In die Brust geschossen

Mikael Haile wurde 2017 von der Polize getötet - es bleiben Fragen

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 3 Min.

Polizisten haben im vergangenen Jahr in Deutschland elf Menschen erschossen. 34 Personen wurden durch den Einsatz der Dienstwaffe verletzt, wie aus einer Erhebung der Deutschen Hochschule der Polizei hervorgeht. 2017 setzten Polizisten ihre Waffe noch häufiger ein. Es gab 75 Fälle von Schusswaffengebrauch gegen Personen; 14 Menschen wurden getötet.

Einer von ihnen war Mikael Haile. Der Eritreer lebte in einer Wohnung in dem Essener Stadtteil Altenessen. Er wurde am 27. April 2017 erschossen, nachdem ein Nachbar wegen Ruhestörung die Polizei gerufen hatte.

»Meine Wohnung«

Auch der Landtag beschäftigte sich mit dem Fall. Die Abgeordneten Verena Schäffer und Mehrdad Mostofizade (Grüne) richteten 2018 eine Kleine Anfrage an die Landesregierung.

In der Antwort schilderte die Landesregierung die Ermittlungsergebnisse: Die beiden Beamten sollen sich »deutlich als Polizeibeamte« zu erkennen gegeben haben, als sie bei Haile klingelten. Der habe mit einem 20 Zentimeter langen Fleischermesser in der Hand die Tür geöffnet. Zuvor hatte der Nachbar, der die Polizei verständigt hatte, bei Haile geklingelt. »Meine Wohnung, meine Wohnung«, soll Haile laut einem Medienbericht dem Nachbarn geantwortet haben, bevor er die Tür zumachte. »Trotz mehrfacher, eindrücklicher und laut vernehmlicher Aufforderung« das Messer fallenzulassen, habe das spätere Todesopfer auch auf die Ansprache der Polizisten nicht reagiert. Als diese sich »mit gezogenen Dienstwaffen rückwärts gehend, durch den Flur zurückzogen«, soll Haile das Messer zum Stoß vorbereitet haben, um zu den Beamten zu stürmen.

»Nur durch einen gezielten Schuss« habe ein Beamter »den unmittelbar lebensgefährdenden Angriff […] abwenden können«, sagt die Staatsanwaltschaft. Eine Möglichkeit auszuweichen oder Deckung zu nehmen, habe es im Hausflur nicht gegeben. Der gezielte Schuss gegen den Geflüchteten ging mitten in die Brust.

Der Tod Hailes hat Angehörige und Bekannte fassungslos zurückgelassen. Auch bei Girmay Habtu wirft die Darstellung der Staatsanwaltschaft Fragen auf. Haile lernte er kennen, weil er Geflüchtete in Essen seit Jahren unterstützt. Mehrmals besuchte Habtu ihn in der Wohnung. Statt aber mit Haile Deutsch zu lernen, habe er sich erst einmal um dessen Post kümmern müssen, sagt Habtu dem »nd«. Das wirft die Frage auf, wie gut Haile überhaupt Deutsch verstehen und sprechen konnte.

Vertrauen erschüttert

Fragwürdig ist für Habtu auch das Vorgehen mit der Waffe: »Warum haben die Polizisten ihm nicht ins Bein geschossen?«, fragt er. Der Vorfall hat das Vertrauen der eritreischen Community in Essen massiv erschüttert: »Wir wollten bei der Polizei nachfragen, wie das gelaufen ist. Die haben uns aber wie Dreck behandelt«, erinnert sich Habtu. Erst als die Schwester des Opfers anreiste, sei die Polizei bereit gewesen, Informationen bereitzustellen. »Sie war extra in Düsseldorf, um die Leiche zu sehen. Das durfte sie dann aber nicht. Sie ist sehr enttäuscht. Das geht hier vielen Leuten so. Ein Mensch ist gestorben, und niemanden hat das interessiert«, kritisiert Habtu.

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