- Politik
- Homosexualität in der DDR
Von der Stasi politisiert
Bis zum 30. Juni 1989 bestrafte Paragraf 151 auch Lesben in der DDR – doch das Gesetz war nicht einmal das Schlimmste.
Es heißt, für Frauen und Lesben sei das Leben in der DDR besser gewesen als in der BRD. Ganz so war das jedoch nicht. Denn Paragraf 151 des DDR-Strafgesetzbuchs stellte sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gleichen Geschlechts unter Strafe. Hatte beispielsweise eine 22-jährige Frau etwas mit einer 17-jährigen Frau, konnte sie ein Berufsverbot, eine Bewährungs- oder sogar Gefängnisstrafe bekommen - sie galt als kriminell. Zwar war Homosexualität nach einer Strafrechtsreform von 1968 in der DDR nicht mehr grundsätzlich verboten. Der Paragraf 151, der den Paragrafen 175 ablöste, bestrafte aber erwachsene Lesben, die eine Beziehung zu unter 18-Jährigen eingingen.
Was das für die Frauen bedeutete, will die Wahl-Leipzigerin Barbara Wallbraun bald in einem Dokumentarfilm zeigen, an dem sie seit 2012 arbeitet. Sie porträtierte dafür homosexuelle Frauen aus Ostdeutschland und durchforstete Stasi-Akten. Währenddessen lebte die Filmemacherin, die 1983 geboren ist, teils von Hartz IV und erhielt kaum Förderung. Das ist bei Projekten über queere Geschichte oft so. Was Wallbraun dennoch motivierte: Sie selbst ist im katholisch geprägten Eichsfeld in Thüringen aufgewachsen, wo es kaum Informationen oder Angebote für Lesben gab. Schon lange habe sie sich gefragt, wie das erst zu DDR-Zeiten gewesen sein muss. »Manche haben nicht einmal gewusst, dass es diesen Paragrafen gab«, weiß Wallbraun heute nach ihrer jahrelangen Recherche.
Das Homophobe am DDR-Strafrecht war, dass für die Liebe von Schwulen und Lesben ein höheres Mindestalter galt als für Heterosexuelle. Wenn ein 22-jähriger Mann mit einer 17-jährigen Frau Sex hatte, war das nämlich kein Problem. Für Heteros galt ein »Schutzalter« von 16 Jahren. »Und wann entdeckst du deine Sexualität? Genau in dieser Zeit!«, merkt Wallbraun an. In der DDR konnten Lesben, die sich über die Grenze der Volljährigkeit hinweg liebten, bestraft werden wie auch schwule Männer. Dass in der DDR auch weibliche Homosexuelle benachteiligt wurden, nennt Wallbraun im Vergleich zum Westen, wo Paragraf 175 ausschließlich schwule Männer bestrafte, zynisch »Gleichberechtigung«. Sie besteht aber auf die Anführungszeichen und schiebt seufzend ein »Leider« hinterher. Die Protagonistinnen für ihren Film hatte sie erst über das Dating-Portal »Lesarion« gesucht, dann aber doch durch persönliche Kontakte gefunden: Eine heute 65-jährige Frau aus Mecklenburg-Vorpommern wurde nach dem 151er verurteilt, eine andere, heute 53-Jährige aus Sachsen, hat als Minderjährige erlebt, wie es ist, wenn die eigene Partnerin verurteilt wird. »Da wurden auch Liebesbeziehungen verfolgt, das war nicht nur Jugendschutz«, sagt Wallbraun.
Die Abschaffung des Paragrafen, die die Volkskammer 1988 beschlossen hatte, trat vor 30 Jahren, am 30. Juni 1989, in Kraft. Wie viele Lesben bis dahin tatsächlich verurteilt worden waren, konnte auch das Bundesamt für Justiz auf Anfrage von »nd« nicht mitteilen. Der Einzige, der Zahlen hat, ist Christian Sachse. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der »Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft«. Ihm zufolge sind in den frühen 1980ern jährlich zwischen 70 und 110 Straftaten nach Paragraf 151 geahndet worden. Auch Sachse meint, dass man nicht bei allen Jugendlichen im Kontext des Paragrafen von »Opfern« sprechen kann, da viele einvernehmlich Sex mit Älteren gehabt hätten. Der Politikwissenschaftler aus Halle war nur durch einen Zufall auf Geheimakten gestoßen. Er nahm Stichproben und veröffentlichte die Zahlen 2018 in seinem Buch über sexuellen Missbrauch in der DDR. Auf 40 männliche »Täter« sei ungefähr eine weibliche »Täterin« gekommen, schreibt er. Glaubt man diese Zahlen und rechnet sie auf Frauen um, dürften rund zwei bis vier pro Jahr verurteilt worden sein. Ein Drittel der Strafen wurde auf Bewährung ausgesetzt, ein Sechstel sogar mit zusätzlichen Geldstrafen verbunden.
Als Grund für die Streichung des Paragrafen kurz vor der Wende im Jahr 1989 vermutet Wallbraun: »Die haben sich vielleicht gedacht, wir müssen irgendwie unsere Bürger halten, weil die Leute ja in Scharen Ausreiseanträge gestellt haben und abgehauen sind.« Dieser Theorie schließt sich auch die Leipziger Historikerin Maria Bühner an. Sie ist die wohl Einzige im deutschsprachigen Raum, die aktuell zu Lesben in der DDR promoviert. Laut Bühner habe für die Streichung des 151ers auch die weltweite Aids-Epidemie eine Rolle gespielt, obwohl die Fallzahl im Osten nur sehr niedrig war. »Man musste Homosexualität entstigmatisieren, damit man an die Leute herankommt«, ergänzt sie im Gespräch mit »nd«.
Wegen der schwierigen Lebensbedingungen hatte der Aktivismus Homosexueller in der DDR immer weiter zugenommen - auch trotz des Verbots von Vereinsgründungen. Man traf sich vor allem in der evangelischen Kirche. Als explizit nicht-kirchliche Institution für Lesben, Schwule, trans* und inter* wurde 1973 der Sonntagsclub in Ost-Berlin gegründet, den es noch heute gibt. Eine der vielen Mutigen in dieser Zeit war die Aktivistin Ursula Sillge, sie organisierte 1978 auch ein erstes DDR-weites Lesbentreffen mit mehr als hundert Teilnehmenden und veröffentliche im Ch. Links Verlag das Buch über Lesben in der DDR, »Un-sichtbare Frauen«. Auch dass dieses Buch vergriffen und nur noch in Bibliotheken verfügbar ist, deutet darauf hin, wie marginalisiert das Thema ist. Ein weiterer Faktor, der Homosexuelle politisierte, war laut Bühner paradoxerweise das Ministerium für Staatssicherheit. »Mit der Bespitzelung von Lesben hat die Stasi selbst dazu beigetragen, Homosexualität überhaupt zu einem Thema zu machen«, meint sie. »Hätte man den Menschen einfach ihre Clubs und Treffpunkte gelassen, wären sie vielleicht zufrieden gewesen.«
Doch das sei bei einer Staatsräson, wie Wallbraun sie beschreibt, nicht denkbar gewesen: »Homosexualität in der DDR? Das geht gar nicht, da werden ja keine Kinder gezeugt. Die DDR, das war Mann, Frau, und Kind. Es gab nur Familien und Arbeiter*innen.« Herauszufinden, wie die Stasi mithilfe von inoffiziellen Mitarbeiterinnen in das Leben von Lesben eingedrungen ist, sei für sie selbst, die sich erst lange nach der Wende outete, schmerzhaft gewesen. »Das musst du dir vorstellen: Da sucht jahrelang eine Frau eine Person, die sie liebt. Dann hat sie die endlich gefunden, über Briefkontakt oder so, und vertraut sich ihr an. Und die beschreibt dann schamlos in ihrem Bericht, was die Frau für sexuelle Präferenzen hat, wie ihre Adresse lautet und mit wem sie rumhängt.« Wallbraun bezeichnet es als »hart, dass all dieses Wissen bei irgendwelchen alten weißen Säcken gelandet ist«.
Kinderbetreuung für alle, ein freier Haushaltstag pro Monat, das Recht auf Abtreibung sowie die rechtliche Gleichstellung von Frauen allgemein - all das hat auch Lesben das Leben erleichtert. Nichts davon rechtfertigt für Wallbraun jedoch die Überwachung und Lügen der Stasi. Sie und Bühner sind sich einig: Die meisten Lesben, die sich organisierten, waren nicht einmal aktive Regimegegnerinnen, vor denen eine Paranoia der Herrschenden begründet gewesen wäre. »Die wollten eher etwas verändern, zum Beispiel Beratungszentren, damit Eltern von homosexuellen Kindern, die sich umgebracht haben, Hilfe kriegen können«, erklärt Wallbraun. Ihr ist es sehr wichtig, bei dem hochkomplexen Thema genau zu differenzieren, gerade bei Vergleichen mit der BRD. »Im Westen haben sie die Lesben eben anders bestraft, in Rheinland-Pfalz wurden ihnen etwa ihre Kinder weggenommen, wie eine Studie des dortigen Familien- und Frauenministerium aus dem Jahr 2017 belegt.«
Nach Stunden von Gesprächen und Bergen gewälzter Akten sagen beide Expertinnen: Noch schlimmer als Paragraf 151 waren für Lesben letztlich mangelnde Informationen und Vernetzungsmöglichkeiten, die Bespitzelung sowie soziale Ächtung. Auch die damalige wissenschaftliche Annäherungsweise an das Thema war krude bis menschenfeindlich. So gab es an der Charité einen Arzt namens Günter Dörner, der an Ratten versucht hat, im Embryonalstadium Homosexualität nachzuweisen. »Der Volksmund nannte ihn Ratten-Dörner«, so Wallbraun. Natürlich habe es auch Psychotherapeut*innen gegeben, die Homosexualität »nicht so schlimm« fanden, aber die habe man erst einmal finden müssen. Gerade auf dem Land war das nicht einfach. »Isolation, Angst, Scham, Homosexuellenfeindlichkeit im persönlichen Umfeld« nennt Bühner als weitere Probleme. Es fehlten Vorbilder oder Gleichgesinnte und es gab ganz praktische Benachteiligung homosexueller Paare, etwa bei der Wohnungsvergabe. Jenseits des Paragrafen 151 funktionierte die Bestrafung von Lesben auch indirekt: Frauen, die merkten, dass sie in der DDR einfach keine Frau kennenlernen, wollten oft in den Westen. Wurde ihr Ausreiseantrag nicht genehmigt, versuchten sie es teils illegal. »Wenn die erwischt wurden, war richtig Gefängnis angesagt«, sagt Wallbraun. Ob das auch einer der Protagonistinnen in ihrem Film »Uferfrauen« passierte, will sie noch nicht verraten, denn ihre Doku wird erst dieses Jahr auf Festivals und nächstes Jahr in Kinos laufen.
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