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»No Other Land«: Beim Filmen das Leben riskiert
Der palästinensisch-israelische Dokumentarfilm »No Other Land« ist eine Hommage an die Solidarität
Die Regisseure Basel Adra und Yuval Abraham haben sich sicherlich etwas anderes gewünscht. Doch wenn sich in Deutschland aus ihrem Dokumentarfilm »No Other Land« etwas lernen lässt, dann ist es wohl die Einsicht, dass dem Antisemitismus-Diskurs offizieller bundesdeutscher Stellen wirklich nicht mehr zu trauen ist. Über diesen klugen und berührenden Film, der auf der Berlinale im Februar zu Recht den Dokumentar- und Publikumsfilmpreis gewann, haben staatliche Stellen alle erdenklichen Unterstellungen verbreitet. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) distanzierte sich unmittelbar nach der Preisverleihung vom Film, Kulturstaatssekretärin Claudia Roth ließ verlautbaren, sie habe in Berlin nur dem Israeli Abraham, nicht aber dem Palästinenser Adra applaudiert. Schließlich dichtete die offizielle Webseite der Stadt Berlin dem Film zum Kinostart diese Woche sogar »antisemitische Tendenzen« an, was sie dann allerdings widerrufen musste.
Das Ganze ist auch deshalb so erschütternd, weil »No Other Land« in erster Linie ein Bekenntnis zu radikaler Menschlichkeit ist. Basel Adra und Yuval Abraham sind in ihrem Film fast schon verzweifelt darum bemüht, eine Verbindung jenseits der ethnischen Zuschreibungen aufzubauen und sie gegen das wahnsinnige Besatzungsregime zu verteidigen. Man muss sich wirklich fragen, wozu Erinnerungspolitik gut ist, wenn sie dazu dient, den Widerstand von Menschen gegen ihre Vertreibung zu denunzieren. Was für eine Lehre aus dem Faschismus soll das sein?
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Doch der Reihe nach: »No Other Land« spielt in einem palästinensischen Dorf im kargen Süden des Westjordanlands, das seit 1977 von Israel für einen Truppenübungsplatz beansprucht wird. Die Familien kämpfen seit Jahrzehnten gegen ihre Vertreibung, die sie mithilfe internationaler Öffentlichkeit immer wieder bremsen konnten. Seit einigen Jahren jedoch ist der Konflikt eskaliert. Ein israelisches Gericht hat Räumungstitel erteilt, die Armee reißt nach und nach die Häuser der Palästinenser*innen nieder, die dann in Höhlen hausen müssen. Worum es dabei eigentlich geht, ist unschwer zu erkennen: Während die Armee das Land der Palästinenser*innen für Militärübungen benötigt, haben jüdische Siedler*innen in unmittelbarer Nachbarschaft neue Wohnblöcke errichtet.
»No Other Land« entspringt der Motivation des jungen Palästinensers Basel Adra, sich diesem Unrecht zu widersetzen. Mit einem Mut, den man wohl nur als heroisch bezeichnen kann, filmt er die Übergriffe der Staatsmacht mit dem Handy und riskiert dabei sein Leben. Adra begreift sich sowohl als Journalist wie als Bürgerrechtsaktivist. Er will eine internationale Öffentlichkeit mobilisieren, um die Armee zu stoppen. Mit dieser Haltung knüpft er auch an die Erfahrungen seines Vaters an, der seit Jahrzehnten zivilen Ungehorsam gegen die Vertreibungen organisiert.
An dieser Stelle zieht »No Other Land« jedoch noch eine Reflexionsebene ein: Der jüdisch-israelische Journalist Yuval Abraham schließt sich seinem palästinensischen Kollegen an und beginnt über dessen dokumentarische Arbeit zu erzählen. Dabei muss er auch Widerstände überwinden, denn die Mauern der israelisch-palästinensischen Zwei-Klassen-Gesellschaft verhindern eine Begegnung auf Augenhöhe.
Je länger der Film läuft, umso deutlicher wird, was propalästinensische Gruppen meinen, wenn sie von »Apartheid« sprechen. Während Adra sich mit seiner grünen Ausweiskarte nur in der Westbank (genauer gesagt: in Teilen der Westbank) bewegen darf und der Willkür der Soldaten ausgesetzt ist, kann sich Abraham als jüdischer Israeli bei der Begegnung mit Militärs und Siedlern auf den Schutz seines Rechtsstaats beziehen. Wird es zu brenzelig, kann er zurückkehren in ein Land, in dem er vergleichsweise sicher lebt.
Doch »No Other Land« ist nicht in erster Linie ein Film über das Unrecht, das den Bewohnern des palästinensischen Dorfs angetan wird und das einen als Zuschauer fast schon körperlich mitnimmt. Viel wichtiger ist die Erzählung über die Freundschaft zwischen Basel und Yuval, die beide Ende 20 sind und deren Verbindung von den Machtverhältnissen immer wieder auf die Probe gestellt wird. Denn Yuval ist der einzige Israeli im Film, der den Palästinensern nicht mit Gewalt gegenübertritt, und wird genau deshalb immer wieder zum Blitzableiter ihrer Wut.
Nachdem einer der Dorfbewohner von israelischen Soldaten niedergeschossen wurde und bis zur Halswirbelsäule querschnittsgelähmt ist, wird die Lage immer aussichtsloser. An dieser Stelle fragt man sich, ob sich die Wut der Dorfbewohner nicht auch gegen den Israeli Yuval richten wird. Der jedoch bleibt, weil er wohl spürt, dass seine Solidarität erst real wird, wenn auch er etwas riskiert.
Es ist berührend zu sehen, wie die beiden sich immer näher kommen. Wie sie erschöpft im Café sitzen und sich abzulenken versuchen. Wie sich Basel seine Kraft mit Galgenhumor zurückholt und wie Yuval sichtlich darunter leidet, wenn der Freund an ihm zweifelt. In diesem Sinne ist »No Other Land« eine Hommage an die Solidarität. In aussichtsloser Lage bemühen sich zwei Menschen, im jeweils anderen nicht das ethnische Kollektiv, sondern den Bruder zu sehen. Und genau damit zeigt dieser großartige, sehr persönliche Film auch auf, wie der 100-jährige Krieg um Palästina enden könnte. Nämlich, indem die einen für die anderen eintreten, sodass alle »from the river to the sea« mit den gleichen Rechten und Freiheiten an diesem Ort leben können.
»No Other Land«, Palästina/Norwegen 2024. Regie: Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor. 95 Min. Bereits angelaufen.
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