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Ein Fuß im Fetteimer
Befreiend destruktiv: »Kunst von Frauen« gibt es schon. Es ist Zeit, einen Blick auf Männergesten in der Kunst zu werfen
Das Kapital im Feld der Kunst ist heiß umkämpft, und hin und wieder kommt es zur direkten Konfrontation. 1979 wagte Dieter Roth aus einer Außenseiterposition heraus den Angriff auf den Großkünstler Joseph Beuys. Beuys’ Installation »Basisraum Nasse Wäsche (Jungfrau)« - im Wesentlichen zwei Tische, ein Stuhl, ein mit Fett befüllter Eimer, Wäschestücke und drei Regenrinnen - sollte, so darf man vermuten, ins Lächerliche gezogen werden. Roth platzierte einen dreibeinigen Nierentisch und ein Stück Seife aus der Museumstoilette in der Installation und begann damit, Beuys’ Objekte mit Kreide zu umranden.
Die Ignoranz des anwesenden Museumspublikums aber versetzte den zu diesem Zeitpunkt schon angetrunkenen Roth umgehend in Rage. Als ein Museumsbesucher sich auf den Nierentisch setzte, um einen besseren Blick auf das Werk des uneinholbaren Konkurrenten zu bekommen, verlor Roth die Kontrolle über sich selbst und versenkte seinen Fuß in dem Fetteimer. Der Fuß blieb stecken, Roth lief durch den Raum und versuchte - jetzt konnte er sich der Aufmerksamkeit der Museumsbesucher sicher sein -, den Eimer abzuschütteln, was ihm irgendwann auch gelang. Mit fettverschmierten Schuhen trampelte er zum Abschluss noch über die Dachrinnen und verließ dann den Ort des Geschehens.
Dieter Roths Verzweiflungstat ist eines von sechs Werken, die Wolfgang Müller und An Paenhuysen in ihrem Buch »Chromosom XY. Männerkunst - Herrenkunst« als spezifisch männliche künstlerische Ausdrucksweise behandeln. Ihr Anspruch ist ein ironisch-exemplarischer. »Chromosom XY« ist der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, deren Finissage am 29. März im Hinterzimmer im Berliner Art Space Barbiche stattfand. Der Band ist sehr schmal, 116 Seiten. Und wenn man einrechnet, dass alle Beiträge sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch enthalten sind, kommt man auf gerade einmal 50 Seiten Text. In einer guten Stunde ist man durch, und man weiß nach der Lektüre so einiges über Männerkunst.
Der Ausgangspunkt der Unternehmung, die gut gemeinte Idee, immer wieder mitsamt ihrer Kunst aus dem Betrieb abgedrängte Künstlerinnen in Frauenkunst-Shows zu würdigen, ist zwiespältig. Ambivalent ist die Kategorie »Kunst von Frauen«, weil sie Kunst von Frauen als das Besondere etabliert, während Kunst von Männern eine Selbstverständlichkeit bleibt.
»Sie ist köperbezogen und autobiografisch«, fassen Müller und Paenhuysen die Klischees zusammen, mit denen Frauenkunst meist belegt wird. »Private Artefakte, der eigene Körper und die persönliche Biografie stehen im Zentrum, oft verbunden mit einer tragischen Leidensgeschichte.«
Die Kategorisierung wird in »Chromosom XY« schlicht am Kontrapol durchgespielt, der Normalfall wird zum Sonderfall und kann nun untersucht werden. Das Ergebnis ist komisch und erhellend. Die Zusammenstellung von Bildern, lose strukturierten Texten über die einzelnen Werke und Künstler-Interviews schafft einen Assoziationsraum, der es der Leserin nahelegt, die Kunst als eine spezifisch männliche wahrzunehmen. Der besoffen durch die Beuys-Installation randalierende Dieter Roth ist nur ein Extrembeispiel für eine künstlerische Haltung, die Frauen auch aufgrund der oben zitierten Zuschreibungen nicht von Haus aus nahegelegt wird und auch nicht verziehen würde. Die in »Chromosom XY« versammelte Kunst kann befreiend destruktiv sein, wenn zum Beispiel Hartmut Andryczuk Reproduktionen der Bilder Adolf Hitlers übermalt (»Er hatte große Probleme mit den Perspektiven«, weiß Andryczuk im Interview zu berichten). Sie kann von einer heute nicht mehr allzu faszinierenden Virilität bestimmt sein, wenn Tom Skapoda (später »Tom Kummer«) Mitte der 80er Jahre mit Benzin und Feuer auf die Berliner Mauer losgeht. Sie zeugt von unverwüstlichem Selbstbewusstsein, das im Gewand der Transgression daherkommt, wenn ein Mitglied der Künstlergruppe Endart sich eine Drahtbürste in den Hintern steckt, diesen dann in die Kamera hält und das Bild als wertvoll definiert.
Aber die Perspektive von »Chromosom XY« auf die Kunst der Männer ist keine hämische. Es geht, sagen die Herausgeber*innen, um gute männliche Kunst. Viele der Werke sind komplex gedacht und reflektieren den eigenen Gestus. Daniel Chlubas »Free Hasskäppchen«-Aktion zum Beispiel: Der Künstler verhielt sich zum Burka-Verbot in Österreich, indem er sich mit einer bis zu den Knien reichenden roten Wollmütze mit zwei Bommeln dran bekleidete, die nackten Füße schauten unten raus. »Das Hasskäppchen ist eine Materialisierung des Hasses«, schreiben Müller und Paenhuysen. Chluba wurde von der Polizei abgeführt, Grundlage für die Verhaftung war das Vermummungsverbot. Außerdem verwaist das Hasskäppchen auf einen generalisierbaren Aspekt: »Männer zeigen sich performend in Frauenkleidern und schminken sich. Auf diese Weise vergrößern sie ihre Möglichkeiten und ihren Aktionsradius.«
Eine denkbar unmittelbare Umkehrung hat Wolfgang Müllers eigene Gruppe Die Tödliche Doris 1984 unternommen. In den Band aufgenommen wurden Bilder der »Hommage an Allen Jones«, eine denkbar einfache Umkehrung. Jones hatte kurz zuvor kontrovers diskutierte Skulpturen hergestellt, Frauenfiguren aus Fiberglas, in Reizwäsche, die sich als Tische und Stühle benutzen ließen. War das nun Sexismus oder Kenntlichmachung von Sexismus? Die Tödliche Doris enthielt sich einer eindeutigen Antwort und kehrte stattdessen die Konstellation im Rahmen einer Performance um. Nun waren die Männer Nikolaus Utermöhlen und Wolfgang Müller nackt auf der Bühne, und die vollständig bekleidete Tabea Blumenschein sang dazu das Lied »Kavaliere«.
Ein Glossar, von »Berufung« über »Rivalenkämpfe« bis »Stehpinkeln«, rundet die ganze Sache ab. Ein schönes, lehrreiches Buch.
Wolfgang Müller/An Paenhuysen: Chromosom XY. Männerkunst - Herrenkunst. Verbrecher Verlag, 120 S., br., 16 €.
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