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Mit dem Gefangenentransporter in Richtung Pressefreiheit
nd-Redakteur Fabian Hillebrand wurde bei den Ende-Gelände-Protesten an der Ausübung seines Berufes gehindert
Vor einigen Minuten war alles gut. Da sangen die Kohlgegner, die gekommen sind, um den Bagger im rheinischen Revier stillzulegen, noch ihre Lieder. Aktivist*innen, die den Klimaschutz selbst in die Hand nehmen wollen. Die im Angesicht einer globalen Krise radikaleres und konsequenteres Handeln fordern. Bis kurz vor den riesigen Bagger sind sie gekommen, bevor Polizei und Mitarbeiter von RWE sie gestoppt haben. Mehrere Stunden saßen sie an dieser Stelle in der Hoffnung, eine der größten C02-Schleudern lahmgelegt zu haben. Haben sie das? Wahrscheinlich nicht. Die Sonne scheint gnadenlos und der Wind schafft eine kühle Brise. Es ist das Gegenteil von Dunkelflaute, wenn ein bewölkter Himmel die Sonnenstrahlen bricht, kein Lüftchen bläst und die alten, riesigen Bagger wie fossile Dinosaurier noch einmal alles geben. An sonnigen Tagen wie heute aber wird der Strombedarf in Deutschland zu einem großen Teil aus erneuerbaren Energien gedeckt. Dann stehen die Bagger meist still.
Die Polizei räumt die Aktivist*innen trotzdem, die eben noch tanzten und sich Gedichte vorlasen. Als die Beamten damit anfangen, sieht das brutal aus. Mit schmerzhaften Griffen werden die Aktivisten aus der gegenseitigen Umklammerung heraus getrieben, einige Meter über den Boden geschleift. Es wird geschrien und gebrüllt, Schmerz bekundet und beleidigt. Die Klimaaktivisten tun alles, um der Polizei die Räumung zu erschweren. Sie haken sich unter, machen sich schwer, lassen sich ohne Körperspannung abführen und fallen so immer wieder hin.
Vielleicht ist manch ein Schmerzensschrei lauter, als er sein müsste, denke ich. Dann wird mir die Hand nach hinten geknickt. Es tut fürchterlich weh. Ich schreie laut auf. Ein Polizist führt mich ab. Ich habe mich eben noch mit ihm unterhalten. Er bat mich, zur Seite zu gehen. Ich machte Platz, gehe einen Schritt weiter die Abbaukante nach oben, weiter weg von der Räumung, filme weiter mit der Kamera. Der Polizist hätte sich wohl etwas anderes gewünscht. So interpretiere ich zumindest das «Was habe ich dir gesagt!», das er mir ins Ohr brüllt, während ich abgeführt werde. Ich schreie «Presse, Presse». Ich hätte auch «Polizei, Polizei» schreien können. Das wäre wenigstens originell gewesen. Und ich hätte mir die nächste Bemerkung erspart. «Presse ist ja heutzutage jeder.»
«Muss das so doll sein?», presse ich zwischen meinen Lippen hervor. Der Druck auf mein Handgelenk lässt nach. «Sehen Sie, wir können doch auch vernünftig miteinander reden», sagt mein Peiniger. Inwieweit unsere Konversation gerade ein vernünftigeres Level erreicht hat als vorher, erschließt sich mir nicht sofort. Aber zumindest tut es nicht mehr so weh. Kurz darauf lässt er sogar los. Wir sind an der Stelle angekommen, wo die bereits abgeführten Kohlegegner sitzen und auf ihren Abtransport in die Gefangenensammelstelle warten.
Ich versuche es noch einmal: «Ich bin von der Presse. Ihr könnt mich doch nicht einfach abführen!» «Aber natürlich können wir das. Du hast hier Hausfriedensbruch begangen. Außerdem ist hier Lebensgefahr. Stufe 3, Mann. Da kannst du hier nicht einfach rumlaufen», wird mir entgegnet. Das hat schon eine gewisse Komik, immerhin sind hier über 1000 Aktivisten, einige hundert Polizisten und RWE-Mitarbeiter zugegen und kraxeln durch den Tagebau. Warum bin ich besonders gefährdet?
Mein Retter sieht aber eigentlich aus, als könnte man gut mit ihm Bier trinken. Weniger Robocop, mehr durchtrainierter Familienvater. Ich möchte trotzdem lieber seinen Einsatzleiter sprechen. Will ihn fragen, mit welcher Begründung ich hier festgesetzt werde, nicht berichten darf. Mein Presseausweis hängt um meinen Hals, ist also deutlich zu erkennen. Ich drohe damit, gleich einen Livestream auf Twitter zu starten, in dem ich von meiner Festsetzung berichte. Ich bluffe. Mein Handy hat nur noch drei Prozent Akku.
Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Der Einsatzleiter wird kontaktiert. Es dauert. Mein Bewacher sagt, das mit meinem Handgelenk sei gar nicht schlimm gewesen. Bei anderen hätte er das schon doller gemacht. Ich hätte auch irgendwie ein hartes Handgelenk, das könne man gar nicht so sehr nach Hinten durchdrücken wie normal. Ich solle da mal nicht so eine Memme sein, sagt er, lacht. Er fragt mich, ob ich Fußball mag. Tue ich, bin Fan von Werder Bremen. Wir unterhalten uns ein wenig. Wo steht Werder gerade? Kurz vor Europa natürlich! Er lacht wieder. Ich fühle mich schlecht. Eigentlich sollte ich hier Rabatz machen. Denn dieser Beamte hat mich der Ausübung meines Berufes gehindert, die freie Presse beschnitten. Er will mir weder seinen Namen noch den seines Einsatzleiters nennen. Und er glaubt nicht, dass der glorreiche SV Werder das Potential für Europa hat. Ich scherze trotzdem mit ihm, vielleicht, weil der kumpelhafte Männerplausch angenehmer ist als die verdrehte Hand hinter dem Rücken. Vielleicht auch, weil ich mir ausgeliefert vorkomme. Und vielleicht, weil ich glaube, dass sich so meine Chancen erhöhen, dass er mir gleich die Hand gibt, lacht und sagt: «Herr Hillebrand, das hier ist ein Missverständnis. Es tut mir leid. Gehen sie einfach zurück.» Im Gegenzug würde ich mich entschuldigen, mit einem Videostream gedroht zu haben. Wir würden uns auf die Schulter klopfen für die Arbeit des anderen und in den Sonnenuntergang schauen.
«Wir bringen sie jetzt zum Gefangenentransport, sagt der Familienpapa in Polizeiuniform. Ich schicke aus meiner Hosentasche einen Tweet und eine Nachricht ab: 18:10: »Polizei hat mich aus der Demonstration abgeführt, prüft meinen Presseausweis, nimmt Personalien auf und will mich mit Bus abtransportieren.« Und ich schicke eine Nachricht an zwei Kolleginnen, sie sollen eine parlamentarische Beobachterin in Kenntnis setzten. Das sind Abgeordnete aus den Landtagen und dem Bundestag, die bei Protesten wie »Ende Gelände« zugegen sind, um sich ein eigenes Bild zu machen und manchmal auch, um die Einhaltung von Gesetzen zu gewährleisten.
Ich diskutiere mit den Polizisten. Ich will nicht gehen, sie dürfen mich nicht abtransportieren, der Pressefreiheit wegen. Der Familienvater und zwei dazugekommene Polizisten (Typ Türsteher) stoßen mich in Richtung des Busses, mit dem ich und mehrere Demonstranten weggefahren werden sollen. Ich laufe möglichst langsam. Dann tatsächlich: »Halt!« Eine Parlamentarierin, Grünen-Politikerin aus Niedersachsen, ist bei dem Bus angekommen. »Sie wollen doch nicht wirklich den Pressetypen mitnehmen?« Wollen sie dann tatsächlich nicht mehr. Der Bus fährt ohne mich ab.
Allerdings: Auch die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit muss jetzt los und damit auch mein Familienpapa. Der übergibt mich an eine andere Polizeieinheit. Und die ist überfordert mit mir. Niemand weiß, was geschehen soll. Diverse Einsatzleiter und Pressestellen werden angerufen. Niemand kann mir sagen, ob ich festgesetzt bin oder nicht. Und wenn ja, weshalb eigentlich. Klar ist nur: Ich darf weder zurück zu der Räumung des Tagebaus noch von meiner Position aus, die sich noch in Sichtweite der Proteste befindet, Fotos machen. Immerhin kann ich mein Handy benutzen, in meiner Redaktion anrufen. Ab und zu diskutiere ich mit einem neu dazu gezogenen Pressesprecher oder Einsatzleiter über die Unsinnigkeit dieser Maßnahme. Und dann tatsächlich: Ein grauhaariger und sehr freundlicher Polizist bereitet dem Schrecken ein Ende. Er findet das Ganze inzwischen auch ein wenig albern und bietet mir an, ich könne doch von einem Platz hinter zwei RWE-Geländewagen und etwa 80 Meter von der Räumung entfernt Fotos machen und berichten. Solange ich nicht näher dran gehe, würde mich die Polizei nicht behindern. Ich sei auch nicht festgenommen, sagt er mir.
Wunderbar! Natürlich wäre ich gerne näher dran gewesen. Aber alleine, dass ich nicht mehr verhaftet oder in Gewahrsam genommen oder in einer polizeilichen Maßnahme bin, beruhigt mich. Ich gehe zu dem mir zugewiesenen Platz und beobachte die Räumung. Ich schieße ein paar Fotos, auch wenn ich mit meinem Kameraobjektiv nicht so nah dran komme, wie ich will. Ein Polizist spricht mich von hinten an: »Das geht nicht, sie können hier nicht bleiben!« Er hat eine blaue Jacke an, die ihn als Teil des Presseteams kennzeichnet. Er begleitet drei weitere Journalisten, die aus der Entfernung Fotos machen dürfen. Er informiert sie, was hier passiert ist. Mit den Demonstranten dürfen sie aber nicht reden. Im Gegensatz zu anderen Journalisten, die noch bei der Räumung sind.
Nun will er mit ihnen weiter fahren - und mich mitnehmen. »Sie können hier nicht bleiben«, sagt er mir. »Sie müssen jetzt gehen!«. Bei den anderen Pressevertretern ist aber kein Platz mehr im Auto. Und plötzlich werde ich doch zum nächsten Gefangenentransporter gebracht. Mir wird versichert, dass ich mich in keiner polizeilichen Maßnahme befinde. Das kommt mir anders vor. Uns so werde ich an die andere Seite des Tagebaus gebracht.
Spätestens im vergitterten Bus hätte ich dann den Stream starten müssen. Ein Livevideo aus dem Gefangenentransporter. Embedded Journalism at it's best. Martin Kaul hätte seine Selfiesticks einpacken können. Aber mein Akku ist leer, meine Finger zittern und ich wüsste gerade auch nichts zu erzählen. Aber einen Selfie mache ich und lade ihn auf Twitter hoch. Immerhin soll es wer mitkriegen, das die Polizei mich gerade mit einem Gefangenentransporter aus der Grube fährt.
Am anderen Ende des Tagebaus werde ich tatsächlich frei gelassen. Im Gegensatz zu meinen Mitfahrenden, die alle einzeln identifiziert werden. Mein Twitter-Account platzt. Meine Festnahme sorgt dort für Aufruhr, wütende und besorgte Tweets, viel Zusprache (Danke!!), aber auch ein paar Beleidigungen sind eingegangen. Ich will das Handy wieder einstecken, sehe aber noch einen Tweet von der Polizei Aachen: »Guten Tag Herr Hillebrand, sollten sie weiterhin aus dem Tagebau heraus berichten wollen, wenden Sie sich bitte an unsere Pressestelle. Wir werden ihnen, wie bereits anderen Pressevertretern, den erneuten Zugang ermöglichen.« Ein Hoch auf die Polizei Aachen. Und auf die Pressefreiheit. Ich stecke das Handy weg. Ich bin müde. Ich laufe die drei Kilometer bis in das nächste Dorf. Meine Hand schmerzt. Auch am nächsten Tag noch. Ich Memme!
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