Familien auf Dauer getrennt

Ein Jahr Familiennachzug zu Kriegsflüchtlingen offenbart: Rasche Überprüfung tut not

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Familie genießt einen besonderen Stellenwert im Rechtsverständnis der Bundesrepublik. Allerdings gilt das nicht für die Familien von Bürgerkriegsflüchtlingen. Familienzusammenführung ist eine Kategorie mit eigener Geschichte im politischen Konflikt der beiden deutschen Staaten vor 1990, sie verlor ihre moralisch aufgeladene Bedeutung, als es um den Nachzug der Familien von Bürgerkriegsflüchtlingen nach Deutschland ging. Für einen Großteil von ihnen haben sich die Bedingungen in den letzten Jahren grundsätzlich verändert - zu ihren Ungunsten.

Im März 2016 war das erst kurz zuvor beschlossene Recht auf Familienzusammenführung für subsidiär Geschützte für zwei Jahre ausgesetzt worden, die Frist wurde im letzten Jahr nochmals verlängert. Im August dann trat eine neue gesetzliche Regelung in Kraft. 1000 Angehörige pro Monat sollten einreisen dürfen, also 12 000 im Jahr. Nun, nach den ersten zwölf Monaten, zeigt sich, dass nicht einmal dieses Kontingent ausgeschöpft wurde.

Knapp 10 000 Angehörige erhielten in dieser Zeit Visa, um zu ihren Angehörigen in Deutschland reisen zu können. Vor allem Anlaufschwierigkeiten waren der Grund. 2400 Plätze seien 2018 ungenutzt geblieben, kritisierte das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Februar. Diese sind jedoch auch nachträglich nicht ausgeschöpft worden, wie sich nun zeigt.

Auch die Hürden, die den Angehörigen in den Weg gelegt werden, sind Teil der Erklärung, warum die Familienzusammenführung sich so schleppend gestaltet. Der sogenannte subsidiäre Schutz, dem die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge unterliegen, führt zu dieser Sonderbehandlung. Denn er stellt einen Status von geringerer rechtlicher Qualität dar, auch wenn dies von Fachleuten ausdrücklich bestritten wird. Nicht von ungefähr erhielten etwa syrische und eritreische Kriegsflüchtlinge, die bis 2015 meist den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhielten, von 2016 an nur noch diesen subsidiären Schutz zugesprochen. Eine Klagewelle der Betroffenen war das Ergebnis, eben weil sie nun vom Stopp des Familiennachzugs betroffen waren.

Seit August 2018 ist der Familiennachzug begrenzt wieder möglich; erlaubt ist der Nachzug der sogenannten Kernfamilie. Erwachsene können Ehepartner und minderjährige Kinder zu sich holen, Eltern können unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach Deutschland folgen. Das Bundesverwaltungsamt wacht darüber, dass nicht mehr als 1000 Genehmigungen pro Monat erteilt werden. Zwischen Dezember 2018 und Mai 2019 seien geringfügige Abweichungen ausgeglichen worden, indem mehr als 1000 Visa monatlich erteilt wurden, im Juni waren es dagegen nur 804.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, sieht das Recht auf Familienleben mit der neuen Regelung »zu einem Gnadenrecht für wenige Auserwählte degradiert«. Viele Flüchtlinge müssten so über Jahre von ihren engsten Angehörigen getrennt leben. Welche Hindernisse ihnen in den Weg gelegt werden, zeigen beispielhaft die von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl aufgeführten Fälle, die auf dieser Seite dokumentiert sind. Ein häufiges Problem sind Dokumente, die verlangt werden, die die Betroffenen aber nicht beschaffen können.

Ein Beispiel ist der Familiennachzug aus Eritrea. Eritreische Angehörige, die zu Flüchtlingen nach Deutschland wollen, scheitern mit ihren Anträgen in fast zwei Dritteln der Fälle. Obwohl sich die Zahl der bearbeiteten Visa 2018 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelte und auch die Zahl der erteilten Visa von 394 im Vorjahr auf 634 stieg, sank die Erteilungsquote von 48,5 Prozent im Jahr 2017 auf 36,5 Prozent deutlich. Das geht aus einer Kleinen Anfrage Jelpkes an die Bundesregierung hervor.

Gerade bei Eritreern waren religiöse Eheurkunden lange Zeit wichtiger Nachweis für Familienzusammenführungen. Inzwischen verlangen die deutschen Botschaften aber eine von den eritreischen Behörden bestätigte Registrierung der Ehe. Die LINKE macht darauf aufmerksam, dass in Eritrea verbliebene Angehörige von Flüchtlingen, die inzwischen in Deutschland leben, mit Repressalien, Geldbußen oder sogar Haft rechnen müssen. Die Hemmschwelle, mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, sei daher hoch.

»Indem die deutschen Behörden Dokumente verlangen, die die in Deutschland lebenden Flüchtlinge und ihre Angehörigen beim besten Willen nicht beschaffen können, schaffen sie einen Vorwand, um reihenweise Anträge ablehnen zu können«, kritisierte Ulla Jelpke. Es sei ein »Unding, dass von anerkannten eritreischen Flüchtlingen erwartet wird, dass sie sich an ihren Verfolgerstaat wenden, um ihre Ehe nachregistrieren zu lassen oder anderweitige Papiere zu beschaffen.«

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Schutzsuchende haben ein Recht auf das Nachholen ihrer Kernfamilie. Dass dies für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz nur im Rahmen einer Kontingentlösung gilt, ist für Pro Asyl rechtlich fragwürdig. In ihrer Stellungnahme an den Bundestag stellte die Organisation im letzten Jahr fest: »Es handelt sich gerade nicht um einen minderwertigen Schutz. Er ist lediglich zeitlich nach dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) entstanden, da die GFK Lücken hat - sie beispielsweise nicht vor der europaweit geächteten Todesstrafe schützt.«

Die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Petra Bendel, forderte gegenüber der dpa eine baldige Evaluierung des seit einem Jahr geltenden Gesetzes. Auch mit dem Argument, dass der Aufwand gemessen an der Zahl der Fälle zu hoch ist. Im Januar gab es weltweit etwa 36 000 Terminanfragen von Angehörigen subsidiär Schutzberechtigter. Die Zahl soll sich seither nicht wesentlich reduziert haben. Von sechsstelligen Zahlen nachreisender Flüchtlingsangehöriger, mit denen Deutschland es zu tun bekomme, war im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens häufig die Rede gewesen. Sie haben sich nicht bestätigt. Doch für die meisten Betroffenen verbessert sich die Lage nicht. Die Wartezeit an der deutschen Botschaft in Addis Abeba beträgt 30 Wochen, in Nairobi mindestens 18 Monate. Und die Kontingente bleiben begrenzt. Für die meisten Familien bedeutet das: Sie bleiben bis auf Weiteres getrennt.

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