Rojava mit IS-Gefangenen überfordert
Experten befürchten Radikalisierung in Lagern
Nach der militärischen Niederlage des »Islamischen Staates« steht die Demokratische Föderation Nordsyrien, auch bekannt als Rojava, vor zahlreichen Herausforderungen. Neben anhaltenden Kriegsdrohungen der Türkei geht vor allem von den Tausenden gefangenen IS-Kämpfern samt ihrer Familien ein unwägbares Risiko für die Selbstverwaltung aus.
Im Mittelpunkt des Geschehens: Das Flüchtlingslager Al-Hol nahe der irakischen Grenze. Nach Angaben der UN sind hier derzeit rund 70 000 Menschen untergebracht, das Camp ist jedoch nur für einen Bruchteil davon ausgelegt. Rund 90 Prozent der Bewohner sind Frauen und Kinder, oftmals Angehörige von IS-Kämpfern. Der Großteil der Menschen setzt sich aus Syrern und Irakern zusammen, daneben gibt es aber auch einen abgetrennten Bereich des Lagers für rund 12 000 ausländische IS-Anhänger aus etwa 50 Staaten.
Experten befürchten eine fortschreitende Radikalisierung der Lagerinsassen, speziell der Heranwachsenden. Eine Sorge, die möglicherweise nicht unbegründet ist: Im Internet veröffentlichte Videos zeigten jüngst Kinder, die im Lager unter Applaus IS-Flaggen hissten. Die britische Zeitung »The Independent« berichtete zudem von geheimen Spendensammlungen von IS-Frauen für Schlepper, die bei der Flucht aus dem Lager helfen sollen.
Nichtsregierungsorganisation wie die UN oder der Rote Halbmond versuchen, die Lage im Camp zu stabilisieren. Auch die deutsche Hilfsorganisation Medico International unterstützt dort ein Krankenhaus. »Probleme gibt es aktuell mit dem Trinkwasser, die Sommerhitze führt zu einer schlechten Wasserqualität und die wiederum zu Durchfallerkrankungen«, berichtete die Mitarbeiterin Anita Starosta, die jüngst das Lager besucht hatte, gegenüber »nd«. Generell sei die humanitäre Lage »angespannt«, Helfer würden an ihrer Belastungsgrenze arbeiten.
Wie die Selbstverwaltung betont auch Starosta, dass, dass die Staatengemeinschaft für die internationalen IS-Anhänger Verantwortung trage. »Die Frauen und ihre Kinder müssen schnellst möglichst in ihre Länder zurückgeholt werden - unter offizieller Kontrolle, auch, um eine mögliche Strafverfolgung einzuleiten«, so die Mitarbeiterin. »Außerdem müssen die Hilfsstrukturen vor Ort entlastet werden - sie können diese Bürde nicht alleine tragen.«
Frankreich und Schweden hatten bisher lediglich Waisenkinder zurückgeholt. Die Bundesregierung redet sich mit dem Argument heraus, keine konsularische Vertretung in Syrien zu haben. Durch zwei jüngere Gerichtsurteile wurde das Auswärtige Amt jedoch gezwungen, die Rückholung von deutschen Waisenkindern in die Wege zu leiten. »Ein erster Schritt, der zeigt, dass die Bundesregierung Verantwortung übernehmen muss«, so Starosta. Medienberichten zufolge sollen sich 124 IS-Anhänger und 138 Kinder mit Deutschlandbezug in nordsyrischen und irakischen Lagern aufhalten.
Starosta verwies ebenso auf die Notwendigkeit eines UN-Sondertribunals in Nordsyrien, um die dortigen IS-Verbrechen aufzuklären. Die Expertin schränkte jedoch ein: »Ein solches Tribunal wird nicht umzusetzen sein, solange die Region völkerrechtlich nicht anerkannt ist.«
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