- Kultur
- Fusion Festival
»Wir dürfen das nicht hinnehmen«
Ist die »Fusion«, Europas größtes unkommerzielles Musikfestival, gefährdet – weil die Polizei es überwachen will?
Einmal im Jahr pilgern rund 70 000 Menschen aus der ganzen Welt in das mecklenburgische Niemandsland. In der Nähe der Kleinstadt Lärz findet seit mehr als 20 Jahren auf einem ehemaligen sowjetischen Militärflugplatz das »Fusion«-Festival statt. Nichts weniger als »vier Tage Ferienkommunismus« versprechen die Veranstalter*innen. Es ist das größte alternative und unkommerzielle Musik- und Kulturfestival Europas. Dieses Jahr beginnt es am 26. Juni - wenn alles gut geht. Denn der Polizeipräsident von Neubrandenburg hat sein »Einvernehmen zur Durchführung der Veranstaltung« verweigert, wie es im Verwaltungssprech seiner Behörde heißt.
Lesen Sie auch den Kommentar: Besser feiern ohne Polizei
Laut Polizei würden Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten: Es gebe nicht genug Fluchtwege in den Hangars, außerdem fehle es an Beschallungsanlagen, um vor Gefahren zu warnen. Jonas Hänschel vom veranstaltenden Verein Kulturkosmos e. V hält vermutet gegenüber »nd« andere Gründe: Der Verein habe der Einrichtung einer Polizeiwache auf dem Festivalgelände nicht zugestimmt und möchte auch keine »anlasslose polizeiliche Bestreifung« des gesamten Festivals. »Wir empfinden eine Polizeiwache und die anlasslose Bestreifung rund um die Uhr als repressive Maßnahme«, sagt Hänschel. »Auf unserem Festival wollen Menschen verrückte Dinge tun, eine permanente Polizeiüberwachung wird sie darin massiv einschränken.« Für die Veranstalter*innen sind die Polizeipläne ein Frontalangriff auf die Philosophie des Festivals: zwanglos und unkontrolliert zu feiern.
Die »Fusion« ist mehr als sinnentleerter Hedonismus. Neben Party finden auf dem riesigen Gelände politische Vorträge, Theateraufführungen, Kinovorführungen und sogar Demos statt. Große Sponsoren sucht man ebenso vergeblich wie ein vorher veröffentlichtes Line-up. Ein Großteil der Organisation wird von linken Gruppen übernommen - und füllt Jahr für Jahr ihre klammen Kassen.
Bislang hat das Festival die Sicherheit selbst organisiert. Die Polizei konnte allerdings jederzeit das Gelände betreten, wenn sie gerufen wurde. Auch in diesem Jahr soll die Polizei bei strafrechtlich relevanten Anlässen jederzeit Zutritt zum Festivalgelände haben. Als Kompromiss hat der Verein eine Polizeiwache außerhalb des eingezäunten Festivalgeländes angeboten. Damit können die Besucher*innen die Wache per Fuß in nur wenigen Minuten erreichen. »Und die Polizei kann schnell einschreiten, wenn es erforderlich ist.«
Und die vermeintlichen Sicherheitsmängel? Hänschel meint, dass diese bis zum Festival behoben sein würden. In den letzten 22 Jahren hätte es in den Wochen bis kurz vor dem Event immer noch Nachbesserungen gegeben. Warum soll das gerade in diesem Jahr anders sein? Anscheinend möchte sich Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch als harter Hund profilieren. Etwa, wenn er mutmaßt, dass »eine Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen« zu erwarten sei. Hänschel vom Kulturkosmos e. V. sieht dafür »keinerlei Belege«. Laut offizieller Polizeistatistik kam es in den letzten Jahren pro Festival zu 2,5 Gewaltverbrechen. Zum Vergleich: Beim »Baumblütenfestival«, der großen Alkoholparty in Werder unweit von Berlin, gab es im vergangenen Jahr 80 Festnahmen und mehr als 200 Gewaltdelikte. »Abgesehen vielleicht vom Kirchentag, ist das ›Fusion-Festival‹ die entspannteste, friedlichste und konfliktfreieste Großveranstaltung der ganzen Republik«, meint Hänschel.
Zunehmende polizeiliche Überwachung ist für die »Fusion« nicht akzeptabel. »Wir dürfen das nicht hinnehmen«, sagt Hänschel. Denn es gehe nicht nur um das Festival. »Sie wollen ein Exempel statuieren. Wenn sie das durchkriegen, könnten sie in Zukunft jeden Freiraum mit Repressionen überziehen.« Zur Not will der Verein vor Gericht ziehen. »Die Rechtsgrundlage ist sehr mager, wir haben gute Chancen, zu gewinnen.«
Besteht die Polizei weiterhin auf einer Polizeiwache auf dem Gelände, soll das Festival 2020 nicht mehr stattfinden. Die Organisator*innen haben eine Petition »für die Freiheit von Kunst und Kultur« ins Leben gerufen. Mehr als 50 000 Menschen unterzeichneten den Aufruf in den ersten Tagen. Auch die Musik- und Kulturszene solidarisiert sich mit dem Festival. Der Rapper Pöbel MC kritisiert: »Was als bloßer Verwaltungsakt vorgetragen wird, kann als Einschränkungs- und Einschüchterungsversuch gegenüber kritischem, alternativen Kultur- und Kunstschaffen verstanden werden.« Die Punkband ZSK schreibt auf Twitter: »Das Fusion Festival ist eines der wichtigsten Festivals Deutschlands. Mitten auf dem Land, komplett ohne Sponsoren, von tollen Leuten organisiert. Wir haben uns dort sehr wohl gefühlt. Jetzt versucht die Polizei das Festival kaputtzumachen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.