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Zeit, die nie vergeht
Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles tritt überraschend von allen Ämtern zurück. / Die Sozialdemokraten suchen Nachfolger, die CDU fordert Stabilität in der Großen Koalition.
Berlin. Nach der Pleite der SPD bei der EU-Wahl und den folgenden Personaldebatten hat die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles ihren Rückzug von beiden Ämtern angekündigt. Der »notwendige Rückhalt« in der Partei sei nicht mehr da, schrieb Nahles am Sonntag an die SPD-Mitglieder. Wer ihr nachfolgt, blieb zunächst unklar. Nach Angaben einer Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion will Nahles auch ihr Bundestagsmandat niederlegen. Die 48-jährige Nahles war im April 2018 als erste Frau an die SPD-Spitze gewählt worden. Seit September 2017 war sie Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.
Hintergrund für den Rückzug der Politikerin sind die massiven Stimmenverluste der SPD bei den jüngsten Wahlen. Bei der Wahl zum EU-Parlament vor einer Woche erreichte die SPD mit 15,8 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung. Zugleich wurden die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl in Bremen zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg nicht stärkste Kraft.
Nahles hatte deshalb und als Reaktion auf Kritik ursprünglich angekündigt, sich am Dienstag vorzeitig zur Wiederwahl als Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion zu stellen.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Rücktritt von Nahles als SPD-Partei- und Fraktionschefin bedauert. »Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken«, sagte der Finanzminister am Sonntag. Eine weitere Große Koalition nach der nächsten Bundestagswahl lehnt er ab. »Drei Große Koalitionen in Folge würden der Demokratie in Deutschland nicht gut tun«, sagte er dem »Tagesspiegel«. Eine Fortsetzung wolle niemand - »nicht die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Union und wir Sozialdemokraten schon gar nicht«.
Der Juso-Chef hat Kevin Kühnert hatte den innerparteilichen Umgang der Sozialdemokraten miteinander in scharfen Worten kritisiert. »Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben«, schrieb Kühnert am Sonntag auf Twitter. »Ich schäme mich dafür.«
Auch Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag, kritisierte die Vorgänge bei den Sozialdemokraten: »Hochachtung vor Andrea Nahles. So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir darüber alle einfach nur nach.«
Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles hat sich der Kölner SPD-Abgeordnete und Fraktionsvize Rolf Mützenich bereit erklärt, kommissarisch und geschäftsführend die Führung der Fraktion zu übernehmen. »Ich habe das schon häufiger als Vertretung für Andrea Nahles getan«, sagte Mützenich gegenüber Medien. Als Dienstältester im Vorstand sei das ein völlig normaler Vorgang. Mützenich hielte es zudem für eine gute Lösung, wenn die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer kommissarisch die Parteiführung übernehmen würde. Der Parteivorstand will am Montag in der Frage entscheiden, die Fraktion am Dienstag.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat an die SPD appelliert, trotz des Rückzugs von Nahles die Stabilität der schwarz-roten Regierung nicht zu gefährden. Sie gehe davon aus, dass die SPD die nun notwendigen Personalentscheidungen zügig treffen werde »und die Handlungsfähigkeit der großen Koalition nicht beeinträchtigt wird«, sagte Kramp-Karrenbauer. Für die CDU gelte: »Wir stehen weiter zur Großen Koalition.«
Der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, stellt als Bedingung für eine Fortsetzung der Großen Koalition, dass die SPD zu den getroffenen Vereinbarungen steht. »Sollten sich in der SPD Tendenzen durchsetzen, die eine ganz andere Politik wollen, dann wird es schwierig in Berlin.«
Die Grünen haben derweil erstmals in einer Umfrage zur Bundestagswahl die Union von Platz eins verdrängt. Im Forsa-Trendbarometer gewinnen die Grünen eine Woche nach ihrem Erfolg bei der Europawahl neun Prozentpunkte hinzu und landen bei 27 Prozent. CDU und CSU liegen mit 26 Prozent knapp dahinter. Die SPD stürzt nach ihrer historischen Wahlniederlage vom vergangenen Sonntag um fünf Punkte auf zwölf Prozent ab - erneut ein historisches Tief. Agenturen/nd
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