- Politik
- Sowjetische Kriegsgefangene
Zu spät für Anstand
Von Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen wurden lediglich 686 entschädigt
So systematisch, wie Hitlers Generäle ihre Überfälle auf fremde Länder planten, planten sie auch den Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen. Man wollte das »Problem« vor Ort oder im besetzten Polen »erledigen«. Lediglich 14 Kriegsgefangenenlager, sogenannte STALAGs für je 30 000 gefangene Rotarmisten waren auf dem Territorium des Deutschen Reiches vorgesehen.
Beispiel Zeithain in Sachsen. Bereits im April 1941, zwei Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion, waren die Pläne für das dort geplante Mannschaftsstammlager STALAG 304 fertig - ohne Unterkünfte und Versorgungseinrichtungen. Dennoch traf im Juli 1941 der erste Transport mit etwa 2000 sowjetischen Kriegsgefangenen ein. Die Wehrmacht setzte Hunger und Wassermangel als Waffen ein. Die Gefangenen, ausgezehrt von Kämpfen und dem Transport, waren leichte Opfer für Ruhr- und Typhusepidemien. Fleckfieber kam hinzu. Von 10 677 Gefangenen lebten Ende im April 1942 nur noch 3729. Zugleich suchte man nach politischen Funktionären unter den Gefangenen. Sie wurden von der Gestapo aussortiert. Mindestens eintausend Männer schaffte man ins Konzentrationslager Buchenwald - zur Erschießung.
Als die deutsche Kriegsindustrie immer dringender Arbeitskräfte suchte, wechselte man die Strategie der Vernichtung. Überall im Reich entstanden »Russenlager«. Im September 1943 verfrachtete man vom Lager in Zeithain zehntausend Insassen nach Westen. Sie musste in belgischen und französischen Steinkohlengruben schuften - für den deutschen »Endsieg«
Allein bis zur Kriegswende 1943 in Stalingrad waren 5,7 Millionen Rotarmisten in deutsche Gefangenschaft geraten. Bis zum Kriegsende im Mai 1945 kamen 3,3 Millionen um. Sie wurden von der deutschen Geschichtsschreibung über Jahrzehnte weitgehend »vergessen«. Erst 60 Jahre nach dem Ende des Nazireiches beschäftigte sich der Bundestag auf Antrag der Links- und der Grünen-Fraktion mit dem Thema. Man beschloss: Zwischen dem 30. September 2015 und dem 30. September 2017 können ehemalige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, die in deutscher Kriegsgefangenschaft waren, eine »Anerkennungsleistung« in Höhe von 2500 Euro erhalten. Doch für die meisten ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen kam diese »Geste« zu spät. Von den nur 2092 Anträgen, die bis zum 20. März 2019 eingegangen waren, wurden 1197 bearbeitet. 511 hat man abgelehnt. Für die »Anerkennungsleistungen« waren zehn Millionen Euro bereitgestellt worden. Gerade einmal 2,9 Millionen Euro fanden noch einen »Anspruchsberechtigten«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.