Immer weniger Umzüge wegen hoher Mieten

Zu klein oder zu groß: Viele Menschen harren in Wohnungen aus, die nicht mehr ihrem Bedarf entsprechen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Florian Schmidt wohnt mit Frau und den zwei kleinen Kindern in Berlin in einem Altbau zur Miete. Dabei ist die Zweiraumwohnung für die vierköpfige Familie inzwischen viel zu klein. Man hat inzwischen versucht, die Wohnfläche ein wenig zu vergrößern. Schmidt kennt sich aus mit dem Problem der bezahlbaren Mieten. Der Mittvierziger ist Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und versucht in diesem Amt, die Immobilienspekulation einzudämmen. Mit seiner Familie will er in drei Jahren eine größere Wohnung gefunden haben. Dann ist sein älteres Kind zehn Jahre alt.

Szenewechsel in den tiefen Süden. Der Münchner Familie R. geht es wie vielen älteren Ehepaaren: Die Töchter sind aus dem Haus, eigentlich ist die Wohnung zu groß geworden für zwei Personen. Sie wohnen in einem Neubauviertel an der Domagkstraße und wollten eigentlich nach einer kleineren Wohnung suchen. Aber »das macht momentan keinen Sinn«, sagt Anton R. Denn für die kleinere Wohnung müssten sie fast ebenso viel an Miete bezahlen wie jetzt. »Wir bleiben erst mal drin«, sagt der 69-Jährige.

Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt ist in einer Straße in München Laim lautes Hämmern zu vernehmen. Familie L. ist gerade dabei, eine Mauer in ihrer Dachgeschosswohnung einzureißen. Mit Erlaubnis des Vermieters. Denn so erhält die größere der beiden Töchter ein eigenes Zimmer. Auch dieser Umbau hat mit der angespannten Lage am Wohnungsmarkt zu tun. Auch hier lautet die Devise: Wir bleiben erst mal drin.

In Fällen wie diesen sprechen Experten vom sogenannten Lock-in-Effekt: Wegen der drastisch gestiegenen Mieten geben es viele Menschen auf, nach einer neuen Wohnung zu suchen, die größer oder kleiner und damit günstiger in der Miete ist. Denn zwischen der Bestandsmiete und den Preisen bei Neuvermietung liegen oft 30 Prozent Unterschied. Familien, die eigentlich gerne umziehen würden, bleiben deshalb lieber dort, wo sie sich aufgrund von Altverträgen die Miete noch leisten können. Und das, obwohl die Wohnung nicht mehr mit ihren Bedürfnissen übereinstimmt. Sie sind dort quasi »eingesperrt« (Lock in).

Ablesen lässt sich diese Entwicklung an der Umzugsrate. Gemeint ist damit der Anteil der Bewohner einer Stadt oder Stadtteils, der innerhalb eines Jahres die Wohnung wechselt. Je angespannter der Mietwohnungsmarkt, desto geringer die Quote. Beispiel Berlin. Noch 2003 titelte eine Tageszeitung: »Umziehen wie die Weltmeister: 460 000 Berliner wechselten die Wohnung.« Und: »Die meisten Berliner wechseln ihre Bleibe, um in eine größere oder besser geschnittene Wohnung zu ziehen.« Begünstigt werde der Trend durch den hohen Leerstand und die dadurch relativ günstigen Mieten.

14 Jahre später war es vorbei damit: Nach enormen Mietsteigerungen war die Umzugsquote in der Hauptstadt von 10,4 Prozent 2006 auf 7,9 Prozent 2015 und auf 5,9 Prozent 2017 gefallen. In München zogen 2007 noch 8,5 Prozent der Einwohner um, neun Jahre später waren es nur noch 7,3 Prozent, Tendenz weiter sinkend. 2017 betrug ihre Zahl 6,7 Prozent.

»Mieter in Deutschland wechseln immer seltener ihren Wohnsitz«, lautete vergangenes Jahr auch das Fazit des Energiedienstleisters Techem, der Mieterwechsel über die Heizkostenabrechnung analysierte. Auf Bundeslandebene lag die durchschnittliche Umzugsquote 2017 bei 8,8 Prozent und damit erstmalig unter neun Prozent.

Die sozialen Folgen dieses Lock-in-Effekts sind nicht sehr positiv. Menschen, die in einer Position verharren müssen, die sie eigentlich ändern wollen, sind nicht zufrieden. Das Pendeln vom günstigeren Umland zu den Arbeitsplätzen in der Stadt belastet die Umwelt und kostet Lebenszeit. Firmen haben es dadurch zudem immer schwerer, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Hohe Mietpreise wirken also wie Sand im Getriebe einer sozialen Mechanik.

Historisch gesehen bildete übrigens die Zeit der Industrialisierung einen Höhepunkt der Binnenwanderung. Um die Jahrhundertwende 1900 zog in Berlin und Hamburg jährlich jeweils ein Drittel, in Breslau gar die Hälfte der Mieter um. Der Grund: die Suche der Arbeiterfamilien nach einer hinreichend großen, aber eben noch bezahlbaren Wohnung.

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