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  • Regierungskrise in Österreich

Kurz: »Neuwahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt«

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beendet Regierungskoalition mit der FPÖ / Vizekanzler Heinz-Christian Strache tritt nach Videoskandal zurück

  • Michael Bonvalot, Wien
  • Lesedauer: 5 Min.

Gegen 19:50 Uhr ist alles vorbei. In einem kurzen Statement beendet Bundeskanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP die Koalition mit der rechtsextremen FPÖ und kündigt Neuwahlen an.

In seinem Statement lobt Kurz ausdrücklich alle Mitglieder der bisherigen Regierung und gleichzeitig unter anderem die bisherige Abschottungspolitik der Koalition gegen geflüchtete Menschen. Er kündigt »Neuwahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt« an, danach solle seine ÖVP »eindeutig den Ton angeben«. Es brauche »klare Verhältnisse« und einen Wählerauftrag »für eine Person«. Kurz positioniert sich eindeutig als neuer Führer des rechten Lagers.

Während Kurz im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz vor die Kameras tritt, demonstrieren davor tausende Menschen. Lautstark fordern sie bereits seit den Mittagstunden den Rückzug der gesamten schwarz-blauen Regierung, im Laufe des Nachmittags strömen immer mehr Demonstranten auf dem Platz in der Wiener Innenstadt. Zahlreiche selbst gebastelte Schilder sind zu sehen, darüber wehen rote Fahnen im Wind.

Bereits zu Mittag war der bisherige FPÖ-Obmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache zurückgetreten. Seine letzten Worte: »Ich sage Danke und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.« Als Straches Nachfolger wird Verkehrsminister Norbert Hofer nominiert. Er gilt als Chefideologe der FPÖ, bei der polarisierten Bundespräsidentschaftswahl 2016 musste er sich dem jetzigen grünen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen nur knapp geschlagen geben. Hofer ist in der FPÖ bestens verankert, wie Strache und die meisten anderen männlichen Kader ist er Mitglied einer deutschnationalen Burschenschaft.

Auf der Pressekonferenz wirkt Strache weinerlich und gezeichnet, sein Gesicht ist blass. Das Video, das Strache und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus im vertraulichen Austausch mit einer angeblichen russischen Oligarchentochter zeigt, sei eine »geheimdienstlich inszenierte Lockfalle« gewesen, erklärt er. Die stundenlangen Gespräche seien eine »besoffene Geschichte« gewesen, er hätte sich »prahlerisch wie ein Teenager verhalten« und »alkoholbedingtes Macho-Gehabe« gezeigt.

Strache versucht zu retten, was zu retten ist, möglicherweise auch seine Ehe. Er entschuldigt sich explizit bei seiner Frau, der FPÖ-Tierschutzbeauftragten Philippa. Der Hintergrund: Bisher haben Spiegel und Süddeutsche Zeitung nur kurze Ausschnitte aus mehreren Stunden Videomaterial veröffentlicht. In anderen Sequenzen soll Strache sich wiederholt in eindeutigen Worten über die sexuelle Anziehungskraft der angeblichen Oligarchin äußern.

Sowohl Strache wie Gudenus wirken auf dem Video beeinträchtigt durch bisher nicht geklärte Substanzen. Unklar ist auch, was das Video noch alles zeigen würde. So steht die Vermutung im Raum, dass Strache – und kurz danach Gudenus – weniger wegen dem zurückgetreten sind, was bisher bekannt ist, sondern wegen dem, was noch folgen könnte.

Wesentlich relevanter aber ist, wofür sich Strache bei der Pressekonferenz nicht entschuldigt und was auch Kurz in seinem Statement nicht erwähnt. Das Video zeigt, dass Strache der angeblichen Oligarchin Staatsaufträge zum »Überpreis« anbietet – also offenbar Aufträge zu überhöhten Preisen auf Kosten der Steuerzahler. Die Wiener Wochenzeitung Falter hat eine weitere Sequenz veröffentlicht, wo Strache anbietet, die österreichischen Trinkwasservorräte de facto zu privatisieren. Im Gegenzug solle die Oligarchin das einflussreiche – und ohnehin rechtsoffene – Boulevardblatt Krone übernehmen und voll auf FPÖ-Linie bringen.

Ebenfalls kein Wort verliert Strache zu möglichen Spenden durch österreichische Superreiche an die FPÖ. Gegenüber der angeblichen Oligarchin hat Strache diese Beziehungen wörtlich so geschildert: »Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen«. Die betreffenden Personen würden die Spenden der FPÖ über einen Verein zukommen lassen, so gäbe es keine Kontrolle über den Rechnungshof und die Parteispenden würden nirgends aufscheinen, wie Strache erläutert.

Die Liste der angeblichen Spender ist dabei durchaus einen näheren Blick wert. Namentlich nennt Strache den international tätigen Waffenproduzenten Gaston Glock, der seit Jahrzehnten als Förderer der FPÖ gilt. Ebenfalls auf der Liste ist Heidi Horten, Witwe des deutschen »Kaufhaus-Königs« Helmut Horten, der mit Arisierungen zur Reichtum kam. Auch sie gilt als Förderin der FPÖ. Und schließlich nennt Strache auch den Tiroler Milliardär René Benko, unter anderem Besitzer von Karstadt und Galeria Kaufhof. Alle drei Genannten dementieren, es gilt die Unschuldsvermutung.

Für die kommende EU-Wahl und vermutlich auch für die Nationalratswahl hat nun die ÖVP viele Trümpfe in der Hand. Bisherige Wähler der FPÖ könnten zu ÖVP überlaufen, andere zu Hause bleiben. Doch auch nach Neuwahlen wäre eine weitere Koalition mit der FPÖ möglich, vermutlich dann mit wesentlich stärkeren ÖVP-Positionen in der Regierung. In jedem Fall möchte die ÖVP zweifellos die Gelegenheit nützen, um die FPÖ – eine Konkurrenz im Kampf um rechte Wählerstimmen – nachhaltig zu schwächen. Kurz könnte aus den aktuellen Verwicklungen als unbestrittener Führer des rechten Lagers in Österreich hervorgehen.

Doch auch die Sozialdemokratie hat aktuell ein Problem. Sowohl im Burgenland – dem Heimatbundesland des designierten FPÖ-Chefs Norbert Hofer – wie in der drittgrößten Stadt Linz ist die SPÖ in einer Koalition mit der rechtsextremen FPÖ. Auch der FPÖ-freundliche Flügel der Sozialdemokratie gerät nun unter Druck, für Montag ist im Burgenland eine Sitzung des Landesparteivorstands der SPÖ angekündigt.

AfD-Chef Jörg Meuthen hingegen stört sich nicht an einem Video mit mutmaßlichen Korruptionsversprechen und Spenden durch Superreiche. »Die FPÖ ist uns ein enger Partner«, sagt er am Samstag am Rande einer Kundgebung europäischer Rechtsparteien in Mailand. Er werde der österreichischen Partei nun nicht »in den Rücken fallen« aufgrund einer »singulären Angelegenheit«.

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