Nur als ein Trümmerfeld!

Vor 75 Jahren hat sich Paris von den Nazis befreit. Nun eröffnet das neue »Museum der Befreiung«.

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 25. August 1944 wurde Paris durch die französische Zweite Panzerdivision und durch Kämpfer der Pariser Widerstandsorganisationen von der Nazi-Besetzung befreit. Aus Anlass des 75. Jahrestages finden an diesem Wochenende zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, darunter eine Fahrt mit historischen Militärfahrzeugen auf der Strecke, den seinerzeit die Zweite Panzerdivision von der Porte d’Orléans am südlichen Stadtrand quer durch die Stadt bis zum Rathaus nahm. Dieser Weg führt am Platz Denfert-Rochereau vorbei, wo am Vorabend des Jahrestages das neue »Museum der Befreiung« von Paris eingeweiht wird. Es ist zugleich ein Museum über General Leclerc, der die auf Befehl von General de Gaulle in Nordafrika gebildete und an der Seite der US-amerikanischen Alliierten an der Mittelmeerküste gelandete Zweite Panzerdivision geführt hat. Und es ist auch ein Museum über Jean Moulin, der im Mai 1943 mitten im besetzten Paris mit den Abgesandten der verschiedenen Widerstandsorganisationen aus dem ganzen Land einen Nationalen Widerstandsrat gebildet und auf General de Gaulle eingeschworen hat, der von London aus den inneren und äußeren Kampf für die Befreiung Frankreichs anführte.

Ein vergleichbares Museum gab es zwar bereits seit 1994 in der Nähe des Montparnasse-Bahnhofs, doch es lag ungünstig. Jährlich fanden kaum mehr als 10 000 Besucher - meist Schulklassen - den Weg dorthin. Der neue Standort, eine 1785 gebaute Zollstation, an der seinerzeit für die nach Paris eingeführten Lebensmittel Gebühren zu entrichten waren, ist stadtbekannt und für Pariser wie Touristen verkehrsgünstig gelegen. Entsprechend rechnet man für das neue modern umgestaltete Museum mit stark steigenden Besucherzahlen. Vor allem gibt es hier einen historischen Bezug, denn tief unter dem Gebäude befand sich 1944 ein Bunker, der nun ins Museum einbezogen wird. Von dort aus hat der legendäre Widerstandskämpfer Henri Rol-Tanguy den Aufstand zur Selbstbefreiung der Stadt geleitet. Diesen Bunker ließ die Stadtverwaltung 1938 bauen, um unter Kriegsbedingungen wichtige Versorgungsverwaltungen bombensicher unterzubringen. Die deutschen Besatzer kannten ihn, haben ihn aber nicht genutzt.

Als die gaullistischen Widerstandsorganisationen und die kommunistischen FFI (Forces françaises de l’intérieur - Französische Kräfte des inneren Widerstands) am 19. August 1944 zur Selbstbefreiung der Stadt von den Besatzern aufriefen, richtete der FFI-Oberst Rol-Tanguy hier seinen Stab ein. Der Bunker war günstig gelegen, denn durch Verbindungsgänge zur nahen Metro und zu den Katakomben konnte man unbeobachtet kommen und gehen. Außerdem stand das interne Telefonnetz der Metro zur Verfügung, wo viele Kommunisten arbeiteten und über das Informationen gesammelt und Befehle übermittelt werden konnten.

Dem Aufstand waren ab 10. August Streiks der Pariser Verkehrsbetriebe, der Post und anderer öffentlicher Dienste und ab dem 18. August ein Generalstreik vorausgegangen. Die Polizisten der Pariser Präfektur, von denen viele Erfüllungsgehilfen der deutschen Besatzer bei der Verhaftung von Widerstandskämpfern und der Deportation von Juden gewesen waren, schlossen sich jetzt - gerade noch rechtzeitig - dem Widerstand an. Der kam dadurch zu Waffen. Trotzdem war aber bestenfalls jeder fünfte Résistance-Kämpfer bewaffnet. Ihre Aktionen beschränkten sich zumeist darauf, durch Barrikaden die Bewegungen der Besatzer zu behindern und sie durch Anschläge auf einzelne Soldaten und Offiziere zu verunsichern. Es befanden sich aber noch 15 000 bis 20 000 deutsche Militärangehörige in der Stadt, und der Stadtkommandant General Dietrich von Choltitz hatte von Hitler den Befehl, den Aufstand gnadenlos niederzuschlagen und die Stadt mit allen Mitteln zu halten. »Paris darf nicht in die Hand des Feindes fallen oder nur als ein Trümmerfeld«, endete der an Choltitz übermittelte Befehl. Dem fehlten aber für die befohlene Sprengung der Brücken, markanter Gebäude und Viertel sowohl die Zeit als auch die nötigen Leute und der Sprengstoff, obwohl er all das wiederholt anforderte und davon die Ausführung des Befehls abhängig machte.

Doch für den Kampf gegen die Résistance reichten die vorhandenen Kräfte noch. Da die Lage für die Aufständischen bald kritisch wurde, wandten sie sich an die Alliierten und baten dringend um Unterstützung. Für den US-amerikanischen Oberbefehlshaber General Eisenhower hatte die Einnahme von Paris keine Priorität. Er wollte die Stadt umgehen und so Straßenkämpfe und die Verantwortung für die Versorgung der Einwohner vermeiden. Doch General de Gaulle konnte ihn umstimmen und erreichen, dass die französische Zweite Panzerdivision, unterstützt durch US-amerikanische Verbände, vorstoßen und Paris einnehmen sollte.

Am Abend des 24. August drang ein Vorauskommando mit drei Panzern von Süden in die Stadt ein und konnte bis zum Rathaus vorrücken, ohne auf nennenswerten Widerstand der Besatzer zu stoßen, von denen die meisten inzwischen die Flucht ergriffen hatten. Am 25. August vollendete die Zweite Panzerdivision die Befreiung der Stadt. Ihre französischen Kämpfer sowie die US-amerikanischen Verbündeten wurden von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. Stadtkommandant von Choltitz wurde verhaftet und unterzeichnete die Kapitulationsurkunde, die von französischer Seite durch General Leclerc und FFI-Oberst Rol-Tanguy gegengezeichnet wurde. Charles de Gaulle kam am 26. August nach Paris und zog an der Spitze einer riesigen Menschenmenge über die Champs-Elysées. Im Anschluss hielt er von einem Fenster des Rathauses aus eine Rede an die auf dem Vorplatz versammelten Pariser, in der er die Befreiung der Stadt durch die Einwohner und durch die französischen Soldaten würdigte. Dabei brachte er es fertig, die Alliierten, die seine Truppen ausgerüstet und bewaffnet hatten, mit keinem Wort zu erwähnen.

Der deutsche General von Choltitz hat sich später in seinen Memoiren gebrüstet, Paris aus »Gewissensgründen« vor der befohlenen Sprengung bewahrt zu haben. Dafür wurde er sogar Jahre später von Frankreich zum »Ritter der Ehrenlegion« geschlagen. Inzwischen weiß man es besser, denn Historiker haben nachgewiesen, dass die Alliierten seinerzeit den Sprengbefehl Hitlers kannten und General von Choltitz über geheime Kanäle ausrichten ließen, wenn er diesem Befehl nachkäme, würde er als einer der Hauptkriegsverbrecher angeklagt.

Musée de la Libération de Paris, Place Denfert-Rochereau, Eröffnung am 24. August.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.