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Alle gegen Alle gegen Alle
Mittlerweile ist das Battle Royale-Genre aus der Gamingbranche nicht mehr wegzudenken. Aber warum?
Zwischen Merkava und Makarov heißt es bei der Rapkapelle »Zugezogen Maskulin«: »Schüsse fallen / Alle gegen Alle gegen Alle / Peitschen knallen / Alle gegen Alle gegen Alle / Schlägerei am Gartenzaun / Swimmingpool voll Galle / Alle gegen Alle gegen Alle.« Damit beschreiben sie schon ziemlich gut das Spielprinzip eines Genres, das in den vergangenen Jahren zum Nonplusultra der Gamingbranche geworden ist: Wer als Letzter noch steht, gewinnt; oder kurz: »Battle Royale«. Spiele wie »Fortnite« oder »PlayerUnknown’s Battlegrounds« (PUBG) begeistern Millionen, und kaum eine Neuerscheinung kommt 2019 ohne einen eigenen Battle-Royale-Modus aus. Battle-Royale, was ist das?
Namensgebend für das Genre ist der gleichnamige, japanische Film aus dem Jahr 2000. In dem außerhalb Japans relativ unpopulären Machwerk von Kinji Fukasaku - nach einem Roman von Kōshun Takami - ist eine Schulklasse gezwungen, im Rahmen einer unmenschlichen Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit und Kriminalität auf einer einsamen Insel im tödlichen Spiel gegeneinander anzutreten. Nur der oder die letzte Überlebende darf nach Hause zurückkehren und wird von der Bevölkerung als Star gefeiert. Zwölf Jahre später erscheint die erste Verfilmung der »Hunger Games« (Tribute von Panem) im Kino, demselben Prinzip folgend: Eine Diktatur zwingt Kinder und Jugendliche, auf Leben und Tod zu kämpfen, um die darbende Bevölkerung bei Laune zu halten.
Kurz darauf hält das Battle-Royal-Prinzip mit einem von den Hunger Games inspirierten Minecraft-Mod Einzug in die Gamingszene (ein Mod ist eine von Spieler*innen selbst entwickelte Modifikation des Originalspiels). Ferner werden auch im Survival-Zombieshooter »DayZ« Elemente implementiert, die später maßgeblich für das Battle-Royale-Genre werden sollen, zum Beispiel der obligatorische Absprung per Fallschirm zu Beginn des Spiels und das Aufsammeln von auf der Karte verteilten Ausrüstungsgegenständen. 2017 dann der große Durchbruch mit dem etwas bunteren, leichtsinnigeren »Fortnite« und »PUBG« mit dem klassischen Shooter-Look. Hier kämpfen bis zu 99 Spieler*innen - alleine oder in kleinen Teams - gegeneinander, während besondere Spannung dadurch erzeugt wird, dass das Spielfeld stetig kleiner wird. Wer den Anschluss verpasst, auch in der aktuellen Runde, fliegt wie die zahlreichen Über-den-Haufen-Geschossenen raus. Dem oder der Letzten winkt jedoch Ruhm und frittiertes Hähnchen. Die Einblendung »Winner Winner Chicken Dinner!«, die Erfolgreiche bei »PUBG« zu sehen bekommen, ist innerhalb der Internetcommunity längst vom geflügelten Wort zum Meme geworden.
»PUBG« verzeichnet mittlerweile mehr als zehn Millionen kostenpflichtige Downloads. Das zunächst frei zur Verfügung stehende »Fortnite« soll laut Angaben der Entwickler*innen 200 Millionen aktive Spieler*innen haben. Verdient wird durch kostenpflichtige Zusatzinhalte, und zwar so viel, dass Epic-Games im Jahr 2018 drei Milliarden US-Dollar erwirtschaftete. Battle-Royale ist das Gaming-Erfolgsrezept der späten 2010er, auch Spieleklassiker wie »Battlefield« und »Call of Duty« führten inzwischen einen solchen Modus ein. Für »Fallout 76« von Bethesda, das bei den Fans nicht den erwarteten Erfolg einbrachte, soll ein Battle-Royale-Modus nun die ersehnte Frischzellenkur sein. Auch »Apex Legends« von Electronic Arts holt auf und verzeichnet rund 50 Millionen Spieler*innen. Zudem gibt es unzählige Trittbrettfahrer*innen, die auf den Erfolgsbus mitfahren wollen. Aber was macht das Genre zum Kassenschlager und zum Liebling der Community?
Stichwort Geld. Zunächst müssen wir uns anschauen, wie zum Beispiel ein Titel wie »Fortnite«, der Spieler*innen kostenlos zum Download zur Verfügung steht, überhaupt Geld verdient. Viele Titel, auch abseits des Battle-Royale-Genres, besitzen gewissermaßen eine eigene Währung. Diese verdienen sich Spieler*innen durch Erfüllung von Missionen und Aufgaben im Spiel, oder durch den Tausch gegen echtes Geld. In vielen Spielen kann man durch diese Ingame-Währung kosmetische Änderungen an seiner Spielfigur oder den Waffen freischalten, nicht wenige Titel erlauben aber auch den Kauf von Spielvorteilen, also besseren Waffen und Ausrüstungsgegenstände. Einzelne Käufe sind nicht teuer, man spricht von »Micropayment« (Kleinbetragzahlung). Davon würde man theoretisch auch sprechen, wenn man beim Bäcker eine Brezel erwirbt. Die kleinen Beträge verlocken zum wiederholten Kauf und summieren sich; bei Spieler*innen mit ohnehin vorhandenem Suchtpotenzial kann dieses System schnell teuer werden, wie unzählige Medien berichten.
Bei »Fortnite« läuft das System relativ gesittet ab, durch Micropayments können nur kosmetische Veränderungen erzeugt werden, bei Extrembeispielen, vor allem im Mobile Gaming-Bereich, wird das scheinbar freiwillige Kaufen von Zusatzinhalten mandatorisch. Anders ist mit den Mitspieler*innen gar nicht mitzuhalten.
Regelmäßig - bei »Fortnite« circa alle zehn Wochen - werden in so genannten Seasons oder Staffeln Zusatzinhalte veröffentlicht, neue Waffen, neue Szenarien, neue Karten, neue Spielmodi, die die Spieler*innen zu weiteren Einkäufen anregen sollen. Und das funktioniert eben so gut, dass es sich scheinbar zu einem unumkehrbaren Trend in der Entwicklerbranche entwickelt hat - Battle-Royale, das Eldorado der Gamingbranche, siehe bereits genannte Zahlen. Das muss beachtet werden, um zu verstehen, warum auch ein Spiel, dass Battle-Royale nicht ferner sein könnte, wie die »Fallout«-Serie, mit diesem Modus gerettet werden soll.
Jedoch kommen Carter Melrose und Rogelio E. Cardona-Rivera von der Universität in Utah zu dem Schluss, das niederschwellige Bezahlsystem mit potenziellem Suchtfaktor tauge nicht als alleinige Erklärung für den Erfolg dieses Genres. Im US-Technikmagazin »Wired« erklärt Melrose, dass es sich um die Perfektionierung dessen handele, was Videospiele seit jeher ansprechen: Die Erfüllung der Maslow’schen Bedürfnispyramide. Er zitiert dabei die Arbeit seines Kollegen Cardona-Rivera, der erklärt, dass bereits bei Spieleklassikern die physiologischen und die Sicherheitsbedürfnisse - die beiden unteren Stufen der Bedürfnishierarchie - durch das Springen über Fässer und das Ausweichen vor Geistern im Sinne evolutionär vorhandener Überlebensinstinkte befriedigt werden. Jedoch gehe das Battle-Royale-Genre weiter und schaffe es als anspruchsvolles, kompetitives Multiplayer-Erlebnis, sogar die bisher von Videospielen unerreichbaren Spitzen der Pyramide, soziale Bedürfnisse, Individualbedürfnisse und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, erfüllen zu können. Das soziale Bedürfnis werde durch die gigantische, reaktionsfreudige Community, die durch Streamer- und Zuschauer*innen sogar noch größer ist als die eigentliche Anzahl der Spieler*innen, für die meisten zufriedenstellend erfüllt, obwohl es in erster Linie »nur« online stattfindet. Das Finden eigener Wege und Strategien, das Spiel zu meistern, erfüllt den menschlichen Wunsch nach Individualität - und gibt die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, die Spitze der Bedürfnispyramide. Battle-Royale wird zum heiligen Goldbroiler unter den Hühnchengerichten, das erwähnte Chickendinner ist eben mehr als nur eine kurzweilige, lustige Einblendung.
Das bedeutet, würden diese Voraussetzungen gar nicht erfüllt werden, wäre das Bezahlmodell auch nicht so erfolgreich. Schließlich wäre niemand bereit, regelmäßig Geld in etwas zu investieren, das keine Bedürfnisse befriedigt. Vice versa begünstigt das niederschwellige Angebot die Entstehung einer Gemeinschaft, die in der Lage ist, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Man kann also sagen, der Erfolg war nicht vorprogrammiert, aber es ist sofort verständlich, warum sich die Branche in Zukunft stark daran orientieren wird. Wahrscheinlich wird das Herz von Battle-Royale langfristig aber wegen der Dollarzeichen in den Augen auf der Strecke bleiben.
Zumal auch zu überlegen wäre, ob hier tatsächlich befriedigt wird oder nur gewichst. Will meinen: Ist das echt, oder nur die virtuelle Simulation von Bedürfnisbefriedigung? Suchen junge Menschen das schöne Leben im Internet, Selbsterfüllung im Kampf alle gegen alle gegen alle, weil es in der echten Welt keine Perspektive mehr für ein schönes Leben (sprich: die befreite Gesellschaft) gibt? Battle-Royale als ein Versagen der Kommunist*innen?
Übrigens: Die Kommunistische Partei Chinas kann dem Battle-Royale-Prinzip wenig abgewinnen. Nach eingehender Prüfung durch ein »Komitee zur Bewertung der Online-Ethik« landeten unter anderem »Fortnite« und »PUBG« auf dem Index. Der dem Genre zugrundeliegende Mehrspielermodus, in dem nur die Person gewinnt, die als letzte Überlebende aus dem Gemetzel hervorgeht, sei mit den Werten des Sozialismus unvereinbar. Viel zu blutig, viel zu vulgär und viel zu schädlich für die Jugend der Volksrepublik. Gleichzeitig ist man sich in Peking bewusst, dass man der Jugend die Spiele aus dem Westen nicht komplett vorenthalten kann. Also gab die KP bei Tencent Holdings Ltd. das »Game for Peace« (Spiel für den Frieden) in Auftrag: Ein mit der Parteilinie vereinbarer Battle-Royale-Shooter, der als kurios beschrieben werden kann: Die Spielinhalte, die Grafik und das Design sind fast ganz von »PUBG« übernommen worden - nur das Blut fehlt. Hier stirbt niemand mehr, die Spielfigur geht in die Hocke und winkt brav zum Abschied, bevor sie sich in Luft auflöst. Höflichkeit ist eine sozialistische Tugend, und wer sind wir schon, die weise KPCh auf eventuelle Widersprüche hinzuweisen?
Doch nicht nur in der Volksrepublik tut man sich mit dem Genre schwer. Auch in Irak, Jordanien, Nepal und einem indischen Bundesstaat erfolgte ein Verbot, zum Teil wurden sogar Jugendliche verhaftet, die sich widersetzten. Dabei stand nicht nur die Gewalt im Vordergrund, sondern auch die an Glücksspiel erinnernden, von Expert*innen als suchtfördernd beschriebenen Bezahlsysteme.
In Deutschland fand abseits allbekannter »Killerspieldebatten«, die hierzulande seit Jahren geführt werden, noch keine besondere Diskussion über Battle-Royale-Spiele statt. Eine populäre Auseinandersetzung mit Videospielen von links fehlt ohnehin. Vielleicht wäre es nun an der Zeit.
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