Nicht gekreuzigt, sondern erhängt
Magie, Abschiebungen, antirassistische Klassensolidarität und finstere Monster: Die Fantasy-Serie »Carnival Row«
Fantasy-Serien formulieren selten substanzielle Gesellschaftskritik, die außerdem noch aktuell ist. In dieser Hinsicht bildet die achtteilige Amazon-Serie »Carnival Row« eine Ausnahme. Die im Parlament gehaltenen Reden in diesem viktorianischen Parallelwelt-London, das »The Burge« heißt, ähneln ein Stück weit den Unterhausdebatten zum Brexit, angereichert um eine offen rassistische Rhetorik im Stil der Neuen Rechten. In »Carnival Row« hetzen die Rassisten gegen Elfen, Faune und andere Fabelwesen, die in der Metropole eines imperialistischen Reiches als Geflüchtete leben und ebenso von Behörden wie »besorgten Bürgern« drangsaliert werden. Im Zentrum der mit Steam-Punk-Elementen inszenierten Gothic-Krimigeschichte steht Orlando Bloom als Kommissar, der eine bestialische Mordserie aufklären soll. Mit Cara Delevingne, einer Elfe, die er als Soldat im Kolonialkrieg kennenlernte, verbindet ihn eine nicht ganz einfache Liebesbeziehung. Verwoben sind Krimigeschichte, koloniales Kriegsdrama und die durch rassistische Gesetze verbotene und gesellschaftlich geächtete Liebesbeziehung der beiden Hauptfiguren mit komplizierten Ränkespielen politischer Eliten, sehr britisch wirkenden bürgerlich-viktorianischen Lebenswelten im Stil des 19. Jahrhunderts, dem proletarischen Kampf ums tägliche Überleben in der Großstadt und einer Magie, die naturgesetzmäßig daherkommt und selbstverständlicher Bestandteil dieser Gesellschaft ist.
Im Bauen einer komplexen, in sich stimmigen Welt ist die atmosphärisch dichte Inszenierung der mit großem finanziellem und zeitlichem Aufwand produzierten Serie überzeugender als manch anderes, was im Bereich Fantasy/Science Fiction derzeit auf den Markt kommt. Die tragenden Hauptmotive der Serie sind Rassismus und Kolonialismus. »Carnival Row« dekliniert rassistische Ausgrenzung in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen durch, wobei die rassistische Segregation auch immer etwas mit den undurchdringlichen Grenzen der kolonial geprägten Klassengesellschaft zu tun hat: vom nachbarschaftlichen Tuscheln im bürgerlichen Gated Community-Resort, als ein zu Geld gekommener Faun dort einzieht, bis zur polizeilichen Brutalität, mit der im heruntergekommenen proletarischen Migrantenviertel das Flugverbot für Elfen durchgeprügelt wird. Physische Unterordnung ist fester Bestandteil dieser mitunter brutal repressiven Gesellschaft, deren koloniale Ordnung und Logik dem 19. Jahrhundert entspricht, in vielerlei Hinsicht aber auch politischen und gesellschaftlichen Konflikten unserer Welt sehr ähnlich ist. Flucht, Vertreibung, Abschiebung, rassistische Hetze auf der Straße, aber auch religiöser Fundamentalismus, Bandenkriminalität und jede Menge subalterner und antirassistischer Klassensolidarität fügen sich zu einem gesellschaftlichen Panorama zusammen. Als Fantasy-Erzählung voller Magie und finsterer Monster bleibt »Carnival Row« aber auch immer seiner eigenen parallelweltlichen Logik verpflichtet und entzieht sich einer allzu platten Interpretation.
»Carnival Row« ist bildgewaltig und dramaturgisch gut erzählt. Durchaus witzig sind Details, etwa eine jesusähnliche Erlösergottfigur, die an zahlreichen Wänden hängt, aber nicht gekreuzigt, sondern erhängt wurde und an einem Galgen baumelnd angebetet wird. Auch wenn die Auflösung der handlungstragenden Kriminalgeschichte gegenüber den zuvor aufgebauten und ineinander verschachtelten Spannungsbögen dann ein wenig abfällt, steckt in der Serie noch einiges Potenzial. Deswegen überrascht es kaum, dass Amazon bereits vor dem Serienstart eine zweite Staffel angekündigt hat. Zumal am Ende dieser ersten Staffel die politischen Konflikte eskalieren, die rassistische Segregation sich verschärft und die staatliche Repressionsmaschinerie in der Metropole stärker wird, ebenso wie einige Personen sich auch gegenüber dem politischen Druck emanzipieren und gegen diese Herrschaftsordnung organisieren.
»Carnival Row«, ab 30. August auf Amazon Prime im englischen Original mit deutschen Untertiteln; eine synchronisierte Fassung wird ab November verfügbar sein.
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