Indien geht es an die Wasserreserven

Der ausgetrocknete Subkontinent wartet auf den Monsun, die Regierung gründet ein Wasserministerium

  • Natalie Mayroth, Mumbai
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir warten alle auf den Regen«, sagt die Hausfrau Anju Vilas aus Mumbai. Über eine Woche ist er nun schon überfällig, sagt der Meteorologe KS Hosailkar. Das sei aber nicht so ungewöhnlich, denn jeder Monsun sei anders. Dennoch bereitet es den Menschen in Indien Sorge. Rund 600 Millionen Menschen leiden derzeit unter Wasserknappheit. Eine Hitzewelle im Norden des Landes führte in Bihar zu über 180 Toten. Im südindischen Chennai wurde eine Wasserkrise ausgerufen. Auch in Westindien ist die Lage, trotz ersten Regens, angespannt.

Besonders auf dem Land, wie Pramod Karad erzählt, dessen Eltern eine Farm 150 Kilometer von Mumbai entfernt bewirtschaften: »Einmal in der Woche fließt bei uns im Dorf Patole das Wasser für 20 Minuten durch die Leitungen«, sagt der 26-Jährige. Ihre beiden Kühe mussten sie in eine staatliche Auffangstelle geben, da das Wasser ausgegangen ist. Gerade werden sie über Wassertanker versorgt, doch der Staat kommt nicht immer hinterher. Dann wird privat dazugekauft. Das geht ins Geld und es geht auch um die Existenz. Bauern im ganzen Land wurden angehalten, kein Saatgut zu streuen.

Früher waren es noch zwei bis drei Felder, die sie bestellten. »Derzeit ist es noch eines, und die Ernte wird in diesem Jahr nicht gut ausfallen«, sagt Karad. Die nächsten drei Wochen wird sich ihre Lage nicht verbessern, befürchtet er. Selbst wenn der Monsun jetzt eintrifft, wird es dauern, bis die Wasserspeicher sich wieder füllen. »Die Brunnen werden immer tiefer gegraben, da der Grundwasserspiegel fällt«, erklärt Karada. Im November beginnt erneut das Wasserzusammenhalten, denn schon im März geht es dann an die Reserven. Seine Familie - er muss zum Familieneinkommen beisteuern - kommt mit den Einnahmen aus der Landwirtschaft nicht mehr aus.

Im Fischerviertel in Mumbai läuft das Wasser dagegen einmal am Tag. Um hier einen Engpass zu umgehen, hat die Stadt die Wasserration um 15 Prozent verringert. Doch »dieses Jahr ist es richtig angenehm«, sagt Anju Vilas, denn es gibt Wasser. Zum Trinken muss es dennoch abgekocht oder für 1,20 Euro pro 20 Liter dazu gekauft werden. Besonders unter dem Wassermangel leidet die ärmere Bevölkerung auf dem Land. Städte wie Mumbai oder Chennai werden mit Wasser aus den umliegenden Gebieten versorgt, welches dann Anwohnern wie Bauern vor Ort fehlt.

Der Regen, der am Wochenende in mehreren Teilen des Landes einsetzte, sorgte für Erleichterung. Doch er kann das Problem nur kurzzeitig lindern. Indien geht es an die Wasserreserven. Bereits im vergangenen Jahr meldete der Regierungs-Thinktank Niti Aayog, dass über 20 Großstädten bis 2020 das Wasser ausgehen könnte und dass Indien unter der schlimmsten Wasserkrise seiner Geschichte leidet. Deshalb fordert Umweltschützer Nityanand Jayaraman ein Umdenken bei den Behörden. »Es kommt nicht darauf an, ob diese Wasserkrise auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Es kommt darauf an, dass wir unseren Lebensstil so anpassen, dass wir mit dem Wasser auskommen, das wir haben«, sagt er.

»Es wird derzeit schlimmer«, sagt Jayaraman, der im Süden Chennais lebt. In das Ende Mai gegründete Ministerium für Wasserangelegenheiten setzt er im Gegensatz zu Karad wenig Hoffnung. »Nur den Namen einer Behörde zu ändern, wird unser Wasserproblem nicht lösen.« Groß angelegte Infrastrukturprojekte, die Wasser fressen, sowie wasserintensiver Anbau wie von Zuckerrohr verschlimmern die Lage. Doch sie würden immer noch wichtiger genommen als Umweltschutz.

196 Tage hatte es in Indiens sechstgrößter Stadt nicht geregnet. Die ersten Schauer führten zwar zu Temperaturen unter 40 Grad Celsius, doch erst der heftige Regen, der mit dem Nordost-Monsun im September oder Anfang Oktober kommt, wird die Wasservorräte wieder füllen. Allerdings sind in der Vergangenheit durch Infrastrukturprojekte viele Feuchtgebiete verschwunden - sie verwandelten sich in Betonlandschaft. In denen können die Wassermassen oftmals nicht richtig abfließen. Die Folge sind zum Teil verheerende Überschwemmungen, wie sie Chennai im Jahr 2015 erlebte.

Dass der Monsun Segen und Fluch zugleich bedeute, weiß auch die Hausfrau Anju Vilas aus Mumbai nur zu gut. Denn auch ihre Stadt ist für Überflutungen bekannt. Doch erst mal überwiegt die Erleichterung: Der Monsun ist endlich da.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.