- Politik
- Nach der Wahl in Sachsen und Brandenburg
Die großen Zeiten der alten Volksparteien sind vorbei
Parteienforscher Falter: »AfD hat die LINKE als eigentliche Regionalpartei Ost abgelöst«
Berlin. Nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen steuern beide Länder jeweils auf ein Dreierbündnis zu. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) könnte mit knapper Stimmenmehrheit in einer rot-grün-roten Koalition weiterregieren. Nach dem vorläufigen Ergebnis wäre rechnerisch auch ein Bündnis der SPD mit CDU und Freien Wählern oder mit CDU und Grünen möglich. In Sachsen, wo bisher die CDU unter Ministerpräsident Michael Kretschmer mit der SPD regierte, ist das wahrscheinlichste Bündnis eine Kenia-Koalition
beider Parteien mit den Grünen.
Am Montag beraten die Gremien der im Bundestag vertretenen Parteien über den Wahlausgang in Berlin. Anschließend wollen jeweils Spitzenvertreter den Ausgang der Abstimmungen öffentlich bewerten. So will etwa CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gegen 13.30 Uhr vor die Presse treten, SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil um 14.00 Uhr.
In Brandenburg kamen die Sozialdemokraten auf 26,2 Prozent der Stimmen (2014: 31,9). Die AfD kam mit ihrem extrem radikalen Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz und 23,5 Prozent knapp dahinter auf Platz zwei (2014: 12,2). Die in Brandenburg traditionell schwache CDU fiel mit 15,6 Prozent (2014: 23,0) auf ihr schlechtestes Landesergebnis und rangiert nun - wie schon bei der Europawahl im Mai - hinter der AfD auf Platz drei.
Auch die bisher mitregierenden LINKEN brachen ein und kommen nur noch auf 10,7 Prozent (2014: 18,6). Die Grünen fahren mit 10,8 Prozent nicht nur ihr bestes Ergebnis in Brandenburg, sondern überhaupt in einem ostdeutschen Flächenland ein (2014: 6,2). Die FDP verpasst mit 4,1 Prozent (2014: 1,5) die Rückkehr ins Parlament. Die Freien Wähler
kommen auf 5 Prozent (2014: 2,7) und ziehen diesmal ohne Hilfe von Direktmandaten in den Landtag ein.
In Sachsen rutschte die seit 1990 regierende CDU auf einen neuen Tiefstand, laut vorläufigem amtlichen Endergebnis erreicht sie nur noch 32,1 Prozent (2014: 39,4). Die AfD kommt auf 27,5 Prozent (2014: 9,7). Das ist bundesweit ihr bestes Landtagswahlergebnis überhaupt. Zwar konnte sie die CDU - anders als zuletzt bei der Europawahl - nicht überholen. Sie löst aber die LINKE klar als zweitstärkste Kraft ab.
Die SPD von Spitzenkandidat Martin Dulig fiel auf 7,7 Prozent (2014: 12,4) und fuhr damit das bundesweit schlechteste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte ein. Die Grünen steigerten sich im Freistaat auf 8,6 Prozent (2014: 5,7 Prozent), die LINKE fuhr mit 10,4 Prozent das schlechteste Ergebnis seit der Einheit 1990 ein (2014: 18,9). Die FDP verpasste mit 4,5 Prozent (2014: 3,8) erneut den Sprung in den Landtag.
Damit bekommt die Union im neuen Landtag 45 Mandate, die AfD 38, die LINKEN holen 14 Sitze, die Grünen 12 und die SPD kommt auf 10 Sitze. Insgesamt besteht der Landtag voraussichtlich aus 119 Abgeordneten.
»Zu wenig Vertrauen in das politische System«
Die massiven Stimmengewinne für die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sind nach Einschätzung der Amadeu-Antonio-Stiftung ein Alarmsignal. »Ein erheblicher Teil der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern hat zu wenig Vertrauen in das politische System«, erklärte Geschäftsführer Timo Reinfrank. »Das Demokratiemisstrauen vieler Menschen hat in der AfD eine parteipolitische Heimat gefunden. Die Rechtsradikalen werden nicht trotz, sondern wegen ihrer demokratiefeindlichen Positionen gewählt.« Die 1998 gegründete Stiftung engagiert sich für eine Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft und gegen Rechtsextremismus,
Rassismus und Antisemitismus.
Die AfD ist nach Ansicht des Parteienforschers Jürgen W. Falter nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen die neue Regionalpartei Ost. »Die AfD hat die LINKE als eigentliche Regionalpartei Ost abgelöst«, sagte der Wissenschaftler von der Universität Mainz der »Passauer Neuen Presse«.
Heimlicher Sieger der beiden Wahlen sind Falter zufolge die Grünen. »Die Grünen scheinen die eigentlichen Wahlgewinner zu sein, auch wenn sie nicht mehr deutlich zulegen konnten. Ohne die Grünen wird in beiden Ländern kaum regiert werden können. Sie werden wohl in zwei weiteren Landesregierungen sein.« Damit spiele die Partei im Bundesrat eine noch wichtigere Rolle. »Sie regieren auf diesem Weg im Bund noch stärker mit als bisher.«
Einen Grund für die Stimmenverluste von CDU und SPD sieht Falter in der Berliner Politik. »Das Ergebnis hat auch mit dem Abstieg der beiden einst großen Volksparteien auf Bundesebene zu tun.« Alles spreche dafür, dass die großen Zeiten der alten Volksparteien vorbei seien. »Die Wählerinnen und Wähler wechseln sehr viel stärker als das früher der Fall war. Sie neigen auch schneller zu Protest und Bestrafung.« Agenturen/nd
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