Wieder Proteste gegen tschechische Regierung

50.000 Protestierende forderten den Rücktritt von Justizministerin Marie Benešová und Premier Andrej Babiš

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Volk gibt keine Ruhe. Auch in dieser Woche folgten die Prager dem Aufruf der Initiative »Milion chvilek pro demokracii« (Millionen Momente für die Demokratie), um gegen die kürzlich erfolgte Bestallung der Justizministerin Marie Benešová zu protestieren. 50.000 Menschen versammelten sich, aus organisatorischen Gründen musste die Demonstration vom Altstädter Ring auf den Wenzelsplatz verlegt werden.

Den Organisatoren von »Milion chvilek« war dies überaus recht: Nicht nur, dass so viele Bürger ihrem Aufruf gefolgt waren, sondern auch der durchaus symbolträchtige Ort des Protestes zeugte von der Dringlichkeit des Anliegens. Wann immer es in der jüngeren Geschichte des Landes um die Verteidigung der Demokratie ging, versammelten sich die Prager auf dem Platz zwischen Graben und dem Nationalmuseum, in dessen Mitte der streitbare Heilige Wenzel auf seinem Roß sitzt.

Im November 1989 haben die Demonstrationen rings um den Wenzelsplatz zum Sturz des sozialistischen Regimes geführt. Der heute Regierende jedoch hat nur Spott für die Demonstranten übrig und erklärt, sie seien nur darstellungssüchtig.

»Pravda vítĕzí« - die Wahrheit siegt, so ist es auf dem Banner des tschechischen Staatspräsidenten zu lesen. Der Dichter und erste Präsident der Republik nach 1990, Václav Havel, erweiterte die Losung in »Láska vítĕzí« - die Liebe siegt. Die Protestierenden nahmen diese Mottos humorvoll auf und setzten sie in »Pravda a Láska vítĕzí« zusammen mit der Ergänzung: »auch über euch, Babiš und Benešová«. Hunderte von Transparenten forderten die Demission beider Politiker.

Doch längst geht es nicht mehr nur um die vollständige Aufklärung des Skandals um die veruntreuten EU-Subventionen für das zum Babiš-Imperium gehörende Spa »Storchennest«. Oder um die Befürchtung, die ehemalige Sozialdemokratin und jetzt für die Regierungspartei ANO antretende Benešová könnte eine Gleichschaltung der Justiz zum Schutz des amtierenden Regierungschefs durchsetzen.

Die einschneidenden Maßnahmen der Babiš-Administration auf dem Gebiet der Sozialpolitik sowie das in den Augen der Demonstranten verantwortungslose Handeln in Sachen Umwelt stehen auf dem Prüfstand. So erklärte Andrej Babiš erst dieser Tage, am Kernenergieprogramm des Landes festhalten und sich in dieser Angelegenheit von Brüssel nichts vorschreiben lassen zu wollen. Babiš weiß in dieser Angelegenheit Präsident Miloš Zeman an seiner Seite, die Bürger hingegen sehen die Pläne skeptisch.

Der Initiator von »Milion chvílek«, Mikuláš Minář, forderte die Regierenden zu einer öffentlichen Diskussion um die anstehenden Probleme heraus. Er könne sich zum Beispiel ein Fernsehduell vorstellen, so Minář.

Der Prager Bischof Václav Malý und weitere Prominente sprachen auf der Kundgebung, erinnerten die Regierenden an ihre Verantwortung gegenüber den Bürgern. Unter den Rednern waren auch der beliebte Sänger Tomáš Klus sowie der frühere Eishockey-Nationaltorhüter Dominik Hašek. Er erinnerte in seiner Ansprache an die Tätigkeit Babiš in den Reihen der früheren Staatssicherheit StB:

»An der Spitze unserer Regierung steht nicht nur ein Mann, gegen den strafrechtlich ermittelt wird, sondern auch ein früherer StB-Agent. Ein Mensch, der sich für das frühere System dem Teufel verschrieben hat, um daraus seinen persönlichen Vorteil zu ziehen«, erklärte Hašek mit dem Verweis darauf, wie Babiš zu seinem Firmenimperium und Reichtum gekommen ist.

Ungeachtet der Proteste erwartet man am kommenden Sonntag ein gutes Abschneiden von ANO bei den Europawahlen. Mit seinem Programm »Wir schützen Tschechien« reiht sich der Premier in die euroskeptische Garde der Visegrád-4-Staaten ein. Dabei wird er von einem beachtlichen Teil der Gesellschaft, der sich von der Union als Mitglied zweiter Klasse vernachlässigt fühlt, unterstützt.

Doch selbst ein gutes Wahlergebnis für die Regierenden wird die Protestbewegung nicht von weiteren Demonstrationen abhalten. Am kommenden Dienstag sind die Bürger der Regionalstädte aufgerufen, auf die Straße zu gehen. Und am 4. Juni wird sich wieder der Wenzelsplatz füllen.

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