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Die Sorge, dass es kippt
In Sachsens Großstädten wird bei Kommunalwahl über Mitte-Links-Mehrheiten entschieden
Am Anfang, sagt der sächsische Grüne Valentin Lippmann, stand »ein Betriebsunfall des Dresdner Kleinbürgertums«. Vor der Stadtratswahl 2014 in der sächsischen Landeshauptstadt führten die dort oft dominierenden Parteien CDU und FDP einen lustlosen Wahlkampf. Die Folge war überraschend: Im Rat brachten es LINKE, Grüne, SPD und Piraten auf die rechnerische Mehrheit. Umgehend wurden Nägel mit Köpfen gemacht: Man einigte sich auf ein festes Bündnis und schrieb dessen Ziele in einer Kooperationsvereinbarung fest, der Mitte der Wahlperiode eine zweite folgte.
Dresden ist kein Einzelfall in Sachsen. Auch in den Stadträten in Leipzig und Chemnitz stellten die Mitte-Links-Parteien in der am Sonntag zu Ende gehenden Legislaturperiode die Mehrheit. In Chemnitz führte das zu einer fest verabredeten Kooperation, auch wenn kein formaler Vertrag aufgesetzt wurde. »Das Erfolgsgeheimnis«, sagt LINKE-Fraktionschefin Susanne Schaper, »hieß: reden, reden, reden.« In Leipzig, wo es die drei Parteien zusammen auf über 57 Prozent im Rat bringen, wird traditionell mit wechselnden Mehrheiten regiert. Oft genug kamen diese von LINKE, SPD und Grünen. Man sei, sagt LINKE-Stadtchef Adam Bednarski, »mit dem Modell nicht unglücklich«.
Mit dem in vier Jahren Erreichten sind die Beteiligten auch in den anderen Städten zufrieden. »Die Bilanz ist sehr gut«, sagt Johannes Lichdi, Stadtrat der Grünen in Dresden, und verweist auf die Neugründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft, ein Sozialticket für den Nahverkehr und die jetzt mögliche Direktwahl der Ortschaftsräte in den Stadtteilen. Die Kooperation habe viel erreicht, obwohl sie, etwa in der Frage der Ortschaftsverfassung, von der Koalition auf CDU und SPD auf Landesebene »gezielt torpediert« worden sei und auch Teile der SPD in der Stadt mit anderen Optionen liebäugelten, was für »viel Leerlauf« sorgte - und am Ende für den vorzeitigen Bruch: Der Austritt dreier Abgeordneter aus der SPD-Fraktion machte die Mehrheit zunichte. Der SPD-Stadtverband aber profitiert von der Kooperation, glaubt Dresdens Juso-Chefin Sophie Koch und verweist auf Umfragen, in denen ihre Partei »nicht verliert, trotz des schlechten Trends in Land und Bund«.
Auch in der sächsischen LINKEN streicht man die Erfolge in den Kommunen heraus. Ein mit »Links wirkt« überschriebenes Kapitel im Entwurf des Programms für die Landtagswahl führt neben Beispielen aus Bundesländern mit eigener Regierungsbeteiligung oder aus Städten wie Barcelona und Wien auch Erfolge aus den drei sächsischen Kommunen an, darunter das kostenlose Vorschuljahr in Chemnitz, Engagement für Mieter in Dresden, eine Kehrtwende bei der Liegenschaftspolitik in Leipzig, dazu viele andere soziale und kulturpolitische Maßnahmen. »Unsere Politik wirkt bereits jetzt«, schreiben die Genossen - was Forderungen des Wahlprogramms für den Freistaat weniger utopisch erscheinen lassen soll.
Freilich: Ob die Mitte-Links-Mehrheiten in den drei Großstädten noch bestehen, wenn Sachsen am 1. September einen neuen Landtag wählt, ist ungewiss. Bei der Wahl am 26. Mai werden erhebliche Verschiebungen der Kräfteverhältnisse in den kommunalen Parlamenten erwartet - vor allem, weil für die AfD, die 2014 noch am Anfang ihres Aufstiegs stand, hohe Stimmzuwächse erwartet werden. In Leipzig landete schon bei der Bundestagswahl 2017 die Mehrheit der Stimmen bei CDU, AfD und FDP. Zwar folgen kommunale Wahlen anderen Regeln. Die Mehrheitsverhältnisse, glaubt Bednarski, dürften aber »enger werden«. In Chemnitz muss auch mit dem rechten Bündnis »Pro Chemnitz« gerechnet werden, dessen Chef Martin Kohlmann eine prominente Rolle bei den ausländerfeindlichen Demonstrationen nach dem Todesfall beim Stadtfest vorigen August spielte.
Mancherorts sucht man sich einem befürchteten Rechtsruck offensiv entgegenzustemmen. In der Landeshauptstadt ist seit Monaten eine Bewegung mit dem mahnenden Titel »Dresden kippt« aktiv; etwas zuversichtlicher klingt der kürzlich im Internet aufgetauchte Hashtag »Leipzig kippt nicht«. In beiden Fällen sollen Anhänger des Mitte-Links-Lagers zur Wahlbeteiligung animiert werden.
In Dresden hofft man, dass die Mobilisierung womöglich gerade durch den zunächst als fatal empfundenen Bruch von Rot-Grün-Rot bewirkt wird - genauer: durch das umgehend gebildete informelle Bündnis von CDU, FDP und Bürgerbündnis mit der AfD. Der Mitte-Rechts-Block kippte im Zuge der Etatbehandlung wichtige Errungenschaften der vorherigen Ratsmehrheit. Damit werde den Wählern eindrücklich vor Augen geführt, »was auf dem Spiel steht«, sagt der LINKE-Fraktionschef André Schollbach, der im verfrühten Scheitern somit eine »strategische Chance« sieht. Vielleicht, so die Hoffnung, führt das dazu, dass sich trotz des seit 2014 vollzogenen Rechtsrucks in Sachsen der »Betriebsunfall« im Dresdner Stadtrat doch noch einmal wiederholt.
Ob die erfolgreichen Kooperationen in den Städten auch Effekte auf die politische Gemengelage im Land haben könnten: Darüber sind die Beteiligten uneinig. Lichdi zweifelt am politischen Willen in allen drei Parteien und spricht von einer »Koalition der Ängstlichen und Nicht-Wollenden«. Vor allem die SPD habe sich unter Landeschef Martin Dulig auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU eingestellt; die Grünen stünden bei Bedarf als Mehrheitsbeschaffer bereit. Rechnerisch gibt es für R2G im Land derzeit ohnehin keine Mehrheit - wie seit jeher, sagt Lippmann: »Wir teilen uns immer ein Tortenstück von 36 bis 38 Prozent«. Um das Wählerpotenzial zu vergrößern, müsse man eine »gewisse Begeisterung« bei den Bürgern entfachen, sagt Schollbach - wofür Dresden und die beiden anderen Städte durchaus als »Modell« dienen könnten. Ob die Wähler in den jeweiligen Städten die Bündnisse honorieren, zeigt sich am Sonntag.
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