am Samstag in der Judson-Memorial-Kirche im New Yorker Stadtteil Manhattan internationale Kriegsgegner zur Bestandsaufnahme und zur Strategiediskussion versammelt hatten. Unter dem Motto »Wachsende nukleare Gefahren in einer sich ändernden Welt« nahmen Experten und Friedensaktivisten die in den Vereinten Nationen stattfindende Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag zum Anlass, die internationale Lage einzuschätzen und die Möglichkeiten für eine neue internationale Friedensbewegung zu erörtern.

Die unübersichtlichen Regularien der UN sehen alle vier Jahre eine Konferenz zur Überprüfung des »Nuclear Non-Proliferation Treaty« (NPT, Atomwaffensperrvertrag) vor, die nächste ist für 2020 geplant. Dazwischen finden, wie dieses Jahr, entsprechende Vorbereitungskonferenzen statt. Vorgesehen ist die Festlegung einer Agenda und die Bestimmung inhaltlicher Kernpunkte für die große Überprüfungskonferenz. Das Nichtverbreitungssystem wurde bei seinem Abschluss 1968 auf die Säulen Nichtverbreitung, Abrüstung und Atomenergie gestellt. Demnach verpflichten sich atomwaffenfreie Staaten, keine Atomwaffen zu erwerben, während Atomstaaten auf die Weitergabe verzichten. Letztere bauen vertragsgemäß ihre Arsenale ab und schließen einen Vertrag über die Abschaffung ab. Schließlich helfen Atomwaffenstaaten anderen bei der zivilen Nutzung der Atomenergie.

Leider gebe es derzeit »überhaupt keine Hoffnung auf irgend etwas, das in Richtung nuklearer Abrüstung geht«, sagt im »nd«-Gespräch der Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros IPB star, Rainer Braun. Es handele sich um »ein Treffen ohne Hoffnung«. Denn angesichts der internationalen Lage, in der die USA im Februar dieses Jahres ihren Austritt aus dem bilateralen INF-Vertrag mit der Sowjetunion und Russland (Intermediate Range Nuclear Forces - nukleare Mittelstreckensysteme) aufkündigten, bestehe nicht nur die Gefahr, dass die UN-Konferenz ergebnislos endet, sondern auch, dass noch mehr Länder aus dem NPT-Vertrag ausscheren. Dies erfolge entweder insgeheim, indem sie ihr mangelndes Interesse durch Fernbleiben an Treffen bekunden, oder indirekt durch die Vorbereitung der eigenen atomaren Aufrüstung.

Neben dem aus Deutschland stammenden Reiner Braun nahmen auch Experten und Aktivisten aus den USA, Russland, Israel, Frankreich, Indien, Südkorea und Japan an der Gegenkonferenz teil, die vom New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit finanziert wurde.

Die Vorsitzende des Israeli Disarmament Movement Sharon Dolev wies gegenüber »nd« auf die regionalen Aufrüstungsbestrebungen und die Kriegsgefahr im Nahen Osten hin. Israels Premier Netanjahu sei »besessen vom iranischen Nuklearprogramm, und Trump springt ihm bei«. Dabei handele es sich um die übliche Heuchelei, weil Israel, die USA und die »gesamte westliche Welt« den größten regionalen Risikofaktor in punkto Verbreitung von Atomwaffen schlichtweg »verschweigen« würden, nämlich Saudi-Arabien, so Dolev. »Wir haben Interessen in Saudi-Arabien, deshalb sprechen wir nicht darüber«, meint der Abrüstungsaktivist. Das nukleare Wettrennen werde außerdem dadurch angeheizt, dass die einzige nahöstliche Atommacht Israel jegliche Teilnahme an internationalen Abrüstungstreffen verweigere. Schritte hin zu einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten seien deshalb auch im kommenden Jahr bei der NPT-Konferenz nicht zu erwarten.

Der aus Moskau stammende unabhängige Linke Boris Kagarlitzki erläuterte anhand seiner Einreiseprobleme in die USA, dass entgegen der Behauptung Vieler ein »neuer kalter Krieg« zwischen den USA und Russland entstanden ist. So ist es in Moskau nicht mehr möglich, ein US-Visum zu erhalten. Kagarlitzki erhielt seines erst in Wien. In seinem Vortrag arbeitete er den Widerspruch zwischen Putins nationalistischer Rhetorik, die von der Produktion neuer »Wunderwaffen« spricht, und der Realität aus. Die Machbarkeit der vom russischen Präsidenten verkündeten Arsenale würde von Wissenschaftlern bestritten. Trotzdem sei die Propaganda nicht »unschuldig«, weil sie dem westlichen Aufrüstungsbestrebungen zuarbeite. Dennoch gebe es aus der Ukraine, wo sich mit der Wahl des neuen Präsidenten Entspannungssignale gegenüber Russland abzeichnen, gute Nachrichten, glaubt Kagarlitzki.

Hoffnungsschimmer ergeben sich für viele Teilnehmer auch aus den jungen Klimabewegungen und weiteren sozialen und politischen Bewegungen, etwa der antirassistischen Bewegung in den USA. Denn die Verjüngung der Bewegung von Atomwaffengegnern ist dringend notwendig.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -