Danach wird es erst recht spannend
Die nd-Korrespondenten in Sachsen und Brandenburg über ihren Arbeitsalltag vor der Wahl
Andreas Fritsche und Hendrik Lasch sind die Korrespondenten des »neuen deutschland« in Brandenburg und Sachsen sowie Sachsen-Anhalt. Beide stiegen in den 90er Jahren beim »nd« ein, sind also erfahrene Kollegen und seit vielen Jahren mit den Angelegenheiten »ihrer« Bundesländer vertraut. Hendrik Lasch lernte einst in Karl-Marx-Stadt Textilmaschinenbau und studierte dann Anglistik und Germanistik. Vor drei Jahren zog er von Dresden aufs Land, wo er sich in einem Dorf nahe der tschechischen Grenze an Garten und Tierhaltung von Wachtel bis Schaf versucht. Außerdem widmet der 53-Jährige sich in seiner Freizeit gern Malerei und Chorgesang.
Die Liebe zum Gärtnern teilt er mit Andreas Fritsche, der in seiner Berliner Kleingartenanlage als Ökolandwirt bekannt ist und den größten Teil seiner Ernte an Passanten verschenkt, »weil wir das als dreiköpfige Familie gar nicht alles verbrauchen können«. Am 1. September hat Andreas Fritsche auf jeden Fall etwas zu feiern, denn dann wird er 47 Jahre alt. Durch seine Arbeit fühlt er sich als Brandenburger und wundert sich »immer ein bisschen«, wenn er die Wahlbenachrichtigung zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses erhält. Mit den beiden Kollegen sprach Uwe Kalbe.
Ihr seid zwei alte Hasen und habt schon über viele Landtagswahlen berichtet. Sind die am 1. September etwas Besonderes für euch?
Lasch: Bisher war vor jeder Sachsen-Wahl klar, wie sie ausgehen würde. Um eine Fußballweisheit zu zitieren: 22 Parteien werben um Stimmen, und am Ende gewinnt die CDU. Diesmal ist das Ergebnis offen. Auf eine Regierung ohne CDU wird man aber wohl weiter warten müssen.
Fritsche: In Brandenburg regiert die SPD unangefochten seit 1990. Ab 1999 hatte sie immer die Wahl zwischen CDU und LINKE als Juniorpartner. Neu ist jetzt, dass inklusive AfD und Grünen fünf Parteien fast gleichauf liegen. Das eröffnet theoretisch eine ganze Reihe von Möglichkeiten für unterschiedlichste Koalitionen, von denen aber viele praktisch nicht vorstellbar sind.
Dein Tipp für die nächste Landesregierung, Andreas?
Fritsche: Rot-Rot-Grün, wenn es dafür reicht. Aber es könnte knapp werden.
Alle starren auf die AfD, besonders in Sachsen. Ist irgendein Kraut gegen ihren Vormarsch gewachsen?
Lasch: Die Partei wird auf absehbare Zeit nicht aus dem Landtag verschwinden. Ich hoffe, dass sie mit 25 Prozent den Zenit erreicht hat. Was wäre nötig? Mehr politische Bildung - dass Menschen so wenig darüber wissen, wie Demokratie, Politik und deren Institutionen funktionieren, macht es der AfD leicht, über die »Etablierten« zu ätzen.
Fritsche: In Brandenburg liegt die AfD bereits seit zweieinhalb Jahren auf dem jetzigen Niveau. Sie war schon mal bei 23 Prozent, zuletzt waren es nur noch um die 20. Eventuell ist der Vormarsch bereits gestoppt, aber für eine Entwarnung gibt es keinen Grund. Auf jeden Fall wird die AfD diesmal mehr bekommen als die 12,2 Prozent bei der Wahl 2014.
Ist der Osten tatsächlich anfälliger für Rechtsextremismus?
Lasch: Beim »Sachsen-Monitor« gaben 56 Prozent an, die Bundesrepublik sei »gefährlich überfremdet«. Erschreckend. Es gibt zudem bei vielen eine große Unzufriedenheit mit dem jetzigen politischen System und die Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Teilen der AfD-Wähler würde ich unterstellen, dass sie die Partei aus anderen Gründen wählen - aber sich an Äußerungen wie zur NS-Zeit als »Vogelschiss« eben auch nicht stoßen.
Da, wo die LINKE mitregiert, scheint sich das für sie am Wahltag nicht auszuzahlen. Muss die Brandenburger LINKE das wieder befürchten?
Andreas: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die LINKE abstürzt wie vor fünf Jahren: Da büßte sie 8,6 Prozent ein. Mit zwei bis drei Prozent Verlust muss sie aber rechnen. Es liegt nicht an den Spitzenkandidaten, die sehr engagiert sind und einen Plan haben. Es gibt auch andere gute Kandidaten auf der Liste. Trotzdem läuft der Wahlkampf nicht rund, und der Bundestrend macht es nicht leichter. Ich habe, wie schon vor der Wahl 2014, kein gutes Gefühl, was das Abschneiden der Linkspartei betrifft.
Dafür scheint es in Sachsen nur darum zu gehen, wie weit rechts der Freistaat mit der nächsten Regierung landet.
Lasch: Eine schwarz-blaue Koalition halte ich zumindest 2019 für unwahrscheinlich. Ob sich die CDU in eine Minderheitenregierung flüchtet - also Schwarz-Blau durch die Hintertür -, hängt davon ab, wer dort nach der Wahl noch das Sagen hat. Zunächst versucht man sicher, eine Regierung mit SPD, Grünen und gegebenenfalls der FDP zu bilden - wobei das die AfD in ihrer »Eine gegen alle«-Haltung bestärken würde.
Gibt es irgendeine Chance auf eine Mehrheit links der CDU?
Lasch: Sehe ich nicht. Zum einen sind LINKE, SPD und Grüne in Sachsen seit 1990 noch nie auf mehr als ein gutes Drittel der Stimmen gekommen. Zum anderen gab es keine langfristigen Bemühungen für ein gemeinsames linkes Projekt. Wenn demnächst sogar zwei mögliche Partner in eine Koalition eingebunden sind, macht das die Sache für 2024 auch nicht leichter.
Wie viele Kilometer legt ihr eigentlich in Wahlkampfzeiten zurück?
Lasch: Nicht so viel mehr als sonst auch. Aber weil ich im Wahlkampf immer mal Politiker begleite und dabei auch in deren Auto mitfahre, ist die Reise deutlich komfortabler als sonst.
Fritsche: Ich bin auch sonst viel unterwegs. Zu Jahresanfang war ich ständig an den Wochenenden auf Parteitagen, auf denen Kandidaten nominiert und Landtagswahlprogramme beschlossen wurden. Im Unterschied dazu bin ich jetzt mehr an der frischen Luft. Mit dem CDU-Spitzenkandidaten Ingo Senftleben bin ich schon Rad gefahren und mit der Grünen-Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher in einem Auto mit Verbrennungsmotor. Sie kam aber mit dem Zug zum Termin. Wir wurden am Bahnhof abgeholt.
Gibt es Orte, in die ihr zu Wahlkampfzeiten nicht so gern fahrt?
Lasch: In Lokale, in denen die AfD Wahlkampf macht.
Fritsche: Ich gehe überall hin. Mir ist schon vor 15 Jahren eingefallen, dass es angesichts der prinzipiellen Endlichkeit der menschlichen Existenz unangebracht ist, Angst zu haben. Ich fahre zu AfD-Parteitagen, war einmal bei einer AfD-Kundgebung in Cottbus und allein in der AfD-Landesgeschäftsstelle in Potsdam.
Glaubt ihr, dass eure Artikel Einfluss auf das Wahlverhalten der Leser haben? Wenn das so wäre, welchen Schluss würdet ihr für eure Arbeit ziehen?
Fritsche: Ich glaube, dass viele nd-Leser, genauso wie ich, hin und wieder mit der Linkspartei unzufrieden sind, aber keine andere Partei auf den Wahlzetteln finden, die besser zu ihren Überzeugungen passt. Nach einem Porträt über eine junge Kandidatin haben mir mehrere Leser gesagt, dass sei endlich mal wieder eine Linke, die man vorbehaltlos ankreuzen könne. Aber das lag an der Kandidatin, an ihrer Botschaft und an ihrem Charakter. Ich hatte es lediglich anschaulich aufgeschrieben. Das ist meine Aufgabe.
Lasch: Auch hinter diesem Blatt stecken kluge Köpfe, die sich ihr eigenes Urteil bilden. Ich denke, meine Aufgabe ist es eher, politische Konstellationen, Handelnde und Atmosphärisches zu beschreiben - auch für Leser außerhalb Sachsens.
Macht ihr nach den Wahlen Urlaub?
Fritsche: Vertragen könnte ich ihn, weil ich gerade gar keine Freizeit mehr habe und wenig schlafe. Aber nein, ich war dieses Jahr extra zu Beginn der sehr früh angesetzten Sommerferien im Urlaub - zelten in Norwegen, wo es geschneit hat.
Lasch: Nein, weil es dann ja erst richtig spannend wird: Wer kann mit wem? Bis zur Thüringen-Wahl im Oktober wird taktiert, dann geht es ans Eingemachte. Aber auch das kann dauern. Laut Verfassung muss der Ministerpräsident vier Monate nach Konstituierung des Landtags gewählt sein. Die Hängepartie kann also bis Ende Januar dauern.
Veranstaltungstipp: Gewählt – und jetzt? am 3. September
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