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«Integrationsfeindlicher Unsinn»
Nach Entscheidung des BAMF dürfen nur noch Asylbewerber aus zwei Staaten Deutsch lernen
Bei der Integration von Asylbewerbern geht die Bundesregierung einen weiteren Schritt rückwärts. Nur noch Menschen aus Syrien und Eritrea haben neuerdings kurzfristigen Anspruch auf einen Deutschkurs. Alle anderen müssen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - bis zum Ende ihres Asylverfahrens warten, bis sie anfangen dürfen, Deutsch zu lernen und berufliche Qualifikationen zu erwerben. Bis dahin können oft Jahre vergehen, während derer sie zum Nichtstun verdammt sind.
Diese seit August bestehende Neureglung erinnert an die Situation vor 2015. Bis dahin waren Menschen generell von vom Bund finanzierten Deutschkursen ausgeschlossen, solange ihr Asylverfahren andauerte. Aus diesem Grund sprechen auch ehemalige Asylsuchende, die schon länger in Deutschland leben, teilweise bis heute kaum Deutsch. Bekamen sie dann nach Jahren Bleiberecht, ohne dass ihr Asylantrag akzeptiert wurde - etwa über eine Altfallregelung -, dann mussten sie so schnell wie möglich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Das Ergebnis waren oft prekäre Selbstständige in Handel oder Gastronomie, die neben Arbeit und Familie keine Zeit mehr hatten zum Deutschlernen.
Ab 2015 ermöglichte der Bund Asylsuchenden aus Staaten mit einer sogenannten guten Bleibeperspektive Deutschkurse bereits während des Asylverfahrens. Zu diesen Staaten zählten damals neben Syrien und Eritrea auch Iran, Irak, Somalia und vorübergehend auch Afghanistan. Viele Neuankömmlinge aus diesen Herkunftsländern sprechen heute besser Deutsch als beispielsweise ehemalige Asylbewerber aus Vietnam, der Türkei oder Tschetschenien, die seit 20 Jahren in Deutschland leben.
Diesen August stutzte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dann plötzlich die Liste der Herkunftsländer, denen es eine «gute Bleibeperspektive» attestiert, auf zwei Staaten zusammen: Syrien und Eritrea. Nur noch Asylbewerber aus diesen Ländern dürfen sofort nach der Ankunft in Deutschland Sprachkurse besuchen. BAMF-Sprecher Stefan von Borstel begründet das auf nd-Nachfrage so: Die Schutzquote der Asylsuchenden aus anderen Staaten liege unter 50 Prozent. Mit dieser Bleibeperspektive hätten sie keinen Anspruch auf einen Deutschkurs.
Flüchtlingsorganisationen kommen zu anderen Ergebnissen. Um zu berechnen, wie viel Prozent der Antragsteller Schutz erhalten, berücksichtigen sie nur Asylverfahren, die nicht vorzeitig abgebrochen werden. Ziehen Menschen ihren Antrag zurück, etwa weil sie in Deutschland heiraten, gehören sie nicht mehr in die statistische Gruppe der Asylsuchenden. Rechnet man sie heraus und legt die niedrigere Gesamtzahl zugrunde, ergibt sich für Somalia eine deutlich höhere Schutzquote von 67 Prozent, für Afghanistan von 63 Prozent, für Irak von 53 Prozent und für die Türkei von 51 Prozent. Auch für viele abgelehnte Asylbewerber aus Iran - christliche Konvertiten, deren Zahl allein in Berlin und Brandenburg eine vierstellige ist - zeichnet sich derzeit eine Bleiberechtsregelung ab. Dafür macht sich sogar der langjährige Fraktionschef der Union im Bundestag, Volker Kauder, stark.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, kritisierte die Kürzung der anspruchsberechtigten Länder für Deutschkurse als «integrationsfeindlichen Unsinn». Die Berechnung des BAMF sei zudem unseriös, da sie Korrekturen ablehnender Bescheide durch Gerichte außer Acht lasse. «Faktisch bleiben viel mehr Menschen dauerhaft in Deutschland als jene, denen das Bundesamt eine gute Bleibeperspektive zuschreibt», so Jelpke. Sie sollten von Anfang an Zugang zu Integrationsmaßnahmen haben.
Auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bemängelt in einer Mitteilung: «Wertvolle Zeit zur Integration geht verloren.» Verwehre man Asylbewerbern den Zugang zu Sprachförderung und anderen Qualifikationsmaßnahmen, ersticke das «jede Eigeninitiative und Selbsthilfe» im Keim und verfestige damit die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung. Zahlreiche Menschen, die nicht in die Kategorie «gute Bleibeperspektive» sortiert werden, so Pro Asyl, «erhalten später eben doch einen Schutzstatus oder bleiben aus vielerlei Gründen zumindest für eine längere Zeit in Deutschland.»
Kritik kommt ebenso aus den Bundesländern. «Wir werden den Bund zu einer Öffnung seines Angebots drängen», sagte Berlins Integrationsbeauftragte Elke Breitenbach (LINKE) dem «nd». Auf der Integrationsministerkonferenz im April habe man sich dazu verständigt. Einige Bundesländer wie Berlin haben eigene Sprachkurse und Integrationsangebote für diejenigen Asylbewerber, die von den Kursen des Bundes ausgeschlossen sind«, erklärte Breitenbach. Dies solle »den dringend notwendigen Spracherwerb sofort nach der Einreise ermöglichen«.
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