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Empörung beim Boxweltverband
Jürgen Kyas, AIBA-Exekutivmitglied, nennt den Ausschluss durchs IOC »unbegründet«
Auch ein paar Tage nach der verheerenden Entscheidung ist Jürgen Kyas noch aufgebracht. Der Weltverband der Amateurboxer AIBA ist am Mittwoch vom Internationalen Olympischen Komitee suspendiert worden. IOC-Präsident Thomas Bach versicherte zwar, dass Boxen auch 2020 bei den Spielen von Tokio olympisch bleibt, die AIBA darf das Turnier jedoch nicht mehr organisieren. »Ich bin entsetzt darüber, wie Herr Bach das begründet«, beginnt Kyas, Präsident des Deutschen Boxsport-Verbands, das knapp halbstündige Gespräch mit dem »nd«, in dem später noch Worte wie »Unverschämtheit« und »Rufmord« fallen werden. Doch Kyas will sich nicht zurückhalten. »Ich stehe zu meinem Wort«, stellt er sofort klar.
Dass die AIBA, in dessen Exekutivkomitee Kyas sitzt, nicht der blitzsaubere Vorzeigeverband ist, räumt er durchaus ein. Zu lang war die Liste der Vorwürfe, die das IOC im vergangenen Jahr zwang, Veränderungen einzufordern - verbunden mit der Drohung, die Boxer von den Spielen in Tokio auszuschließen. Gleich bei mehreren Olympiaausgaben gab es Skandale. So wurden nach dem Turnier 2016 alle Ringrichter suspendiert. Die Ergebnisse aber blieben unverändert. Zudem häufte der 2017 aus dem Amt gejagte Präsident Wu Ching-Kuo Schulden von 40 Millionen US-Dollar (36 Millionen Euro) an. Sein Nachfolger Gafur Rachimow aus Usbekistan steht auf einer US-Sanktionsliste: Er soll angeblich eine führende Figur im zentralasiatischen Drogenhandel sein.
»Wir wurden berechtigterweise aufgefordert, zu bestimmten Vorgängen Stellung zu nehmen. Wir haben das aber auf über 7000 Seiten abgearbeitet«, sagt Kyas, der wie die gesamte AIBA-Führung bis zuletzt gehofft hatte, mit einem blauen Auge davonzukommen. Eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des Weltringerpräsidenten Nenad Lalović empfahl der IOC-Exekutive aber die Suspendierung des Boxverbands, und die folgte dieser Empfehlung am Mittwoch.
»Der Bericht von Herrn Lalovic ist nichtssagendes Blabla. Da ist nichts Fundiertes, das beweist, was als Grundlage der Suspendierung gilt. Es ist bedauerlich, dass hier versucht wird, seitens des IOC ein Exempel zu statuieren«, schimpft Kyas. Es sei nicht verständlich, warum die AIBA sanktioniert werde, wenn andere Verbände ähnliche Verstöße begangen hätten. »Und ich habe kein Verständnis dafür, dass Herr Wu, der lange die Verantwortung für das Desaster der Finanzen und der Olympischen Spielen in Rio 2016 trug, als IOC-Mitglied von Herrn Bach noch geschützt wird.«
Ganz so unkonkret, wie Kyas es darstellt, ist der IOC-Untersuchungsbericht allerdings nicht. Darin wird dem Weltverband vorgeworfen, dass er seine Gremien nicht vom Präsidenten unabhängig genug besetze. So habe dieser ein persönliches Vorschlagsrecht für die Mitglieder der Disziplinar-, Ethik- und Wahlkommissionen. Auch dürfe der Präsident vier Kandidaten in die Exekutive befördern, auch wenn sie bei der Wahl vorher durchgefallen sind. Kyas hält dagegen: »Die Exekutive ist das höchste Gremium. Innerhalb dessen hat auch der Präsident nur eine Stimme. Ein Vorschlagsrecht für Kommissionsposten ist gang und gäbe. Andere Gremien und nationale Verbände können ja auch Vorschläge machen. Am Ende entscheidet das Exekutivkomitee, nicht der Präsident. Es ist also Quatsch, was im IOC-Bericht steht.« Die AIBA-Regierung hat 25 Mitglieder.
Der Verband hat seine Verbindlichkeiten mittlerweile auf knapp 17 Millionen Dollar gesenkt. Um den Rest abzubauen, sind Verträge mit Gläubigern und Banken geschlossen worden, doch das IOC zweifelt sowohl an der Redlichkeit mancher Partner als auch an der Fähigkeit der AIBA, genügend Einnahmen zu generieren. »Jetzt werden alle Verträge durch Herrn Lalovic in Zweifel gezogen, obwohl er nichts beweisen kann. Das ist eine Unverschämtheit«, sagt Kyas.
Die Rettung sollte ohnehin Umar Kremlew heißen. Der Mann ist Generalsekretär des russischen Boxverbands und bot jüngst an, die Schulden für die AIBA zu bezahlen. Doch der IOC-Bericht bezweifelt, dass Kremlew überhaupt so viel Geld hat. Werden die Schulden nicht getilgt, könnten die üblichen Zuwendungen des IOC an die AIBA zum Schuldenabbau genutzt werden anstatt zur Fortentwicklung der Sportart, wie es beabsichtigt ist. »Hier wird suggeriert, das Geld könnte aus kriminellen Geschäften stammen. Dagegen verwahre ich mich. Ich kenne Herrn Kremlew als persönlichen Freund. Er ist über jeglichen Verdacht erhaben«, so Kyas.
Die zentrale Reizfigur bleibt letztlich Gafur Rachimow. »Bis heute hat weder das IOC, noch die US-Finanzbehörde nachgewiesen, dass Herr Rachimow straffällig geworden ist. Es läuft kein Ermittlungsverfahren. Das nenne ich dann Rufmord«, sagt Kyas. Die Unschuldsvermutung müsse auch für Herrn Rachimow gelten. Der Usbeke, der alle Vorwürfe abstreitet, sei im März ohnehin »komplett vom Amt des Präsidenten zurückgetreten«, versichert das deutsche Exekutivmitglied.
Doch laut IOC-Bericht liegt nahe, dass Rachimow noch immer die Strippen zieht und sogar ins Amt zurückkehren könnte. Schließlich wird er auf der AIBA-Website noch als »Präsident (inaktiv)« geführt. Man könne ihn sogar unter president@aiba.org anschreiben. Ein kompletter Rücktritt sieht vermutlich anders aus, doch Kyas bleibt dabei: »Wir sind keine sportpolitischen Selbstmörder. Für wie dumm hält man uns eigentlich? Dass wir so einen Weg gehen wollten, ist eine bösartige Unterstellung des IOC.«
Der Marokkaner Mohamed Moustahsane ist nun Interimspräsident. Auch den hält das IOC aber für keine optimale Lösung, sei er doch bei Olympia in Rio für die Besetzung der Ringrichter verantwortlich gewesen. Genau die, die später allesamt gesperrt wurden. »Wenn das IOC uns jetzt vorschreibt, wen wir in unsere Ämter wählen, wird die Demokratie mit Füßen getreten. Noch bestimmt jeder Verband selbst über sich und Herr Moustahsane hat auf seiner weißen Weste kein graues Fleckchen«, beteuert Jürgen Kyas. Er rechnet nun mit einer Klage der AIBA gegen die IOC-Entscheidung. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen, und die Boxerinnen und Boxer werden weiter warten müssen, ob und wie sie im August 2020 nach Tokio gelangen.
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