- Politik
- LINKE in Sachsen
Ein Beben mit Nachbeben
In Sachsens LINKE gibt es offenen Streit über personelle Konsequenzen aus der Wahlpleite
Zwei Tage nach der Landtagswahl in Sachsen traf sich am Dienstag erstmals die neue Fraktion der LINKEN. Es war ein Treffen in kleiner Runde. 14 Abgeordnete wird die Partei stellen, 13 weniger als bisher. Expertise in Bereichen wie Finanzen, Recht, Bildung, Inneres ging verloren; es gibt weniger Geld und Mitarbeiter. Nicht nur für die Landtagsarbeit, sondern auch für die Partei ist das ein Problem. Bei einer Klausur nächste Woche, sagt der bisherige Fraktionschef Rico Gebhardt, wolle man bereden, wie man »trotz geringerer Zahl von Abgeordneten die Strukturen vor Ort aufrechterhalten« könne.
Es dürfte freilich auch über Personalien geredet werden. Am 17. September will die Fraktion ihren neuen Vorstand wählen, und dass Gebhardt wieder Chef wird, ist nicht sicher. Der 56-Jährige, der die Fraktion seit 2012 führte, war Spitzenkandidat bei der Wahl, bei der die Partei von 18,9 auf 10,4 Prozent abstürzte. Er sprach danach von einer »Katastrophe«. Manche meinen nun, in der Fraktion sei ein Neuanfang sei nötig. Nach nd-Informationen gibt es zwei weitere Interessentinnen für den Vorsitz.
Und auch im Landesverband zieht das Beben des Wahlabends ein Nachbeben nach sich. Den Anstoß gab ein Papier mehrerer Zusammenschlüsse der Parteilinken. Darin wird nicht nur festgestellt, die Partei habe Themen sozialer Gerechtigkeit zugunsten von »postmateriellen Zielen bestimmter großstädtischer Klientels« vernachlässigt und sich von abhängig Beschäftigten »kulturell entfremdet«; es wird auch Kritik an Wahltaktik, Kampagne und Reaktionen auf das Wahlergebnis in Sachsen geübt. Verlangt wird daher eine »inhaltliche, strategische und personelle Neuausrichtung«. Ein Bericht der »Leipziger Volkszeitung« über das Papier zitiert Sören Pellmann, Leipziger Abgeordneter im Bundestag: Es müsse »alles ohne Tabus auf den Prüfstand«. Nötig sei ein Neuanfang; dazu gehöre auch eine »neue Landesführung«.
Die jetzige Führung sieht dazu zunächst keinen Anlass. »Verantwortung bedeutet, nicht davonzulaufen«, heißt es in einer Erklärung des Vorstands, die Landeschefin Antje Feiks und Landesgeschäftsführer Thomas Dudzak zeichneten. Angesichts der existenziellen Probleme gehe es »nicht mehr um Personen und Befindlichkeiten, es geht um unsere Partei«. Über Auswege aus der Krise solle auf einem kleinen Parteitag Ende September, auf Regionalkonferenzen im Oktober sowie einem Parteitag Mitte November beraten werden, der um einen Tag verlängert werden soll. Dort steht regulär die Neuwahl des Vorstands an.
Im Landesverband stoßen die Forderungen insbesondere nach personellen Konsequenzen auf gegensätzliche und teils harsche Reaktionen. Die in Leipzig direkt gewählte Abgeordnete Jule Nagel nannte die Rücktrittsforderungen »wirklich unerträglich«. Nachdem der LVZ-Artikel mit »Leipziger Linke fordern Rücktritt der Landesspitze« überschrieben wurde, meldete sie gemeinsam mit den ebenfalls wieder in den Landtag gewählten Abgeordneten Marco Böhme und Franz Sodann Widerspruch an: »Auch wir sind Leipziger Linke, aber wir wollen eine andere Debatte«. Auf Twitter schrieb sie: »Spaltung, statt gemeinsam zu stehen, zu analysieren und Konsequenzen zu ziehen - das machen die, die keine Lust auf ein kollektives Projekt haben«. Ein solches, entgegnet Landesvize Silvio Lang, sehe er indes »leider schon länger nicht mehr«. Einen »echten Neuanfang in jeglicher Hinsicht zu ermöglichen«, fügte er hinzu, könne jedoch »wieder eines schaffen«.
Auf Widerspruch stößt die Personaldebatte nicht zuletzt wegen des Wahlkampfes in Thüringen, wo die LINKE stärkste Partei werden will. Leipzigs Stadtchef Adam Bednarsky hofft sehr auf einen Erfolg im Nachbarland, sagt aber auch, dass der Zeitpunkt für kritische Debatten »immer schlecht« sei. In Sachsen sei sie rechtzeitig vor dem Parteitag im November aber unumgänglich. Er hält es für notwendig, die LINKE in urbanen wie in traditionellen Milieus zu stärken, und regt an, den Anspruch in einer künftigen Führungsstruktur abzubilden: mit einer Doppelspitze aus einem »Kümmerer für den Plattenbau« und einem Vertreter der »hippen Großstadtlinken«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.