30 Tage Kohlezug-Blockade: »Alles, was wir haben«

Im US-Bundesstaat Kentucky blockieren entlassene Minenarbeiter einen Kohleladung, um die Bezahlung ausstehender Gehälter zu erzwingen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 7 Min.

»So lange wir nicht bezahlt werden, bleiben wir.« Das ist das Motto der Minenarbeiter, die seit einem Monat in Harlan County den Abtransport von Kohle im Wert von zehn Millionen US-Dollar blockieren, weil sie immer noch nicht für ihre Arbeit bezahlt worden sind. Es ist das letzte Aufbäumen einer stolzen Arbeitertradition in einer Region in den USA mit einer langen Geschichte von Arbeitskämpfen. Der Protest erfährt Unterstützung von Menschen aus dem ganzen Land und scheint doch nur eins der letzten Rückzugsgefechte zu sein.

Am Ende einer Nachmittagsschicht Ende Juli erfuhren die Minenarbeiter von des Bergbaukonzerns Blackjewel, das ihr Arbeitgeber Insolvenz angemeldet hatte und sie mit sofortiger Wirkung entlassen waren. Die Firma besaß vier Minen in vier verschiedenen Bundesstaaten und beschäftigte in der Bergregion der Appalachen über tausend Arbeiter. Die wurden für ihre letzte Arbeitswoche nicht bezahlt, erfuhren dann, dass auch die Gehaltsschecks der zwei vorherigen Wochen nicht gedeckt waren. Kurze Zeit später kam heraus: Blackjewel hatte es versäumt, die eigentlich in Kentucky vorgeschriebene Sicherheit zur Bezahlung von Arbeitern im Falle einer Insolvenz bei der Bank zu hinterlegen.

Seit 30 Tagen blockieren die Arbeiter die Cloverlick Mine deswegen rund um die Uhr. Auf und um die Schienen zum Werksgelände im Südosten des US-Bundesstaates Kentucky ist ein kleines Protestcamp entstanden, auf den Schienen sitzen Arbeiter in Campingstühlen. Mit ihrer Blockade wollen sie die Auszahlung ausstehender Gelder erzwingen.

»Wir sind denen doch egal, das Einzige was sie interessiert ist ihr Profit«, sagt Josh Holbrook. Seit 18 Jahren arbeitet er in den Minen der Region. Seit dem 1. Juli ist er arbeitslos. »Vor der Blockade hat sich niemand für uns interessiert, seitdem wir den Zug blockieren, haben wir plötzlich die Aufmerksamkeit«, erzählte der 36-Jährige dem linken Blog »In These Times«. Er gibt einen Einblick in die Gedankenwelt der Arbeiter, für die das von Hillary Clinton 2016 versprochene »Umschulung« nicht genug war und die deswegen vor drei Jahren mehrheitlich Donald Trump wählten, einfach weil die Kohle alles ist, was sie haben.

Harlan County war bereits vorher von schließenden Minen und Entlassungen, von Unfällen und Krankheiten durch die Arbeit in den Minen gebeutelt. Nun standen in der Bergbauregion und im benachbarten West Virginia sowie in Wyoming mehr als 1100 Blackjewel-Kohlekumpel plötzlich vor überzogenen Konten und unbezahlten Rechnungen. Es ist nur die letzte und chaotischste Pleite einer Industrie, die in Zeiten von Gas-Fracking und Erneuerbarer Energien immer weniger wettbewerbsfähig ist: Rund ein Dutzend Kohlebergbaufirmen haben in den vergangenen zehn Jahren in den USA Insolvenz angemeldet, allein dieses Jahr waren es vier. Mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze im Kohlebergbau ist in diesem Zeitraum weggefallen. Auch wenn Donald Trumps politische Unterstützung für die Industrie einen kleinen Jobzuwachs bewirkt hat: Langsam stirbt das Geschäft mit der Kohle.

Das ist besonders für Harlan County und den Osten Kentuckys verheerend, weil es in der Region außer den Kohlejobs kaum andere Arbeitsplätze gibt, stattdessen aber viel Armut. Zehn der 25 ärmsten Landkreise in den USA befinden sich in Kentucky. Bei 25.000 Dollar liegt das mittlere Haushaltseinkommen in Harlan – nur fünf Landkreise in den USA sind noch ärmer. Landesweit liegen das Durchschnittshaushaltseinkommen mehr als doppelt so hoch. »Es gibt hier keine Fabriken, wir waren schon immer von der Kohle abhängig. Das sind die einzigen guten Jobs, sonst gibt es nur noch die Arbeit bei Walmart oder den Fast-Food-Ketten«, sagt Ex-Blackjewel-Arbeiter Holbrook. An diese »ehrbaren« Jobs und die Kameradschaft unter Tage erinnern sich Holbrook und viele andere Blackjewel-Mitarbeiter nostalgisch.

Laut Anwälten, die die Arbeiter in den Insolvenzverhandlungen vertreten schuldet die Firma jedem Angestellten durchschnittlich 4202 Dollar an Gehalt oder nicht ausbezahlten Sozialleistungen. Kurz nach der Entlassung der Arbeiter begann die Firma still und heimlich die Kohle, die in den letzten Schichten gefördert worden war, vom Werksgelände abzutransportieren. Zuerst waren es nur fünf Minenarbeiter, die sich auf die Gleise setzten und blockierten. Doch in den vergangenen vier Wochen hat sich eine ganze Protestinfrastruktur gebildet, es gibt Unterstützung aus der gesamten Region.

Donald Trumps Arbeitsministerium hat gerichtlich den Abtransport der verbliebenen Kohle im Wert von über zehn Millionen Dollar in der Mine untersagt. Der Landkreis stellt Toiletten, ein Bestattungsunternehmen hat Zelte spendiert, ein Altersheim stellt Red Bull und Limonade bereit. Die Besitzerin eines China-Restaurants hat von Anwohnern tausende Dollar Spenden gesammelt, Menschen aus dem gesamten Land schickten Spenden. Lokale Politiker bekundeten ihre Unterstützung und Bernie Sanders Präsidentschaftskampagne schickte 18 große Pizzen für die Blockierer. Auch eine Gruppe LKW-Fahrer – einer von ihnen mit Trump-T-Shirt - kamen vorbei, blockierten für 10 Minuten die Landstraße nahe des Protestcamps. Doch die Unterstützer mit der größten Ausdauer sind jedoch einige Anarchisten, viele von ihnen Transgender. Die Aktivisten sind erfahren in der Organisation von Klimacamps und halfen, den täglichen Betrieb im Schienencamp der Minenarbeiter zu organisieren.

Währenddessen läuft im Hintergrund ein juristisches Tauziehen um die 20.000 Tonnen Kohle ab. Blackjewel will per Gerichtsbeschluss die Freigabe der Ladung erreichen, um seine Gläubiger zu bezahlen, angeblich auch, um die ausstehenden Gehälter zu bezahlen. Mittlerweile hat sich ein Käufer für »einen Großteil« der Blackjewel-Minen gefunden: das Unternehmen Kopper Glo Mining. Es wolle zudem eine Million Dollar an die ehemaligen Minenarbeiter von Blackjewel zahlen, berichtete die Lokalzeitung Lexington Herald Leader. Es wäre weniger als die Hälfte der noch ausstehenden Gehälter. Doch angesichts der bisher nur geplanten Minenübernahme und des noch schwebenden Insolvenzverfahrens gegen Blackjewel ist bei den Minenarbeitern auf den Gleisen noch kein Geld angekommen. Deshalb blockieren sie weiter, zusammen mit ihren Familien.

Von Zeit zu Zeit kommt dort eine Band vorbei, singt Bergballaden und Arbeiterlieder – die Minenarbeiter erinnern sich dann an längst vergangene Zeiten und an ihre Väter, die von Dynamit und Pistolenschüssen erzählten. Denn in den 30er und 70er Jahren war der Landkreis eine Hochburg des Gewerkschaftsaktivsmus in den USA und Schauplatz militanter Auseinandersetzungen und Schießereien zwischen bewaffneten Minenarbeitern und privater Milizen um die gewerkschaftlicher Organisierung der Mine. Florence Reece komponierte hier 1931 die Gewerkschaftshymne »Which side are you on?« (Auf welcher Seite bist du?). Die Frau eines Aktivisten der United Mine Workers of America. In Harlan County gebe es keine Neutralität, man könne nur Mann und Gewerkschafter sein, oder Schläger und Abschaum für die Arbeitgeber, müsse sich entscheiden und »bis jede Schlacht gewonnen ist, für die Gewerkschaft eintreten«, heißt es in dem Lied. 1973 ging der dreizehnmonatige Streik der Arbeiter in der Brookside Mine in die Geschichtsbücher ein.

Doch es sind verblasste Erinnerungen. Seit 2015 gibt es in den Minen von Kentucky keine Gewerkschaftsminen mehr. In den 30er Jahren hatte die damals mächtige United Mine Workers of America-Gewerkschaft landesweit 500.000 Mitglieder, heute sind es noch 71.000. Die meisten von ihnen arbeiten in den neueren Tagebauminen, nur rund 20.000 unter Tag, überwiegend in Staaten wie West Viriginia und Kentucky. Doch über Arbeitsbedingungen mitverhandeln können die Gewerkschaften nach Jahrzehnten gewerkschaftsfeindlicher Gesetzgebung kaum noch, auch die Blackjewel-Mine war der der Pleite des Unternehmens gewerkschaftsfreie Zone. Heute spenden Prediger Trost, beten mit den Blockierern. Die Anarchisten haben sich Anfang der Woche aus dem Blockade-Camp zurückgezogen, weil die Minenarbeiter offenbar die Anwesenheit eines rassistischen Truckers und Nazi-Sympathisanten duldeten.

Zu Gewerkschaften hat der ehemalige Blackjewel-Mitarbeiter Holbrook kein Verhältnis »Wir sind keine Gewerkschafter, ich weiß nicht viel über das Thema«, erzählt er. Einige Minenarbeiter sind mittlerweile weitergezogen, zu Minenjobs in anderen Bundesstaaten. Dazu könnte auch Holbrook gezwungen sein:»Wir brauchen Jobs«, sagt er. »Am Ende des Tages geht es darum genug zu verdienen, um zu überleben, um Essen auf den Tisch zu bringen.« Die Minenarbeit sei gefährlich, er sei bereit, auch andere Arbeit zu machen, wenn der Kohlebergbau für den Klimaschutz aufgegeben werden müsse, erklärt Holbrook.

Von einem »gerechten Übergang« und einem Green New Deal hat Holbrook noch nichts gehört. Er wisse »fast nichts« über Klimaschutzaktivisten, so der Minenarbeiter, der selber sagt, er »liebe« die Umwelt. Doch Holbrook will Taten von Politikern sehen, die Ansiedlung neuer Jobs, »Bringt neue Jobs, ohne Kohle gibt es hier nichts«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!