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Autoindustrie tunt sich

Konzerne setzen auf Elektroantrieb, Digitalisierung und den Staat.

»Konversion der Autoindustrie« - so lautete ein Konzept aus Kreisen linker Gewerkschafter und Kapitalismuskritiker, das im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 2008 in Deutschland auf Resonanz stieß. General Motors war gerade in die Insolvenz gegangen, und manche sahen dadurch die deutsche Tochter Opel in Gefahr. Auch die damals modische Peak-Oil-These, laut der die Ölförderung bald zu Ende gehen werde, spielte den Kritikern des kapitalistischen Automobilismus in die Hände. Es müsse nach Alternativen gesucht werden für diese Autos, die, wie es der linke Daimler-Betriebsrat Tom Adler 2010 formulierte, »die Welt ohnehin nicht braucht«. Laut den Konversionsbefürwortern müssten in den Fabriken künftig etwa Straßenbahnen oder Windräder - möglichst unter öffentlicher Regie - hergestellt werden; den trotzdem absehbaren Stellenabbau müsste drastische Arbeitsverkürzung bei vollem Lohnausgleich auffangen.

Die Debatte etwa in der IG Metall schlief wieder ein - die konstatierte Überproduktionskrise entpuppte sich als Absatzdelle, General Motors wurde saniert, und US-Schieferöl überschwemmte später den Weltmarkt. Eine Umwandlung (lat. conversio) der Autoindustrie findet mittlerweile trotzdem statt - wenngleich unter Vorgaben der Konzernvorstände und obwohl auf der gerade laufenden Automesse IAA in Frankfurt am Main vieles wie immer ist.

Die Führungsetagen in Wolfsburg, Stuttgart und München werden von zwei Entwicklungen angetrieben. Die eine ist die wachsende Konkurrenz neuer Anbieter und die lahmende Autonachfrage. Die andere sind schärfere Umwelt- und Klimaschutzvorgaben. Bisherige Ziele wollten Volkswagen, Daimler und BMW mit höherem Verkauf von Dieseln, die etwas geringere CO2-Emissionen haben, erreichen sowie durch immer ausgefuchstere Manipulationen bei den Prüfstandtests. Der Dieselskandal hebelte diese Strategie aus. Die bis 2030 verlangte weitere Reduktion des durchschnittlichen CO2-Ausstoßes von Neuwagen um 37,5 Prozent ist nicht mehr zu schaffen. Das Schicksal des Verbrennungsmotors scheint auch in Deutschland besiegelt.

Daher treiben die Hersteller die Entwicklung und Produktion von Elektro- und Hybridautos mit Milliardeninvestitionen voran. Was sich für Laien wie ein banaler Wechsel der Antriebstechnik anhört, ist ein Umbruch, der die weltumspannende Lieferkette betrifft und bisherige Renditeziele infrage stellt. Motorenwerke werden nach und nach überflüssig - und damit Zehntausende Facharbeiterstellen. Batterieantriebe sind anders als Verbrennungsmotoren technologisch anspruchslos. Wertschöpfung geschieht vor allem in der Batteriezellfertigung, die in Deutschland seit Jahren nicht mehr stattfindet. Der technologische Rückstand ist groß, mit Anbietern aus Ostasien wird man auch preislich kaum konkurrieren können. Trotz der Aussicht auf staatliche EU-Förderung sind die Autokonzerne bisher zögerlich.

Bei der Umstellung der Produktion auf E-Autos setzt man technologisch auf ein anderes Pferd: das Auto als vernetzten Großcomputer. Bei den laufenden Fabrikumbauten und Schulungen der Mitarbeiter wird die Elektrifizierung des Antriebs mit der Digitalisierung der Autos verbunden. Sichtbarstes Zeichen sind die immer größeren Displays und medialen Möglichkeiten, doch es geht vor allem um den Fahrbetrieb. Teilautonomes Rückwärtseinparken oder Fahrassistenzsysteme gibt es bereits, doch die Technik wird immer ausgeklügelter. Es braucht leistungsfähige Kameras, Radar, präzise GPS-Karten sowie die intelligente Verknüpfung aller Daten mittels Algorithmik. Und so kooperieren VW, Daimler und BMW etwa mit dem Softwareriesen Microsoft; man will nicht zum Anhängsel des Goo-gle-Konzerns werden, der die Autohersteller zum Zulieferer degradieren möchte.

Durch die Digitalisierung eröffnen sich ganz neue Geschäftsfelder, und Autokonzerne mutieren zu Mobilitätsdienstleistern. Das fängt beim Carsharing an, geht weiter über Sammeltaxiangebote und reicht bis hin zur app-geleiteten Suche nach dem nächstgelegenen freien Parkplatz oder der Batterieladestation, die die Autokonzerne selbst in großer Stückzahl haben. Doch große Gewinne versprechen die Dienste nicht, zumal es Konkurrenz von Internetfirmen wie Uber oder Nahverkehrsanbietern wie der Deutschen Bahn gibt. BMW und Daimler kooperieren daher, um sich die hohen Kosten zu teilen. Letztlich sollen die neuen Dienste den Autokonzernen vor allem eines eröffnen: neue Vertriebskanäle für ihre E-Auto-Modelle, die bisher ja Ladenhüter sind. Sie dienen auch dem »Anfixen« jüngerer Leute, bei denen das Auto zunehmend die Rolle als Statussymbol verliert. Bei VW setzt man zudem auf neue Produkte - einen E-Kleinbus als günstige Sammeltaxialternative. Unter der Marke der VW-Tochter »MOIA« kurvt er seit einigen Monaten in Hamburg herum. Solche vernetzten Angebote könnten dazu beitragen, abgehängte ländliche Regionen wieder in den öffentlichen Nahverkehr zu integrieren. Ein Riesenpotenzial - wenn der Staat denn die Voraussetzungen schafft.

Letztlich kann dies alles nur dann richtig profitabel werden, wenn das autonome Fahren Einzug hält und sich dadurch der große Kostenanteil der Fahrer einsparen lässt. Allerdings ist der Rummel um das Roboterauto längst wieder eingeschlafen. Prognosen zufolge werden selbstfahrende Pkw frühestens 2040 nennenswerte Verkehrsteile besetzen. Die Frage von Haftung und Sicherheit ist völlig ungeklärt. Wenn Fahrzeuge mit Künstlicher Intelligenz und solche mit dem Choleriker am Steuer aufeinandertreffen, könnte es womöglich noch mehr krachen. Dass vollautonome Fahrzeuge wohl nie kommen werden, glaubt daher der Mobilitätsexperte Don Dahlmann, denn: »Man kann nicht auf einen Schlag alle Fahrzeuge auswechseln.«

So werden letztlich politische Entscheidungen die Weichen in die Verkehrszukunft stellen. Das gilt auch für die Frage des Antriebs. Der Staat soll den Kauf von E-Autos und den flächendeckenden Ausbau von Ladestationen deutlich stärker fördern, so wollen es die Konzernlobbyisten. Doch soll wirklich alles auf die E-Karte gesetzt werden? Daimler-Betriebsrat Michael Häberle findet das gefährlich: »Ich weiß nicht, ob wir es uns leisten können, uns unter Umständen in der Frage Wasserstoff abhängen lassen«, warnt er. Hier entstehen derzeit vielerorts Forschungsprojekte, auch dank staatlicher Förderung. Doch die Konzernvorstände interessieren sich nur für eine marktreife Technologie, denn sie brauchen jetzt eine Alternative zu Benzinern und Dieseln.

Doch auch das kann Makulatur werden, wenn über den Verkehr der Zukunft nicht mehr in den Vorstandsetagen entschieden wird, sondern in Politik und Stadtplanung. Anders als den Konzernen sollte ihnen nicht egal sein, ob E-Autos Öko- oder Kohlestrom tanken, Carsharing die Autoflotte ausdünnt oder dem öffentlichen Nahverkehr schadet, ob autonomes Fahren zu mehr oder weniger Sicherheit führt. Wenn der Individualverkehr mit dem Auto an den Rand gedrängt wird, wird es ernst - dann kommen vielleicht neue Konversionsideen auf dem Tisch.

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