War das jetzt der große Sprung?

Der Sport schwärmt von den »Finals 2019« am Wochenende in Berlin. Doch die Erfolge sind von kurzer Dauer

Als Malaika Mihambo am frühen Sonntagabend ein letztes Mal Anlauf nahm, schauten ihr 34 000 Leichtathletikfans im Berliner Olympiastadion zu. An den Bildschirmen daheim waren es laut ZDF-Quote sogar mehr als 2,27 Millionen. Vielleicht wusste die 25-jährige Heidelbergerin nicht genau, wie viele Augen gerade auf sie gerichtet waren, aber sie wusste schon, dass das keine normalen Deutschen Meisterschaften waren. Zehn Sportarten hatten sich in Berlin versammelt, ARD und ZDF das ganze Wochenende alles übertragen, und Mihambos Sprung, der letzte der Weltjahresbesten, sollte nun der Höhepunkt sein. Und sie lieferte ab: 7,16 Meter. So weit war sie noch nie gesprungen. Drei Jahre lang ist keine andere Frau auf der Welt weiter gesprungen. Ein Glanzpunkt, der die allseits umjubelte Geschichte der »Finals 2019« passend abrundete.

Vor allem die kleinen Sportarten wollten endlich aus dem medialen Schatten heraustreten, die traditionell großen wie Leichtathletik und Schwimmen auch mit den nationalen Titelkämpfen im Fernsehen präsenter sein. Die Quoten besagen, dass der Plan aufgegangen ist. Dazu kamen 180 000 Zuschauer, die die kombinierten Meisterschaften besuchten. Ein voller Erfolg, sagten Triathleten, Fünfkämpfer und Boxer, die solche Wettkämpfe sonst vor viel kleineren Kulissen austragen müssen. Doch trägt das Konzept auch langfristig?

Die Sommersportarten wollten sich an denen des Winters orientieren. Wie konnte es sein, dass die halbe Nation den Rodler Georg Hackl oder den Biathleten Arnd Peiffer kennt, aber nicht die schnellsten Sprinter und Schwimmer? Die Antwort lag auf der Hand: Die Wintersportarten tragen in ihrer Saison von November bis März fast wöchentlich Weltcups, Europa- und Weltmeisterschaften aus. Die Verbände stimmen sogar die Startzeiten aufeinander ab, damit das Fernsehen ohne Verzögerung von einem Wettbewerb zum nächsten springen kann. Im Sommer dagegen werden nicht mal mehr die Weltmeisterschaften der Schwimmer live im Fernsehen übertragen. Die der Bogenschützen oder Fünfkämpfer ohnehin nie.

Also sollten auch hier die Kräfte gebündelt werden. Erstmals geschah dies in Glasgow im vergangenen Jahr, als sich in Schottland sechs Sportarten zu gemeinsamen Europameisterschaften trafen. Die Fernsehsender fanden es toll, die Zuschauer auch. Und die Sportler natürlich ebenso, denn endlich schaute ihnen jemand zu. Die »Finals 2019« in Berlin waren nun die nationale Fortsetzung des Experiments. Und alle (Sport-)Welt klopft sich nun auf die Schulter: Der Funken für eine neue Sportbegeisterung sei entfacht.

Das Problem ist, dass Glasgow und Berlin eher Strohfeuer sein könnten. Oder gründen sich jetzt Fanclubs für Leichtathletin Mihambo, Fünfkämpferin Annika Schleu oder Bogenschützin Elena Richter? Alle drei werden nun wieder für eine ganze Weile aus den Medien verschwinden. Die Diamond League der Leichtathleten schiebt selbst Eurosport in sein zweites, kaum verbreitetes Programm ab. Auf die WM müssen die Fans noch bis Ende September warten. Die Welttitelkämpfe der Fünfkämpfer Anfang September in Budapest wird man bei ARD und ZDF gar nicht sehen.

Hier fehlt es den Verbänden der Sommersportarten weiterhin an der nötigen Kooperation. Zeitpläne und Höhepunkte werden nicht untereinander abgestimmt, TV-Verträge lieber einzeln verhandelt, anstatt zusammenzuarbeiten. Dabei zeigen sowohl Sender als auch Zuschauer nun schon zum zweiten Mal, dass sie für derlei Formate wie in Glasgow oder Berlin offen sind.

Den Sportarten selbst wird der eine Höhepunkt im Jahr kaum nützlich sein. Er reicht nicht, damit sich Zuschauer mit den Stars identifizieren. Auch Hackl, Peiffer und Co. mussten erst ein paar Rennen gewinnen, oder mal einen Winter lang immer wieder um die vorderen Ränge mitkämpfen, um im Gedächtnis zu bleiben. Erst dann werden die Homestorys gedreht und die Reportagen aus dem Trainingslager. Und erst mit den Stars kommen die jungen Talente wieder in größerer Zahl in die Vereine, wollen nachmachen, was die Idole tun.

Und selbst für dieses Szenario könnte es bald schon zu spät sein. Immer weniger Menschen schauen in Zeiten von Streaming-Diensten lineares Fernsehen. Und in Zeiten der Influencer auf Foto- und Videoplattformen sind für immer weniger junge Menschen noch Sportler diejenigen, denen sie nacheifern wollen. Diese Trends aufzuhalten dürfte schon schwer genug sein. Ihnen etwas Neues - noch dazu Analoges - entgegenzusetzen noch viel schwieriger.

Die »Finals 2019« mussten dieser Tage noch für einen weiteren Traum herhalten: den von Olympischen Spielen in Deutschland. Man sehe doch die Begeisterung der Menschen und der Athleten. Was also soll gegen einen weiteren Bewerbungsanlauf sprechen? Dabei muss man wohl sagen, dass von den 180 000 Zuschauern in Berlin die meisten ohnehin so sportbegeistert sind, dass sie nicht von Olympia überzeugt werden müssen. Die anderen knapp 3,4 Millionen Berliner, die am letzten Ferienwochenende lieber etwas anderes machten, wohl schon eher.

Fehlende Begeisterung für sportliche Höchstleistungen ist nicht Olympias Problem, sondern der Eindruck, dass es sich bei IOC und lokalen Organisatoren um Teile einer Elite handelt, die korrupt ist und Steuergeld verpulvert. An diesem Eindruck haben schon die Agenda 2020 des IOC und allerlei kleine Reformen nichts geändert, also werden es die »Finals 2019« auch nicht schaffen.

Und wie groß die Begeisterung deutschlandweit war, zeigt ein weiterer Vergleich. Die gut zwei Millionen ZDF-Zuschauer am Sonntag waren zwar eine stattliche Zahl. Zum Supercup der Fußballer hatten am Abend vorher aber acht Millionen Fans eingeschaltet.

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