Das Image gilt als Wirklichkeit

Wie sich der Erfolg der AfD erklärt und warum die Linkspartei ihre Funktion als Protestpartei verliert

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie untersuchen seit Jahren, aus welchen Gruppen die AfD ihren Zuwachs bezieht. Finden Sie die Trends Ihrer Untersuchungen in den Landtagswahlen am Wochenende in Brandenburg und Sachsen bestätigt?

Die AfD ist eine Partei der Metamorphosen. Sie startete als euroskeptische Partei, holte ihre Stimmen zunächst vor allem aus der Anhängerschaft der etablierten Parteien - der CDU, der FDP und auch der SPD im Westen und der LINKEN im Osten. Inzwischen hat sich das verändert. Die AfD rekrutiert ihre Wähler insgesamt stärker aus dem Nichtwählerlager und dort aus den unzufriedenen arbeiterlichen Schichten, aber auch aus dem Bereich der Selbstständigen, vor allem der Handwerker. Damit ist das AfD-Elektorat im Osten und im Westen unterschiedlich. Im Osten stärker im ländlichen Bereich und breiter aufgestellt; im Westen eher im abgehängten Bereich urbaner Zentren.

Wolfgang Schroeder

Wolfgang Schroeder ist Professor an der Universität Kassel und leitet dort das Fachgebiet »Politisches System der BRD-Staatlichkeit im Wandel«. Seit 2016 forscht er am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Von 2009 bis 2014 war Schroeder Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg. In diesem Monat erscheint ein unter seiner Mitwirkung entstandenes Buch über das »Rätsel AfD«. Mit Wolfgang Schroeder sprach Uwe Kalbe.

Foto: WZB/David Außerhofer

Wenn man die Nichtwähler außer Acht lässt, hat die CDU am letzten Wochenende in Brandenburg und Sachsen von allen Parteien die meisten Wähler an die AfD verloren. Doch Ihre Studien ergeben, dass die Linkspartei seit Jahren überdurchschnittlich an die AfD verliert. Wie erklärt sich das?

Im Verhältnis zu ihrer Wählerbasis verliert die LINKE seit Jahren am stärksten. Auffallend ist, dass die AfD jetzt die Rolle der Linkspartei als Protestpartei des unzufriedenen Teils im Osten übernommen hat. Unter allen Wählern sind die der AfD nicht nur mit der Politik der Landesregierungen in Brandenburg und Sachsen am unzufriedensten, sondern auch mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage. Kern sind die männlichen Facharbeiter mit mittlerem Bildungsabschluss zwischen 24 und 60 Jahren.

Und wo steht hier die Linkspartei?

Die LINKE hat mit ihrer inzwischen erfolgten Ausrichtung an den städtischen Milieus mit ihren ökologischen und Lebensqualitätsfragen zuweilen das Angesicht einer Grüne-light-Partei. Damit hat sie nicht nur ihre Funktion als Stimme des unzufriedenen Ostens preisgegeben. Sie hat einen doppelten Funktionsverzicht vollzogen. Einerseits ist sie nicht mehr die laute Stimme aus dem Osten und andererseits wird sie auch nicht mehr in den abgehängten Schichten und Regionen als das wichtigste Sprachrohr gesehen. Das stellt unausweichlich und hart die Frage nach der Bedeutung der Linkspartei, nach ihrer Aufgabe und ihrem Profil im Parteienwettbewerb und in den zivilgesellschaftlichen Strukturen. Die Frage: Ist sie dort noch die wahrnehmbare Kümmererpartei?

Aber 2013, als die LINKE in Brandenburg erstmals überdurchschnittlich Wähler an die AfD verlor, war die Orientierung auf die städtische Bevölkerung noch gar nicht so deutlich. Kann das dann die Erklärung sein?

Die AfD war auch in ihrer euroskeptischen Phase bereits attraktiv in den abgehängten Zonen, die sich in einer systemkritischen Haltung befanden. Oder anders ausgedrückt: Schon in der eurokritischen Zeit war alles an Bord, was auch heute das Bild prägt, wenn auch noch nicht in jetziger Ausformung. Im Zeitverlauf ist der Anteil des bürgerlichen Protests geschrumpft, der des proletarisch-prekären Protests angewachsen.

Die LINKE erklärt einen Teil ihrer Verluste mit den taktischen Wählern, die in Brandenburg die SPD und in Sachsen die CDU wählten, um zu verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird. Ist diese Wahl von der LINKEN taktisch verloren worden?

Nein. Das taktische Wählen, das diesmal tatsächlich stark ausgeprägt war - zugunsten der SPD in Brandenburg und der CDU in Sachsen - kann nur einen kleineren Teil der Verluste erklären. In Brandenburg etwa zwei Prozentpunkte. Damit lässt sich die knappe Halbierung der Stimmen für die Linkspartei allerdings nicht in Gänze erklären. Während die Dimension des taktisch aufgeklärten Linkswählers überbetont wird, ist der seit Längerem zu beobachtende Abstieg der Linkspartei, der von einer Funktionsentmächtigung begleitet wird, unterbelichtet. Der größere Anteil der Verluste ist aber primär mit dieser funktionalen Fehlorientierung im Parteienwettbewerb zu erklären.

Die LINKE hat ein Problem mit ihrem eigenen Rollenverständnis?

So könnte man sagen.

Wie erklärt sich die Wanderung von Wählern der LINKEN zur AfD, bei all den grundsätzlichen Unterschieden zwischen beiden Parteien?

Es gibt eine grundlegende Gemeinsamkeit. Auch die Ursprungsmotivation der Linkswähler war: Wir sind Ostdeutsche, wir sind in dieser gesamtdeutschen Republik kulturell nicht anerkannt, und noch weniger materiell. Deshalb muss man zwar auch über Rechtsextremismus reden in Ostdeutschland, wenn man über die AfD spricht. Aber viel mehr noch muss man über die materiellen Bedingungen und die sozialen Unzufriedenheiten in Ostdeutschland reden, ohne zu vergessen, Antworten auf die Fragen von Zuwanderung und Sicherheit zu geben.

Die nationalistische Gefahr der AfD ist von untergeordneter Bedeutung?

Sie ist natürlich ein riesiges Problem. Sogar zunehmend. Sie ist eine Aufgabe der wehrhaften Demokratie; konkret der Schulen, der Polizei und der Verfassungsschutzämter, die besser ausgestattet und teilweise auch inhaltlich neu ausgerichtet werden müssen.

Eine Untersuchung zeigt, dass der Linkspartei im Osten unverändert die höchste Kompetenz zugebilligt wird für die hiesigen Probleme. Woher rührt dann der Erfolg der AfD gerade im Osten?

Von der AfD wird nicht erwartet, dass sie im Sinne der Problemlösung wirkt, sondern im Sinne der Problemartikulation. Und diese Problemartikulation im Sinne der Unzufriedenen wirkt. Sie wirkt über das Anti-Establishment-Moment, dass die Linkspartei längst aufgegeben hat. Ein großer Teil der öffentlichen Kommunikation bezieht sich auf die AfD. Fast volksfrontähnliche Bündnisse formieren sich gegen die AfD. Auch das geht ganz stark zulasten der Linkspartei, die darin untergeht und sich nicht mehr als eigene Kraft profilieren kann. Da ist weniger entscheidend, ob die LINKE Kompetenzvorteile hat. Entscheidend ist, dass die bei der Wahl abgegebene Stimme für die Linkspartei nicht mehr dieselbe Durchschlagskraft hat. Für den Wähler gibt es nicht die Unterscheidung zwischen Realität und Image, sondern das Image ist die Realität.

Der Schein entscheidet über das Sein?

Wenn man das Image hat, dass man für die ostdeutsche Bevölkerung spricht und die Akteure des politischen Systems und der Öffentlichkeit darauf hören, dann hat man den Realitätstest gewissermaßen schon bestanden. Parteien feilen an ihrem Image als einer Kraft, die Probleme anpackt, die das Gefühl, bzw. im Falle der AfD-Wähler die Bedrohungsgefühle der Bevölkerung verinnerlicht und die auf die Anliegen der Bevölkerung sensibel reagieren kann.

Ist das Image für Wähler entscheidender als die reale Kompetenz der Parteien?

In der Kommunikation schon.

Nach der Wahl war die Idee zu hören, LINKE und SPD zu fusionieren. Führte das zu einer Verdoppelung der Wählerzahlen?

Nein, auf keinen Fall. Zwei Kranke zusammenzulegen, gibt keinen Gesunden. Aber nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dass Parteien, die sich bei der Bewertung und Reaktion auf die bestehenden Verhältnisse in wichtigen Bereichen ähneln, es schwerer haben, sich jeweils Gehör zu verschaffen.

Sie stehlen einander die Profilierung.

Andererseits wissen wir aus der Organisationswissenschaft, dass Organisationen gerade in der Not das zentrale Anliegen haben, sich selbst zu behaupten und zu erhalten. Das kommt noch vor dem Interesse der Lösung von gesellschaftlichen Problemen. Insofern spricht wenig dafür, dass es kurz- oder auch mittelfristig die Perspektive einer Fusion von SPD und Linkspartei gibt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -