- Politik
- Schwangerschaftsabbruch
Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Abtreibungen vorgelegt
Abtreibungen bis zur 22. Woche legalisieren – das fordert ein breites Bündnis von der Politik
Schwangerschaftsabbrüche könnten in Deutschland legalisiert und im Einklang mit dem Grundgesetz sowie den Menschenrechten der Betroffenen neu geregelt werden. Zu diesem Schluss kommt ein Bündnis von 26 zivilgesellschaftlichen Verbänden wie Pro Familia, dem Deutschen Juristinnenbund und Amnesty International Deutschland, das am Donnerstag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorstellte. Wenn Schwangerschaftsabbrüche nur so geregelt werden könnten wie derzeit mit dem Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches, »hätten wir ein Problem«, sagt Stephanie Schlitt von der Beratungsorganisation Pro Familia.
Unzureichende Unterstützung
Die grundsätzliche Strafbarkeit von Abtreibungen habe unter anderem zur Folge, dass es in vielen Teilen Deutschlands zu wenig Hilfsangebote für ungewollt Schwangere gibt, obwohl Abbrüche bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nicht strafrechtlich verfolgt werden. »Die aktuelle Rechtsprechung soll den Schutz des Embryos gegen den Schutz der Schwangeren abwägen«, sagt Friederike Wapler. Die Rechtswissenschaftlerin der Universität Mainz hat den Gesetzentwurf zusammen mit den Juristinnen Liane Wörner und Maria Wersig federführend erstellt. Die Grundrechte der Schwangeren würden bisher nicht wirklich berücksichtigt, so Wapler.
Der neue Gesetzentwurf schlägt vor, dass Schwangerschaften bis zur 22. Woche nach der Empfängnis rechtmäßig beendet werden können, und basiert auf den Empfehlungen einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission, die im April ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Demnach müssten Abtreibungen bis zur zwölften Woche unbedingt straffrei sein. Zwischen der 13. und der 22. Woche habe der Gesetzgeber »Gestaltungsspielraum«. Bei der Entscheidung der Verbände, die Rechtmäßigkeit bis zur 22. Woche auszudehnen, habe man sich an den Empfehlungen internationaler Menschenrechtsgremien sowie der Weltgesundheitsorganisation orientiert, so Wapler.
Die Zäsur nach der 22. Woche habe damit zu tun, dass der Embryo ab diesem Zeitpunkt selbstständig lebensfähig sei, erklärt Liane Wörner von der Universität Konstanz. Spätere Abtreibungen sollten – genau wie nach bisheriger Rechtslage – nur bei einer gesundheitlichen Gefahr für die schwangere Person möglich sein. Die Neuregelungen sollten jedoch nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz zu finden sein, so Wörner. Strafbar bleiben soll lediglich die Nötigung zu einem Schwangerschaftsabbruch; hinzu käme die Nötigung, einen Abbruch zu unterlassen.
Bessere Betreuung durch Legalisierung
Alicia Baier vom Ärzt*innen-Netzwerk Doctors for Choice hält die Entkriminalisierung für eine notwendige Grundvoraussetzung, um die Versorgungssicherheit zu verbessern. Einerseits weil das bisherige Verbot eine »stigmatisierende Wirkung« auf Ärzt*innen habe, andererseits weil die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in der medizinischen Ausbildung bislang gar nicht vorkomme. Viele Gynäkolog*innen wüssten nicht einmal genau, wie der Eingriff vorzunehmen sei.
Außerdem gebe es derzeit viele Krankenhäuser, zum Beispiel katholische Kliniken, die sich aus religiösen Gründen weigerten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Nach dem Gesetzentwurf der Verbände wäre dies nicht mehr möglich. Lediglich einzelnen Ärzt*innen sollte es aus Gewissensgründen erlaubt sein, eine Abtreibung zu verweigern.
»Die Umstellung von einer Pflichtberatung zu einem Anspruch auf Beratung ist ein Paradigmenwechsel.«
Maria Wersig Juristin
»Ein wesentlicher Paradigmenwechsel ist die Umstellung von einer Pflichtberatung zu einem Anspruch auf psychosoziale Beratung«, ergänzt Maria Wersig von der Universität Hannover. Bislang sind Abtreibungen nur nach einer Schwangerenkonfliktberatung sowie darauffolgenden drei Tagen Wartezeit möglich, was für ungewollt Schwangere »eine Zumutung« sei, wie Sina Tonk vom Verein Terre de Femmes betont. Die umfassenden Beratungsangebote sollen zwar beibehalten und Ärzt*innen dazu verpflichtet werden, darauf hinzuweisen, doch Schwangere sollten sich freiwillig für oder gegen eine solche Beratung entscheiden. Eine weitere wichtige Änderung: Die Kosten von Schwangerschaftsabbrüchen sollen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
Wersig appelliert »an alle demokratisch gewählten Abgeordneten, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden« und den Schwangerschaftsabbruch noch in dieser Legislaturperiode neu regeln. Die Linke unterstützt den Vorschlag der 26 Verbände. »Wir fordern die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und haben dazu erneut einen Antrag eingebracht«, erklärt Gökay Akbulut, frauenpolitische Sprecherin der Linke-Gruppe im Bundestag.
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