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NADA will Löcher im Kontrollnetz stopfen
Nach dem Erfurter Dopingskandal setzt die Antidoping-Agentur stärker auf eigene Ermittlungen und Whistleblower
Prozente, Nachkommastellen, juristische Einordnungen. Jahresberichte der Nationalen Antidoping-Agentur NADA waren in den vergangenen Jahren nicht immer die spannendsten ihrer Art. Dass der Report des Jahres 2018, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, interessanter werden würde, war schon vorher klar, obwohl das größte Interesse der Fragesteller mit jüngeren Ereignissen aus dem Jahr 2019 zu tun hatte. Die Eindrücke der »Operation Aderlass« rund um den Erfurter Dopingarzt Mark S. sind noch sehr frisch und bestimmen derzeit die Arbeit der NADA.
»Die Bilder der Ermittlungen sind erschreckend. Schwerwiegende gesundheitliche Risiken wurden von den Sportlern völlig ausgeblendet«, zeigte sich die Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann auch gut drei Monate nach Auffliegen des Skandals während der Nordischen Ski-WM in Seefeld fassungslos über die Praktiken des internationalen Doperrings. Auch ihr sonst betont sachlicher Vorstandskollege Lars Mortsiefer bezeichnete die gewonnenen Erkenntnisse über mindestens 21 dopende Sportler als »sehr schlimm«. Wöchentlich würden sich NADA und die Staatsanwaltschaft München austauschen. Bei Razzien seien nicht nur Blutbeutel sichergestellt worden, sondern auch Dokumente und Festplatten. »Ich will nicht ausschließen, dass sich der Kreis der 21 Athleten noch erweitert. Ich glaube, wir sind noch lange nicht am Ende«, so Mortsiefer.
Im Zentrum der strafrechtlichen Ermittlungen steht ein deutscher Arzt, doch mit dem Eisschnellläufer Robert Lehmann-Dolle hat die NADA auch bereits einen ehemaligen deutschen Olympiaathleten vor ein Sportschiedsgericht gestellt. Dies sei übrigens nicht auf die Aussagen des beschuldigten Arztes zurückzuführen, sondern auf an die NADA herangetragene Hinweise eines Whistleblowers. »Das zeigt, dass das der Weg sein muss. Wir brauchen weiter flächendeckend viele Kontrollen zur Abschreckung. Aber wir brauchen auch Zielkontrollen auf der Basis von Informationen der Whistleblower«, beschrieb Mortsiefer die geplante Ausweitung der Antidopingarbeit. Zu den bisherigen zwei Säulen Prävention und Kontrollen geselle sich nun eine dritte hinzu: investigative Ermittlungsarbeit.
Die Zahlen geben Mortsiefer recht. So wurden 2018 mehr als 16 000 reguläre Urin- und Blutproben genommen. Daraus resultierten lediglich 69 mögliche Dopingverstöße. Aufgrund von Ausnahmegenehmigungen verringerte sich die Zahl der ausgesprochenen Sanktionen sogar noch auf 14. Über das Whistleblowerprogramm »Sprich’s an« kamen zwar nur 54 Meldungen hinein, die allerdings führten zu 28 Zielkontrollen, von denen sechs positiv ausfielen. »Das sind 22 Prozent aller Zielkontrollen. Nicht Null-komma-irgendwas«, betonte Mortsiefer die viel höhere »Trefferquote«.
Hauptgründe für den ansonsten viel winzigen Anteil positiver Proben sind das relativ dichte Kontrollnetz in Deutschland sowie die geringe Zahl dopender Sportler hierzulande. Letzteres legen zumindest Nachtests der NADA von 560 langzeitgelagerten Proben aus den Jahren 2011 und 2012 nahe. Trotz verbesserter Analysemethoden sei dabei kein weiterer Dopingfall hinzugekommen, teilte Gotzmann mit. Dabei hatte das IOC bei seinen nachgetesteten Olympiaproben von 2008 und 2012 zuletzt mehr als 100 Sünder doch noch ertappt. »Es ist ein sehr gutes Zeichen für deutsche Athleten, die oft mit Dopingvorwürfen konfrontiert werden, die jeglicher Grundlage entbehren«, übte sich Andrea Gotzmann in vorsichtigem Lob.
Vorsichtig deswegen, weil der Fall Erfurt eben doch Lücken im Kontrollnetz offenbart hat. Daher will die NADA künftig auch in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung testen, also sogar nur Stunden vor einem Wettbewerb. Das galt lange als unverhältnismäßig. Dopingsünder hatten ausgesagt, dass nur bis zum Tag vor dem Wettkampf gedopt wurde. »Es war absolut neu, dass man jetzt direkt davor noch unter den erbärmlichsten Umständen dopt. Da hatten wir bisher keine Blutkontrollen durchgeführt, aber das Fenster müssen wir jetzt schließen«, sagte Gotzmann. Das wird auch saubere Sportler treffen. Und die NADA muss mit Vorwürfen rechnen, die Chancengleichheit zu beeinflussen, wenn einem Athleten kurz vor dem Start noch Blut abgenommen wird, dem anderen aber nicht. Darauf ist NADA-Vorstand Mortsiefer auch eingestellt: »Chancengleichheit und Verhältnismäßigkeit sind unsere obersten Prämissen, aber die Alarmglocken sind angegangen. So etwas darf nicht mehr passieren.«
Am liebsten will er schon vorher gemeinsam mit Kriminalbeamten im ganzen Land die investigative Arbeit stärken. Die NADA-Tester sollen zudem das Umfeld einer Kontrolle besser beobachten und sich vor der Blutabnahme auch den zweiten Arm zeigen lassen, um eventuell Einstichstellen von Nadeln zu finden. Mortsiefer zufolge lautet die Prämisse ab jetzt: »Augen auf!«
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