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Nichts ist gut!
Die Geretteten an Bord der »Ocean Viking« können nach zwei Wochen endlich an Land gehen
Mitten in die Pressekonferenz am Freitagmorgen platzte die Nachricht: Malta lässt die 356 Menschen an Land. Zwei Wochen lang hatten sie auf dem Rettungsschiff »Ocean Viking« auf Rettung gehofft. Das Trinkwasser wurde bereits knapp. Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée sind die Organisationen, die die »Ocean Viking« betreiben. Auf ihrer Pressekonferenz warben sie für eine langfristige, menschliche Seenotrettung im Mittelmeer. Erneut hatte es auch im aktuellen Fall einen endlosen Eiertanz zwischen den europäischen Regierungen gegeben. Weder Italien noch Malta waren zunächst bereit, das Schiff einlaufen zu lassen. Erst am Donnerstag hatte Portugal verlauten lassen, man sei zur Aufnahme von 35 Menschen bereit. Deutschland, Rumänien, Frankreich, Irland und Luxemburg zogen nach.
»Nichts ist gut!« twitterte die Bewegung »Seebrücke« als Reaktion auf das Ende der 14-tägigen Strapaze. Die 356 Geretteten, darunter 90 unbegleitete Minderjährige, können zwar nun endlich an Land. Doch viele dieser Menschen sind traumatisiert. Sie waren physischer oder psychischer Gewalt in den Internierungslagern in Libyen oder in ihren Herkunftsländern ausgesetzt. Das Seerecht sieht vor, dass Schiffbrüchige möglichst schnell an Land gebracht werden. Trotzdem hat es wieder zwei Wochen gedauert.
Zuletzt war es die »Open Arms« gewesen, die zwei Wochen auf einen sicheren Hafen warten musste. Italien erbarmte sich erst, als sich bereits verzweifelte Menschen von der Reling stürzten. Im Juni war Carola Rackete, Kapitänin von »Sea Watch 3«, verhaftet worden. Sie hatte keinen anderen Ausweg gesehen, als ohne Erlaubnis den Hafen von Lampedusa anzusteuern.
Max Avis, Rettungskoordinator der Organisationen für die »Ocean Viking«, warb von Marseille aus: »Wenn die Staaten nicht endlich Verantwortung übernehmen, werden immer mehr Menschen sterben.« Kanzlerin Angela Merkel hatte vor einer Woche immerhin verlauten lassen, dass Seenotrettung ein Gebot der Menschlichkeit sei. »Nicht nur das; es ist auch eine rechtliche Verpflichtung«, fügte Jana Ciernioch auf der Pressekonferenz in Berlin hinzu. Sie ist Politische Referentin von SOS Méditerranée Deutschland. Michael, Sanitätshelfer auf der »Ocean Viking« wurde mit einer Videonachricht dazugeschaltet: »Ich arbeite in Deutschland im Rettungsdienst. Wenn ich da 14 Tage warten müsste, bis ich ein Krankenhaus anfahren kann, wäre das ein Skandal.«
Bis zum Freitagmorgen wusste niemand, wie die Odyssee ausgehen würde. Inzwischen wurde die Verpflegung auf dem Schiff knapp. Bis Montagabend hätten Essen und Trinken noch gereicht, teilte die Besatzung mit. Der gesundheitliche Zustand von zwei der Geflüchteten war kritisch. Alle Geretteten an Bord hatten Angst, dass sie zurück nach Libyen gebracht werden könnten.
Eine Rückführung von Geflüchteten nach Libyen ist für Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée jedoch keine Option. Viele der Geretteten kommen aus den libyschen Internierungslagern. Den Horror, den die Menschen dort erlebt haben, könne man nur als Folter bezeichnen, äußerte Sam Turner dazu, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Tripolis. Auch die EU hatte die Zustände in den Lagern schon öfter kritisiert, woraufhin Libyen ankündigte, drei von ihnen zu schließen. Bis jetzt ist jedoch nichts passiert.
Eines der drei Lager in der Nähe von Tripolis wurde im Juli von einer Bombe getroffen. Auch einige Menschen auf dem Boot hatten diesen Angriff miterlebt, bei dem mindestens 53 Menschen starben. Ein 16-jähriger Junge hatte sich barfuß aus den brennenden Trümmern des Lagers gerettet. Nun wolle er nach Europa, weil er glaube, dass dort die Menschenrechte respektiert werden, wie Florian Westphal, Geschäftsführer Ärzte ohne Grenzen Deutschland, in der Pressekonferenz schilderte. Mittelfristig müsse es ein geregeltes »Ausschiffungssystem« für den Umgang mit den Rettungsschiffen im Mittelmeer geben, forderte Westphal. Langfristig müssten die EU-Staaten Verantwortung übernehmen. Rettungsaktionen wie die der »Ocean Viking« seien nur »Notfalleinsätze, weil die EU nicht da ist«, ergänzte Ciernioch.
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