In einen angenehmen Schlaf gefallen
Liz Harris / Nivhek
Die Musik, die Liz Harris unter dem Namen Grouper produziert, gehört zu den interessantesten und rätselhaftesten Ambient-Spielarten. Die ersten Grouper-Alben waren noch nahezu durchweg verrauscht und verhangen. Abgewrackte Synthesizer, Gitarre, Samples und Stimme wurden durch diverse Filter geschickt, die eigentlich niemand mehr benutzt; einige davon schienen auch sehr kaputt zu sein. Auf ihren letzten beiden Alben - »Ruins« und »Grid of Points« - hat Harris sich weitgehend auf Klavier und Stimme beschränkt.
Liz Harris gelingt es, die im Ambient virulenten klanglichen Klischees zu vermeiden. In ihrer Bewegungslosigkeit, vorgeblichen Passivität und Entrücktheit ist diese Musik radikal eigensinnig. Und scheint ein Eigenleben zu haben: Was hier klingt, soll sich der Kontrolle der Künstlerin und auch des Hörers offenbar so weit wie möglich entziehen. Ein denkbar direktes Bild für die Abgabe von Handlungsmacht, die eine Voraussetzung dieser Musik ist: Während der Aufnahmen zu »Grid of Points« habe sie ein so starkes Fieber bekommen, dass sie den Studioaufenthalt abbrechen musste, erzählt Harris. Daher dauert das Album halt nur 22 Minuten.
Unter dem Namen Nivhek hat Liz Harris jetzt ein Album eingespielt, das an die frühen Arbeiten von Grouper anschließt, vor allem in der Instrumentierung. »After its own death / Walking in a spiral towards the house« beginnt mit einer Art Chorgesang, bestehend aus Harris’ vervielfältigter Stimme. Es schiebt sich ein undefiniertes Pochen ins Bild, kurz darauf ein Synthesizer-Drone. Nach acht Minuten setzt ein Mellotron ein, das den Sound des Albums über weite Strecken bestimmt. Harris spielt eine Art künstlich erzeugte Gamelan-Musik in Zeitlupe, die den Eindruck erweckt, die Künstlerin sei beim Musizieren immer wieder in einen angenehmen Sekundenschlaf gefallen.
Später hört man auch hin und wieder Gitarren und Field Recordings. Letztlich aber ist es egal, woraus der Klangkosmos (hier passt das abgegriffene Wort einmal) von Nivhek gebaut ist. An zwei, drei Stellen wird gesungen, und die Texte bestätigen den Eindruck, dass der Wunsch, der in dieser Musik verborgen, aber spürbar ist, unter anderem darin besteht, vor den Zumutungen der Welt einfach wegzutauchen, in die Musik: »I wish to feel small / Wish these cares and worries held less sway / I wish to sleep at night and love without this open pain.« Diese Musik und die Stimme wirken, als seien sie kurz vor dem Verschwinden und als sei dieses Verschwinden ein Gefühl von Glück. Ein sehr ambivalentes allerdings.
Nivhek: »After Its Own Death / Walking In A Spiral Towards The House« (Yellow Electric)
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.