Ein Gesetz, ein Pakt - aber kein Plan?

Birgit Hoppe bezweifelt, dass die Pflegereform den Berliner Pflegenotstand lösen kann

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 6 Min.

Frau Hoppe, das Pflegeberufegesetz und der Berliner Pflegepakt sollen den Fachkräftemangel beseitigen und die Pflegebedingungen sowie die Arbeitssituation der Beschäftigten verbessern. Was halten Sie von den geplanten Reformen?

Das Pflegeberufegesetz ist eine Reform, die es meines Wissens bundesweit so noch nicht gegeben hat. Sie beinhaltet eine komplette strukturelle Umstellung der Ausbildungen. Ziel ist der Zugewinn von Fachkräften, das heißt eine deutliche Steigerung der Auszubildendenzahlen. Zahlreiche Verbände im Bündnis für Altenpflege auf Bundesebene haben Zweifel, dass dies mit der geplanten Reform gegenwärtig zu erreichen sein wird. Das Problem der fehlenden Bewerber hat nämlich nichts mit der Ausbildung an sich zu tun, sondern damit, dass es nicht mehr genügend geeignete Bewerber und weniger Schulabgänger gibt. Und natürlich spielen auch die Arbeitsbedingungen und Gehälter eine Rolle.

Zur Person
Dr. Birgit Hoppe ist Direktorin der Stiftung Sozialpädagogisches Institut „Walther May“ Berlin (SPI), Vorsitzende des Pflegeschulbunds Berlin und als Vorstandsvorsitzende des bundesweiten Arbeitskreises Ausbildungsstätten für Altenpflege (AAA) tätig. AAA und Pflegeschulbund Berlin haben den Berliner Pflegepakt nicht unterschrieben. 

Und auf der Berliner Ebene?

Hier haben wir den Pakt für die Pflege, der im Kern dasselbe transportiert, nämlich eine Profilierung des Pflegeberufs und eine Steigerung der Auszubildendenzahlen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Arbeitskreis Ausbildungsstätten für Altenpflege, für den ich stehe, ebenso wie viele andere auch, wollen ebenfalls die Zahlen steigern, wir müssen sie steigern. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es gute Gründe zu bezweifeln, dass ein solches Ziel erreichbar ist. Das gilt bundesweit und in besonderer Weise auch für Berlin.

Inwiefern?

Sie können das daran sehen, wie wir in Berlin auf das Pflegeberufegesetz, das am 1.1.2020 in Kraft treten soll, vorbereitet sind. Dann verstehen Sie vielleicht, welche Schwierigkeiten ich auch für den Berliner Pflegepakt befürchte. Es sieht wie folgt aus: Seit dem Gesetzesbeschluss im Juli 2017 sind 24 Monate vergangen. Es fehlt aber noch immer an einer soliden Basis für die Umsetzung, für die die Pflegeschulen und Ausbildungseinrichtungen die Vorgabe bekommen haben. Das betrifft zum ersten das Budget. Es gibt eine erst seit Ende Mai eine verabredete Budgethöhe, die jedoch noch unter Gremienvorbehalt steht. Aktuell fragt das Land die Miethöhen ab – jetzt erst. Das heißt auch, jetzt, ein halbes Jahr vor Beginn der neuen Ausbildung, haben die Schulen keine verbindliche Zusage, ob beziehungsweise in welcher Höhe ihre Mieten überhaupt übernommen werden.

Im Weiteren werden erhebliche Investitionskosten anfallen, weil zukünftig für drei Ausbildungen gleichzeitig ausgebildet werden soll. Diese werden aber nicht über den eingesetzten Finanzierungsfond abgedeckt. Erst hieß es, wir müssen noch auf die Ausbildungs- und Prüfungsordnung warten, die wurde im Oktober 2018 beschlossen. Man hätte sich aber auch schon mit einem Rahmenlehrplan befassen können. Für die Schulen gibt es für die Entwicklung der neuen Strukturen und Curricula kein Extrapersonal. Ein Bundesrahmenplan soll Ende Juni vorliegen. Berlin startet erst jetzt mit ersten Überlegungen.

Wie wird es in der konkreten Ausbildungspraxis aussehen?

Es gibt keine Klärung, wie wir die vorgeschriebenen Pflichteinsätze umsetzen können. Wir haben das Nadelöhr Pädiatrie. Da müssen alle in einem Pflichteinsatz durch. Es gibt aber gerade mal für diejenigen, die Kinderkrankenpfleger*innen werden wollen, ausreichend Plätze in den Kliniken. Für alle anderen nicht. Ähnlich ist es in der Psychiatrie. Ein weiteres Problem in Berlin ist der Umstand, dass die ambulanten Träger, die zukünftig auch für Pflichteinsätze zur Verfügung stehen müssen, personell und generell kaum in der Lage sind, diesen Ausbildungsauftrag zu stemmen.

Das Gesetz legt weiterhin mit 300 Stunden Praxisleiterqualifizierung und 10 Prozent Anleitung in der Woche Anforderungen an die Praxisanleiter*innen an, die mit der Personalsituation in allen Arbeitsfeldern, ob ambulant, stationär, oder in der Klinik, im Grunde nicht zu bewältigen sind. Dazu kommt, dass die Träger die Praxiseinsätze garantieren müssen. Bei der Anhörung zum Pflegepakt im Abgeordnetenhaus am 8. April 2019 hat Reinhard Kleibs, Geschäftsführer der Sozialstiftung Köpenick, berichtet, wie er für seine 13 Auszubildenden sieben Gespräche mit Kliniken brauchte, um die Azubis unterzubringen. Sie können sich vorstellen, wie arbeitsintensiv solche Kooperationsverhandlungen sind.

Sie haben jetzt vor allem von der Krankenpflege gesprochen. Trifft all dies auch auf die Altenpflege zu?

Die Altenpflege ist systematisch in einer noch schwierigeren Situation. Hier gibt es kein stetes Gebilde wie an Krankenhäusern, die selbst ausbilden. In den Altenpflegeschulen haben sie unter Umständen 20 Auszubildende von 20 Trägern – eine Vielzahl an Kooperationen und Partnern. Auch hier muss der Pflichteinsatz im Akutbereich Krankenhaus sichergestellt werden. Qualitativ hat die Altenpflege ein hochkomplexes Anforderungsspektrum, besonders mit herausforderndem Verhalten, nicht nur mit Demenz, auch mit immer mehr chronisch Kranken, mit mehr psychiatrischen Erkrankungen.

Wenn jetzt in den ersten zwei Jahren für drei spezifische Arbeitsfelder gleichzeitig ausgebildet werden soll, bedeutet das natürlich, dass bestimmte Qualifikationen nicht mehr möglich sind. Dazu kommt, dass die Auszubildenden nicht zeitgleich ihre Praxiseinsätze absolvieren können, weil es nicht genügend Plätze gibt. Die bisherige enge Personalbindung beim Ausbildungsträger konnte vieles auffangen: persönliche Krisen, Sterbefälle. Das fällt weg. Man muss damit rechnen, dass es mehr Überforderungssituationen gibt, gegebenfalls mehr Ausbildungsabbrüche.

Und jetzt haben wir noch nicht über die Menschen gesprochen. Alte Menschen haben ein Bedürfnis nach Beziehungskontinuität und ein Recht auf Bezugspflege. Wenn die Pflegeperson jetzt häufiger wechselt, wie werden sie das kompensieren? Dazu kommt: 40 Prozent der Menschen, die in Berlin bisher in der Altenpflege ausgebildet wurden, wurden über die Möglichkeit der berufsbegleitenden Ausbildung gewonnen. Das sind engagierte, lebenserfahrene Menschen zwischen Mitte 20 und 50, die unglaubliche Qualität in die Altenpflege hineintragen! Diese Form der Ausbildung wird aufgrund der Regelungen im Pflegeberufegesetz schwerer zu realisieren. Berlin hat bis heute dafür noch keine Lösung! Das Problem ist auch hier die Finanzierung.

Die Menschen, von denen ich hier gesprochen habe, haben selbst ganz andere Ansprüche und Verpflichtungen, die kommen mit einem Azubigehalt nicht klar. Die Idee eines »Stipendiums«, dass etwas oben drauf legt, wie es Frau Kalayci in die Diskussion bringt, wird das Problem nicht lösen. Es muss dafür Regelfinanzierungen geben. Ohnehin halte ich das Wort Stipendium in diesem Zusammenhang für ein sehr unglückliches Wort.

Was hätten Sie angesichts des Pflegenotstands anders gemacht?

Wenn ich Entscheidungen hätte treffen können, hätte ich gesagt: Stärkt die vorhandenen Systeme! Es braucht ein Gesamtbildungskonzept. Ich finde es ein Unding, dass die Pflegeschulen zu »Schulen besonderer Art« erklärt wurden. Schulen gehören ins Schulrecht, ins steuerfinanzierte Schulsystem. Stattdessen muss jetzt über alles verhandelt werden. Das ist gleichstellungspolitisch ein Rückschritt und bildungspolitisch ein Systembruch. Und die Auszubildenden? Die brauchen Qualifikationswege, das heißt Perspektive in der eigenen Berufswegeplanung, auch hinsichtlich des Entgelts. Das bringt Motivation.

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