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Nicht nur ein Rassist
»Aktion Arbeitsunrecht« will Geschäftsgebaren von Fleischkonzern Tönnies öffentlich machen
Bis Clemens Tönnies am vergangenen Freitag beim Tag des Handwerks in Paderborn rassistisch ausfällig wurde, war der Unternehmer und Sportfunktionär hauptsächlich als bodenständiger Schalke-Chef bekannt: Tönnies beim Auswärtsspiel in Dortmund in der Fankurve; Tönnies, der Freibier bei der Mitgliederversammlung ankündigt oder gemeinsam mit Spielern singt - so präsentiert sich der Ostwestfale gerne. Wenig Aufmerksamkeit gibt es hingegen für seinen Hauptberuf als Eigentümer der Zur-Mühlen-Gruppe und Miteigentümer der Tönnies Holding Deutschland, des größten Schlachtbetriebs für Schweine hierzulande. Jahresumsatz 2018: 6,5 Milliarden Euro.
Auf ihrer Internetpräsenz gibt sich die Tönnies Holding ebenfalls bodenständig. Respekt, Fairness, Offenheit und Zuverlässigkeit sind die Schlagworte, zuversichtlich blickende Beschäftigte stellen sich in kurzen Videos vor. Und natürlich dürfen Unterseiten über Unternehmensverantwortung, Nachhaltigkeit und Teamwork nicht fehlen.
Darstellungen, bei denen Jessica Reisner vom Verein »Aktion Arbeitsunrecht« nicht mitgehen kann. So sind nach Gewerkschaftsangaben am Hauptstandort in Rheda-Wiedenbrück derzeit weniger als 500 von 4000 Beschäftigten fest angestellt. In der Produktion haben die meisten Beschäftigten Werkverträge. »Tönnies übernimmt keine Verantwortung für seine Werkvertragsarbeiter«, sagt Reisner im Gespräch mit dem »nd«. Gerade diese Arbeiter litten unter schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen. Viele von ihnen stammen aus Südosteuropa und schuften zum Mindestlohn im Schlachtbetrieb. Gewerkschaften berichten über unbezahlte Überstunden sowie fehlende Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit. Bei Unfällen oder Krankheit ist der Job schnell weg. Das führe nicht selten zu Obdachlosigkeit, wie Jessica Reisner erklärt.
Rund um die Schlachtbetriebe werden die Vertragsarbeiter oft in maroden Häusern in Mehrbettzimmern untergebracht. Laut Berichten der betreuenden Gewerkschaften seien die Mieten mit bis zu 250 Euro für ein Bett maßlos überteuert und würden direkt vom Lohn einbehalten. Hinzu kämen Sanktionen bei Arbeitsunfähigkeit, die Miete steige bei Arbeitsunfähigkeit jeden Tag um zehn Euro.
Bei Tönnies selbst hört sich das ganz anders an. Auf Werksverträge sei das Unternehmen wegen des Fachkräftemangels angewiesen. Und wer unter einer »unangemessenen« Wohnsituation leide, der könne sich an das firmeneigene »Dialog-Angebot« wenden.
Überrascht ist Jessica Reisner von Tönnies’ rassistischen Äußerungen nicht. Bei einem Vortrag über Klimawandel hatte der Fleischfabrikant Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel kritisiert und gesagt, besser sollten Kraftwerke in Afrika finanziert werden. »Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.«
Für Reisner zeugen auch die schlechten Zustände in den Schlachtbetrieben, von denen in erster Linie Arbeitsmigranten betroffen sind, von einer bei Tönnies vorherrschenden »Ungleichheitsideologie«. Die Arbeitsbedingungen wie die Herabwürdigung afrikanischer Menschen sind für sie Zeichen einer »Grundverachtung gegenüber Menschen«. Dass Tönnies bei der Handwerkskammer in Paderborn über Klimaschutz sprechen sollte, wirke angesichts des Geschäftsmodells zusätzlich wie ein trauriger Witz. »Tönnies hat die Schweineschlachtung quasi monopolisiert. Darunter leiden Menschen wie auch das Klima«, erklärt Reisner. So soll die Betriebszentrale in Rheda-Wiedenbrück erweitert werden. Künftig sollen dort täglich 30 000 Tiere geschlachtet werden, 4000 mehr als bisher. Neben der Quälerei durch den Transport und der hohen Verkehrsbelastung werden nach der Schlachthoferweiterung bis zu 6,5 Millionen Liter Frischwasser verbraucht - täglich. Der Protest einer lokalen Initiative blieb erfolglos.
Um auf das Geschäftsgebaren von Tönnies aufmerksam zu machen, wird die »Aktion Arbeitsunrecht« ihren nächsten »Schwarzen Freitag« dem Fleischkonzern widmen. Neben einer Demonstration am 13. September in Rheda-Wiedenbrück hoffen die Aktivisten auch auf dezentrale Aktionen. Zahlreiche Supermarktketten beziehen ihr Fleisch von Tönnies. Mit den Verbrauchern vor Ort in Kontakt zu treten, damit habe die Initiative schon in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht.
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