Hüpfende Herzen und Agonie - 125 Jahre Fußballgeschichte
Ein Buch beleuchtet die Vereinshistorie des 1. FC Lok Leipzig. Ein kleines Kunstwerk, das positiv Wahnsinnige zusammengebastelt haben
Alltag 2019: Der 1. FC Lokomotive Leipzig kickt in der Regionalliga, ab und zu schauen ehemals große DDR-Klubs vorbei und alle Lok-Fans träumen von der glorreichen Vergangenheit, die sie so gern in die Zukunft exportiert würden.
Nun gibt es ein Buch, nein, es ist kein Buch, es ist ein Kunstwerk, das die 125 Jahre vom VfB Leipzig zu Lokomotive erzählt. Samt diverser Rück- und Umbenennungen, denn besonders die DDR-Fußballverbandselite zeigte sich sehr offen gegenüber Namensänderungen, ein Graus für alle Traditionalist*innen, diese Spezies ist aber auch eher eine Erfindung der Nachwendejahre.
Die Herausgeber Tomas Franke, Marko Hofmann und Matthias Löffler bewiesen in der Vergangenheit schon bei diversen Lok-Buchprojekten, welch grandiose Trüffelschweingene sie in sich tragen. Kein Dachboden in Leipzig und Umgebung ist vor ihnen sicher, kein zugewachsener Weg zu dornig, keine Ex-Spieler sind zu verloddert, um an Bild- und Textmaterial zu kommen. Insofern setzt der vorliegende Monsterband neue Maßstäbe, ja, er ist eine knorke Augenweide, weil die drei stabilen Herren noch einen vierten Fachmann mit ins Boot geholt haben, der Daniel Janetzky heißt und Kraft seiner überragenden Fähigkeiten als Gestalter aus dem Sammelsurium ein Buchkunstwerk geschaffen hat.
Das Herzstück sind die Europapokalbegegnungen, der Traum aller Fußballfreund*innen in nah und fern, wahre Festtage, die im grauen DDR-Alltag die hungrigen Herzen der Leipziger*innen zum Hüpfen brachten. Doch der Europapokaltraum ist für Lok ein längst ausgeträumter, wie gegenwärtig auch für alle anderen Fußballmannschaften mit DDR-Vergangenheit.
Auf handgezählten 528 Seiten zeichnen Hunderte Fotos - wenn der Farbfilm nicht vergessen wurde, auch in Farbe - den Leipziger Fußball nach, kombiniert mit einem nicht überladenen Fließtext, der uns an die Hand nimmt und durch das Kuriositätenkabinett VfB/Lok Leipzig geleitet.
Kein Platz bleibt ungenutzt. Im Vor- und Nachsatz sind diverse Eintrittskarten hauptsächlich zu Begegnungen des Vereins im Europapokal abgebildet, im Inneren des Buches kommt keine Seite ohne mindestens ein Foto aus. Das setzt monatelanges Seiten-Basteln voraus, eine Arbeit, die sich nur positiv Wahnsinnige machen, insofern ist es nicht verwunderlich, dass die drei Herren gleich einen Verlag gründeten - um sich nicht von Betriebsnudeln eines Verlags reinquatschen zu lassen, die nur in Kopeken denken.
Liebe Leser*innen, lasst euch von der Leipziger Loksche mitnehmen auf ein Zeitreise durch 125 Jahre ostdeutsche Fußballgeschichte, die alles an Drama, Trubel und Glückseligkeit beinhaltet, was ein Fußballklub an Irrsinn aufzubringen vermag. Erlebt die Höhen des Europapokalfinales in Athen und den Absturz und den Einfall der Barbar*innen nach der Wende. Genießt feine Sätze, die unter anderem Günter Grass zum von so vielen heiß geliebten Fußballsport verfasst hat. Und besorgt euch eine Seilwinde, mit deren Hilfe ihr das Prachtexemplar von einem Buch in eure Schrankwand expediert.
Thomas Franke, Marko Hofmann, Matthias Löffler (Hrsg.): 125 Jahre. Vom VfB zum 1. FC Lokomotive Leipzig: Die Geschichte des Ersten Deutschen Meisters, MMT Verlag, 528 S., geb., 39 Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.