Klima des absoluten Misstrauens

Algeriens Volk demonstriert wieder / Armeechef Gaid Salah fordert Wahlen noch vor Ende des Jahres

  • Claudia Altmann, Algier
  • Lesedauer: 3 Min.

Die lange Sommerpause hat der Entschlossenheit der Protestierenden keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Nach wie vor gehen jeden Freitag unzählige Menschen in allen Landesteilen auf die Straße. Sie geben sich nicht mit dem Abtritt des alten Staatschefs Bouteflika zufrieden, sondern fordern das Ende des gesamten bisher herrschenden Systems.

Stattdessen sehen die vor allem jungen Demonstrierenden die Zukunft ihres Landes in einer wahrhaften Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die friedlichen Kundgebungen sind stets von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Gleiches gilt für die wöchentlichen Dienstagsdemonstrationen der Studierenden. Ihre Proteste richten sich vor allem gegen die gegenwärtige Regierung, deren Kabinettschef Noureddine Bedoui als Innenminister unter Bouteflika für Wahlbetrug und die Restriktionen gegen Oppositionelle verantwortlich gemacht wird, gegen die Inhaftierung dutzender friedlicher Demonstrierender sowie die Einmischung der Militärs in die politischen Geschicke des Landes.

Letztere stehen in Sachen Hartnäckigkeit der Volksbewegung in nichts nach. Deren Oberbefehlshaber Ahmed Gaid Salah beharrt auf seinem Vorhaben, so schnell wie möglich Präsidentenwahlen abzuhalten und hat jetzt einen Gang hochgeschaltet. Nach seinen Wünschen soll an diesem Wochenende der offizielle Startschuss zum Wahlprozess gegeben werden. Damit würde der Urnengang noch vor Ende dieses Jahres stattfinden. Im Vorfeld war eine Kommission für Dialog und Vermittlung einberufen und mit Konsultationen mit der Zivilgesellschaft, politischen Parteien und Persönlichkeiten beauftragt worden.

Unter den Demonstrierenden war diese Instanz höchst umstritten, nicht zuletzt, weil deren Vorsitzender selbst unter Bouteflikas Amtszeit jahrelang Parlamentspräsident war. In ihrem Anfang dieser Woche vorgelegten Abschlussbericht stellt die Kommission immerhin Vorbedingungen für die Abhaltung von Wahlen als Zeichen des guten Willens. Dazu gehören die Entlassung der jetzigen Regierung, die Freilassung der Inhaftierten, ein Ende der Restriktionen gegen politische Parteien, Vereinigungen und unliebsame Medien sowie die Öffnung sämtlicher staatlichen Medien für alle politischen Akteure. Obwohl sich der Armeechef äußerst zufrieden mit der Arbeit der Kommission zeigte, lässt die Erfüllung der von ihr gestellten Forderungen auf sich warten.

Zwar wurden in den vergangenen Tagen zwei Gefangene von Richtern im Westen des Landes auf freien Fuß gesetzt. Dem stehen aber die Verhaftungen mehrerer anderer Oppositioneller gegenüber. Für einen regelrechten Aufschrei sorgte vorgestern jene des landesweit bekannten Regimekritikers Karim Tabou von der Sozialdemokratischen Union (UDS). Er gilt in der Protestbewegung als einer der Aktivisten der ersten Stunde und war bereits unter Bouteflika ein unliebsamer Gegner der Machthaber. Nach Angaben seiner Familie und seiner Anwälte war der 46-Jährige am Mittwoch von zwei Männern in Zivil vor seinem Wohnhaus verhaftet worden. Seine Partei gehört zu den »Kräften der demokratischen Alternative«, einem Zusammenschluss mehrerer demokratischer Parteien, Vereinigungen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen. Diese hatten bei einem Treffen in dieser Woche Präsidentenwahlen als »Versuch des derzeitigen Systems, an der Macht zu bleiben«, erneut abgelehnt. »Die Errichtung eines auf demokratischer Legitimität fundierten Rechtsstaates verlangt nach einem neuen politischen Klima und einer Übergangsphase und einem souverän gestalteten verfassungsgebenden Prozess«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Nur so könnten die sozialen und demokratischen Erwartungen der algerischen Bevölkerung erfüllt werden.

Auch die geplante Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Organisation und Kontrolle der anstehenden Abstimmung wird lediglich als Manöver gesehen. Die Armeeführung ließ in der jüngsten Ausgabe ihrer Monatszeitschrift »El Dscheisch« wissen, dass »die Zeiten des Diktats und Präsidentenmachens endgültig vorbei sind«. Ob ihnen die Bevölkerung dies glaubt, werden die für heute erwarteten erneuten Massendemonstrationen zeigen.

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