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Argumente nicht stichhaltig

Bundesamt für Verfassungsschutz muss Akteneinsicht von Linkspolitikern neu prüfen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine endlose Reihe widersprüchlicher Urteile, die sich um die Beobachtung der Linkspartei und ihrer Politiker durch das Bundesamt für Verfassungsschutz drehen. Am Mittwoch wurde der schier endlosen Geschichte vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied des Bundestages seit 1998, sprach gegenüber »nd« von einem »wichtigen Teilerfolg«. Wie Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen und zwischen 2005 und 2009 Mitglied des Bundestages, begehrt Pau Einsicht in ihre vom Verfassungsschutz gespeicherten persönlichen Daten. Nunmehr muss der Verfassungsschutz sich dem Thema erneut zuwenden - so verfügte das Gericht.

Ob daraus nunmehr eine vollständige Einsicht in die gespeicherten persönlichen Daten wird, steht in den Sternen. Denn bisher führte das Bundesamt ständig andere rechtliche Argumente ins Feld, wenn es darum ging, das Begehren der Linkspolitiker zu vereiteln.

Das hatte die Behörde auch im Vorfeld der Verhandlung am Mittwoch getan, blieb dabei allerdings nicht unwidersprochen vom Gericht. Geradezu verwirrend seien die Begründungen des Bundesamts, und der von ihm aufgeführte Anspruch auf eine Ermessensentscheidung sei nicht stichhaltig begründet worden.

Mit immer neuen Argumenten hatte der Geheimdienst die Verweigerung begründet. Die Geheimdienstbehörde vertrat die Auffassung, man könne nach geltendem Recht keine Löschung von Daten aus dem Aktenbestand verlangen, sondern allenfalls eine Sperrung. Die sei jedoch inzwischen erfolgt, ein Zugriff damit nicht mehr ohne weiteres möglich. Damit werde den schützenswerten Interessen der Betroffenen »hinreichend Genüge getan«.

In einem Vermerk aus diesem Monat an das Gericht in Münster teilten die Anwälte des Verfassungsschutzes überdies mit, die Sachakte zur Linkspartei stehe den Fachbeamten des Bundesamtes »zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr zur Verfügung«. Die Akte werde demnach in einem Aktensicherungsraum verwahrt, der Zugriff sei »technisch ausgeschlossen« und könne nur nach Zustimmung des Datenschutzreferates erfolgen.

Die Akten hätten aber nach einer Änderung des Verfassungsschutzgesetzes im Jahr 2015 inzwischen vernichtet werden müssen, erklärt Pau. Nachdem sie zuvor dem Bundesarchiv angeboten wurden; auch das sieht das Gesetz vor. Doch die Akten werden in einem »Vernichtungsmoratorium« unverändert vorgehalten - angeblich, um sie einem eventuellen Untersuchungsausschuss des Bundestages zugänglich machen zu können. Sie als dienstälteste Bundestagsvizepräsidentin und langjähriges Mitglied des Innenausschusses könne ausdrücklich versichern, dass es keinen Untersuchungsausschuss zur Linkspartei gibt, ließ Petra Pau die Verfassungsschützer darauf wissen.

Schon 2006 hatte Pau Einsicht in die Daten verlangt und nachdem der Verfassungsschutz ihr die Einsicht verwehrte, die Akteneinsicht 2008 vor dem Verwaltungsgericht Köln durchgesetzt. Als ihr 2009 die Personenakte schließlich vorgelegt wurde, waren die Eintragungen weitgehend geschwärzt. Die Begründung lieferte das Bundesinnenministerium als Dienstherr des Verfassungsschutzes: Es sollten keine Rückschlüsse auf operative Interessen und Ziele des Verfassungsschutzes ermöglicht werden.

Pau zog darauf vor das Bundesverwaltungsgericht, welches jedoch 2010 urteilte, dass die Sperrung der Daten rechtens erfolgt sei. Nachdem drei Jahre später das Bundesverfassungsgericht im Fall von Bodo Ramelow entschieden hatte, dass dessen Beobachtung durch den Verfassungsschutz verfassungswidrig gewesen sei, eröffnete sich auch für Pau die Möglichkeit, ihr Vorhaben weiter zu verfolgen.

Auch Ramelows Beobachtung durch den Verfassungsschutz war 2010 vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst als rechtmäßig eingestuft worden, bis das Bundesverfassungsgericht drei Jahre später anders entschied. Dennoch blieben die Anwälte der Bundesrepublik, die den Verfassungsschutz vor Gericht vertreten, bei ihrer Version: Auskunft zu persönlichen Daten erlaube das Bundesverfassungsschutzgesetz überhaupt nur aus den Personenakten beziehungsweise aus dem behördeninternen elektronischen Informationssystem (NADIS). Doch Pau und Ramelow verlangen Einblick in die Sachakten der Behörde, die der Partei gewidmet sind.

Petra Pau lässt offen, ob sie nach Einsicht in die Akten auch eine Löschung beziehungsweise Sperrung der Daten zu erreichen versuchen will. »Erst mal will ich sehen, was drin steht«, sagt sie. Pau spricht von einem »wichtigen Teilerfolg« in Münster. Sie erwarte, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nunmehr an die »zügige Umsetzung geht« und diese »nicht erneut verschleppt«.

Eine Übergabe der Sachakten an das Bundesarchiv befürwortet die Politikerin ausdrücklich. Nicht nur, weil sie dort besser aufgehoben wären als beim Geheimdienst in Köln. Sondern damit sich das Bundesarchiv damit angemessen befasst. »Ich finde, dass im Jahr 30 nach dem Mauerfall das Bundesarchiv die Akte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben erhalten muss. Diese dokumentiert einen wichtigen Teil der jüngeren deutschen Geschichte«, so Petra Pau. Die Rolle des Verfassungsschutzes und die Forderung der Linkspartei nach seiner Auflösung dürfte dabei ein eigenes Kapitel ergeben.

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