Die Davongekommenen

Andreas Petersen berichtet, wie das Stalin-Trauma die DDR prägte

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Schweigen in den Familien war eisern. Es war eisig, denn es durfte nicht gewesen sein, was geschehen war. Und es gehörte doch zur Parteidoktrin. Die dem Terror Stalins Entkommenen und die Davongekommenen setzten in der DDR jene Politik fort, in deren Namen in der Sowjetunion in den 1930er Jahren Verbrechen begangen worden waren. Oft, obwohl die Idee, der eigene Glaube in Moskau zutiefst erschüttert wurden. Jeden konnten Verhaftung und Verschleppung treffen, es gab keinerlei Gewissheit, pure Angst herrschte im Moskauer Hotel »Lux«.

Viele überleben nur, weil sie wegschauten, schwiegen oder gar verrieten, die jähen Wendungen in Stalins Politik und Ideologie vorausahnten, weil sie anpassungsfähiger waren als andere, mitunter auch schamloser, rabiater, ruchloser. Diese davongekommenen deutschen Kommunisten waren in der DDR dann weiterhin abhängig von den Vorgaben aus Moskau und alsbald selbst oder erneut tatkräftig dabei, »Abweichler« ausfindig zu machen und »revolutionäre Wachsamkeit« auf die Spitze zu treiben.

Niemand hatte in Moskau so recht verstanden, warum ausgerechnet jener Genosse oder jene Genossin »verschwand«, deportiert oder erschossen wurden. Es war auch nicht zu verstehen, denn es war die blanke Willkür. Brandmarkung, Aussortierung, Ausrottung. Schuldig? Weshalb? Verschwörungstheorien wurden gestrickt, unhaltbare Anschuldigungen vorgebracht und abenteuerlichste Anklagen zusammengeschustert, Schauprozesse fanden statt, die Lager des GULAG füllten sich. Es war der reine Terror, der nicht hinterfragt werden durfte.

Begonnen hatte alles zu Zeiten der Weimarer Republik, mit dem sich verschärfenden Bruderkampf zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Bolschewistische Kaderpolitik und die von Moskau aus ok-troyierte »Sozialfaschismus«-These prägten die deutschen Kommunisten gegen Ende der Republik.

Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht gingen in ihrem Moskauer Exil nach Hitlers Machtantritt in Deutschland jeden Winkelzug Stalins mit. In menschenverachtender Sprache wurde von »parteifeindlichen Elementen« geredet, die »unschädlich« gemacht werden müssten. Selbst Pieck, der von 1949 bis zu seinem Tod 1960 Präsident der DDR sein sollte und als väterlicher Patriarch galt, hat die Diffamierung seiner eigenen Genossen geduldet. Ulbricht hatte eh den Ruf eines umtriebigen, kalkulierenden, dogmatischen Apparatschiks.

Der Schriftsteller Heinrich Mann verabscheute diesen Typus Funktionär so sehr, dass er Ulbricht als Gesprächspartner schon in Paris 1937, als es um eine deutsche Volksfront gegen den deutschen Faschismus ging, ablehnte.

Jene, die Stalins Terror unbeschadet überlebten, gelangten in den Zirkel der Auserwählten, die den Aufbau Ostdeutschlands an vorderster Stelle bewerkstelligen sollten. Sie waren Verbündete, zusammengeschweißt als Mitwisser und mitunter auch Mittäter, Parteisoldaten, eingemauert in Scham, Schuld und Schweigen. Die Mächtigen in der DDR seien deshalb schizophrene Naturen gewesen, legt das Buch von Andreas Petersen nahe, herzenskalt, unerbittlich und berechnend gegen jene, die nicht vergessen und nicht stillhalten wollten, jene, die Sühne und Rehabilitierung verlangten.

Über das »verordnete Schweigen« in der DDR, wie der Berliner Historiker Wladislaw Hedeler einmal einen Aufsatz titelte, gibt es seit einiger Zeit vielfältigste Veröffentlichungen. Petersen hat die Literatur noch einmal gesichtet, eine überwältigende Materialfülle und Lebensgeschichten zusammengestellt. Ein aufregendes und erschütterndes Buch, das ernst und wahrgenommen werden sollte - auch wenn es schmerzliche Wahrheiten vermittelt, die Geschichte einer großen, verratenen Idee erzählt.

Bedauerlich ist, dass der Verlag für ein solch dichtes, mit ungezählten Namen versehenes Kompendium an einem Personenregister gespart hat.

Andreas Petersen: Die Moskauer. Wie das Stalintrauma die DDR prägte. Fischer, 368 S., geb., 24 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.