Kreuzfahrten boomen, die Umwelt leidet

Kieler protestieren gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen auf den Schiffen und Naturzerstörung

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die für die touristische Vermarktung zuständige Kiel-Marketing GmbH bejubelt die in jüngster Vergangenheit hochschnellenden Zahlen von Kreuzfahrttouristen. Aber nicht alle wollen die Begeisterung und Euphorie teilen. Kritiker rufen für Donnerstag zu Protesten auf. Für die Demonstration zeichnet eine Gruppe namens TKKG verantwortlich. Nein, keine Kinderdetektive sind hier am Werk, sondern eine Initiative, die sich »TurboKlimaKampfGruppe« nennt. Ebenso wie das seit dem vergangenen Jahr aktive Bündnis »Kreuzfahrt nirgendwo« prangert die Gruppe einen zügellosen Tourismus an.

Städte wie Dubrovnik oder Venedig gelten den Kritikern dabei als mahnende Beispiele eines ausufernden Tourismus. Die Protestler rücken zudem die nicht selten ausbeuterischen Arbeitsbedingungen von Beschäftigten an Bord der Ozeanriesen ins Blickfeld. Weiterer Angriffspunkt ist die massive Luftverschmutzung durch Passagierschiffe sowie die Ökosystemzerstörung von Reisegebieten etwa in Norwegen. Um die Schattenseiten der Tourismuswirtschaft an die Öffentlichkeit zu bringen, zeigen sich die Aktivisten auch außerhalb Kiels, etwa bei der Aktionärsversammlung des Reiseanbieters TUI in Hannover oder bei Hafenevents in Hamburg.

Laut Seehafen Kiel GmbH haben im Vorjahr insgesamt 166 Kreuzfahrtschiffe die Destination Kiel angelaufen. Das bescherte der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt rund 597 700 Passagiere. Die Zahl hat sich damit in den vergangenen 20 Jahren mehr als verzehnfacht. Das erfreut insbesondere den Einzelhandel. Und in der im Vormonat begonnenen Kieler Kreuzfahrtsaison sollen die Zahlen sogar noch einmal getoppt werden. So sind für dieses Jahr 178 Kreuzfahrtschiffe angemeldet.

Am Kieler Ostufer hat die Stadt ein neues Abfertigungsterminal errichtet und damit dem Ostsee-Wettbewerber in Rostock-Warnemünde den Kampf angesagt. Mit dem Reederei-Giganten MSC (Genf) wurde ein Fünfjahresvertrag vereinbart. Dazu weilte erstmals die »MSC Meraviglia« mit 5300 Passagieren an der Förde. In Zukunft sollen noch größere Schiffe eingesetzt werden.

Ein nachhaltiger Tourismus sieht aus Sicht der Linkspartei anders aus. Wohnungsnot, Armut und Umweltschutz sollten zudem vorrangig die stadtpolitische Agenda beherrschen und nicht das Reisevergnügen Einzelner, erklärte LINKE-Ratsfrau Svenja Bierwirth. Auf »Unmengen Feinstaub, Ruß, Stick- und Schwefeloxide« wies laut »Kieler Nachrichten« die Grünen-Ratsfraktionschefin Jessica Kordouni hin. Der Hafen der Klimaschutzstadt Kiel brauche deutlich höhere Umweltstandards, so Kordouni. In großer Einigkeit berauschen sich unterdessen SPD, CDU, FDP, Südschleswigscher Wählerverband und AfD an den Wachstumsstatistiken.

Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) hat eine besonders ehrgeizige Vision. Er möchte, dass seine Stadt künftig den ökologischsten Hafen in ganz Europa hat. Dazu setzt er auf den Bau von zwei Landstromanlagen. Die erste davon wird ebenfalls am Donnerstag am Norwegenkai eingeweiht, obwohl derzeit völlig unklar ist, wie die dort agierende Fährlinie Color-Line sie überhaupt nutzen wird. Landstrom ist als saubere Steckdosen-Energieform anstelle von Diesel-Generatoren an Bord doch preislich die eher teurere Variante. Da viele Reedereien bereits angekündigt haben, in Zukunft statt Diesel-Antrieb auf Flüssiggas (LNG) zu setzen, könnten sich die Landstrom-Anstrengungen ohnehin bald als verwaiste Investitionen erweisen.

Die Protestaktion soll am Donnerstag um 16 Uhr mit dem Einlaufen der »Queen Victoria« (Cunard Line) am Ostseekai starten. Unterstützung für die Kundgebung wird auch von Greenpeace und dem BUND angekündigt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.