Fußballfans sind wachsamer

Das Ausbeutertum des Schalker Präsidenten Tönnies wiegt ebenso schwer wie dessen Rassismus, findet Christoph Ruf

Nein, allzu viele Überraschungen hatte die erste Pokalrunde nicht parat. Ein paar Menschen dürften bei Google Maps nachgesehen haben, wo dieses Verl liegt, das war’s dann aber auch schon weitgehend.

Aber eben nicht ganz, denn Drochtersen/Assel, noch so ein Google-Kandidat, verlor zwar erwartungsgemäß gegen den FC Schalke 04, war aber auch der Schauplatz von Fanprotesten. »Wir zeigen Tönnies die Rote Karte«, stand auf einem Transparent vor der Schalker Kurve, in der Tausende rote Tafeln mit dem Namenszug des Aufsichtsratsvorsitzenden hochgehalten wurden, auf der anderen Seite stand »Rassismus«. Wer die Bilder sieht, sieht keine Lücken, die Fans scheinen eine ziemlich deutliche Meinung zu Tönnies (»Dann würden Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren«) zu haben.

Tönnies selbst hat seine rassistischen Äußerungen hingegen in altbewährter Politikermanier abmoderiert: Ein bisschen zerknirscht tun, sich erst mal aus dem Rampenlicht ziehen und nach einem Vierteljahr, wenn Gras über die Sache gewachsen ist, wieder auftauchen.

Das könnte klappen. Denn zum einen sind weite Teile der Eliten aus Wirtschaft, Politik und Kirche nicht annähernd so sensibilisiert wie Fußballfans. Es wäre undenkbar, dass Tönnies eine solche Aussage in einem Stadion getroffen hätte, ohne dass danach Hunderte ihren Unmut artikuliert hätten. Die Mitglieder der Paderborner Handwerkskammer sind sitzen geblieben - auch der Erzbischof, der dafür aber sicher bald wieder genauso unverbindlich von »Vielfalt und Toleranz« schwafeln wird, wie es die politische Elite auch tat. Es ist ja schon sagenhaft, in welcher Geschwindigkeit sich alle möglichen Prominenten zu jedweden rassistischen Ausfällen äußern. Dass sie das in einer Formelhaftigkeit tun, die keinerlei innere Anteilnahme verrät, ist dabei genauso entlarvend wie der Reflex an sich.

Schon drollig, wenn der Schalker Ehrenrat ganz offenbar heilfroh ist, dass der große Vorsitzende die Entscheidung selbst getroffen hat, sich für drei Monate zurückzuziehen. Denn man kann sich genau vorstellen, wie das Gremium selbst eine solche Entscheidung begründet hätte. Nämlich nicht inhaltlich: »Weißt ja, was da draußen los ist, Clemens.«

Geäußert hat sich der Ehrenrat aber, und das hätte er wirklich besser lassen sollen. Denn während jeder Geschichtslehrer mit seiner siebten Klasse anhand der Tönnies-Aussage allerlei klassisch-rassistische Stereotypen hätten herausarbeiten können, kommt der Ehrenrat bei seiner Textexegese zu einem ganz anderen Urteil: »Das Gremium ist nach mehrstündiger Sitzung zu dem Ergebnis gekommen, dass der (...) erhobene Vorwurf des Rassismus unbegründet ist.« Womit wir bei einem weiteren Faktor wären, der dafür sorgen dürfte, dass Tönnies schon bald wieder gut gelaunt in der Veltins-Arena Hof halten wird: Die Unfähigkeit der Internetöffentlichkeit, sich mal kurz zu konzentrieren, ehe man zum nächsten vermeintlichen Skandal hoppt. Sie kommt jenen Menschen sehr zupass, die glauben, dass in einem Vierteljahr alles vergessen sei.

Und dann wäre da noch die weitgehende Gleichgültigkeit der sich als links verstehenden urbanen Eliten gegenüber der Sozialpolitik. Schon vor einer Weile hat sich nämlich eine »Aktion gegen Arbeitsunrecht« gegründet. Adressat ist Tönnies, der sein Billigfleisch ja nur deswegen so billig herstellen kann, weil er alle Tricks nutzt, die man in Deutschland mit Werkverträgen, Subunternehmern und allen anderen legalen Betrügereien nutzen kann.

Wie viel die rumänischen oder bulgarischen »Entbeiner« in Tönnies’ Schlachtbetrieben verdienen und wie sie untergebracht sind, lässt sich gut recherchieren und würde in Italien oder Frankreich auch für entsprechenden Aufruhr sorgen. Im bis ins alternative Milieu hinein wirtschaftsliberalen Deutschland interessiert das nicht so richtig.

Im Interview mit dem »SZ-Magazin« hat der slowenische Philosoph Slavoj Žižek der politischen Linken in Westeuropa vorgehalten, sie habe »keine Antworten mehr, deswegen liebt sie die Moral so sehr statt sich für die Ausgebeuteten einzusetzen«. Der Mann hat recht. Tönnies’ Reichtum beruht auf billig hergestelltem Quälfleisch, sein Weltbild ist offenbar rassistisch grundiert. Aber erst, wenn sich einmal in Deutschland genau so viele Menschen darüber aufregen, dass er ein skrupelloser Ausbeuter ist, wäre sein System wirklich gefährdet.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!