Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nehmen wieder zu

Weltweite Wirtschaftsflaute und Strukturwandel in einzelnen Branchen kostet Abertausende Jobs in Deutschland

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

An den Börsen herrscht »Zinssenkungseuphorie«, berichten Beobachter. Die Ankündigung des Chefs der US-Notenbank, Jerome Powell, für den Fall weiterhin schwacher Konjunktursignale in den Vereinigten Staaten einzugreifen, puschen jenseits und diesseits des Atlantiks die Aktienkurse.

Jenseits solch spekulativer Sonderinteressen zeigt die Aussage etwas anderes: Die Konjunktur läuft nicht mehr rund. Die Rivalität zwischen den USA und China belastet zunehmend die Weltwirtschaft. In China dürfte das staatliche Konjunkturprogramm das Wachstum entsprechend weniger anschieben. Die zuletzt gefallene Nachfrage nach ausländischen Gütern dürfte sich in den kommenden Quartalen daher kaum beleben, erwarten die Analysten der Commerzbank.

Das verheißt auch für die deutsche Wirtschaft nichts Gutes. In der Sommerprognose der EU-Kommission für 2019 schneidet Deutschland deutlich unter dem Durchschnitt ab. Hier zeigt sich die extreme Exportabhängigkeit: Schwächelt der EU-Motor und fahren China und USA langsamer, schlägt sich dies schnell in den Auftragsbüchern wichtiger Branchen nieder. Der Maschinenbau, Kern der deutschen Industrie, rechnet schon für 2019 mit einem Rückgang der Produktion um zwei Prozent, was es seit der Finanzkrise nicht gab. Neben den geopolitischen Verwerfungen macht Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Branchenverbands VDMA, auch die deutsche Politik dafür verantwortlich. Seine Kritik-Palette reicht von zu hohen Steuern über bürokratische Hürden bis hin zu mangelhafter Investitionsbereitschaft: »Der Staat muss die Infrastruktur - digital, aber auch für Verkehr und Energie - dringend modernisieren.«

Die Maschinenbauer spüren zudem die Ungewissheiten in der Autoindustrie, die wichtige Investitionsplanungen bremsen. Gleiches gilt für den dritten großen Beschäftigungsbereich, die chemische Industrie. BASF will sparen, um wieder profitabler zu werden. Ein Baustein dabei sind Stellenstreichungen: Weltweit sollen 6000 Jobs abgebau werden, die Hälfte davon in Deutschland. Ebenfalls hat die Deutsche Bank das Aus für Tausende Jobs angekündigt. Abbaupläne im vierstelligen Bereich gibt es auch bei Bayer, Ford, Thyssen-Krupp, VW und Siemens.

»Warnsignale am Arbeitsmarkt« und »Die Jobangst ist wieder da«, titeln wirtschaftsnahe Medien. Bei den Konzernen ballen sich allerdings zwei Faktoren, die nicht für die gesamte Wirtschaft gelten: Strukturwandel etwa bei Banken und Autoindustrie sowie starke Exportorientierung wie im Maschinenbau. Dennoch trifft die schwächere Konjunktur Unternehmen auch in anderen Bereichen. Nachdem sich die offizielle Arbeitslosigkeit seit den Nullerjahren mehr als halbierte, rechnet die Bundesagentur für Arbeit in den kommenden Monaten daher wieder mit mehr Arbeitslosen. Auch die Kurzarbeit könne wieder zulegen.

Trump, Brexit und Iran-Krise zum Trotz hoffen die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute aber auf eine Erholung der Konjunktur im kommenden Jahr. Die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds (IWF) erwarten für Deutschland dann ein Wachstum von 1,4 Prozent, nach 0,5 Prozent in 2019. Der IWF empfiehlt der Regierung, ihren finanziellen Spielraum zu nutzen, um das verfügbare Einkommen der unteren Bevölkerungsschichten zu erhöhen, und bekräftigte seinen Rat, mehr Geld in die öffentliche Infrastruktur zu stecken.

Leicht optimistisch blicken sogar die Maschinenbauer voraus. »Natürlich gibt es Ungewissheiten und vielleicht auch Friktionen, aber Alarmismus ist fehl am Platze«, beruhigt VDMA-Chef Carl Martin Welcker. »Was der Transformationsprozess an Wertschöpfung nimmt, kann potenziell sogar durch Neues überkompensiert werden.« So könne die Kombination aus Hybridantrieben, einer höheren Komplexität beim Verbrennungsmotor sowie steigenden Absatzzahlen in China in den nächsten Jahren positiv auf die Wertschöpfung in der Autoindustrie wirken.

Um die digitale Transformation zu meistern, bedarf es erheblicher Ausbildungs- und Fortbildungsanstrengungen, heißt es allerorten. Damit die Unternehmen den Worten ihrer Verbände auch Taten folgen lassen, kämpfen IG Metall und ver.di in mehreren Branchen für »Zukunftstarifverträge«. Politisch fordern Gewerkschaftsspitzen eine weitere Stärkung der Binnennachfrage, um die Bremseffekte der schwachen Weltkonjunktur besser abzufedern.

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