Die schleichende Roboterrevolution

Für die Umwälzung der Industrie ist die Profitaussicht wichtiger als die Fähigkeit zur Innovation

  • Kim Moody
  • Lesedauer: 8 Min.

Von den selbstbewussten Technikoptimisten hören wir, dass sich der Einsatz von Robotern in einer noch nie gesehenen Weise beschleunigen wird. Schau dir doch nur die Erfolge im Bereich der Künstlichen Intelligenz an! Und was ist mit dem Moore’schen Gesetz, demzufolge die Rechenkapazität exponentiell anwächst, weil sich die Zahl der Transistoren auf einem Chip alle zwei Jahre verdoppelt?

Die meisten Industrieroboter benötigen aber gar nicht die fortschrittlichsten Versionen der Künstlichen Intelligenz (KI) oder eine extrem hohe Rechenkapazität. Sie sind, wie der US-Autor Martin Ford es ausdrückt, »blinde Akteure in einer streng durchchoreografierten Aufführung«, die von einem Programm oder Algorithmus vorgegeben wird.

Der Autor

Kim Moody, Jahrgang 1940, arbeitet als Senior Research Fellow an der Universität von Hertfordshire (Großbritannien) und beschäftigt sich seit Langem mit Fragen der Arbeiterbewegung. 1979 war er an der Gründung der Zeitschrift »Labor Notes« in den USA beteiligt, deren Redaktion er bis 2001 angehörte. Zuletzt publizierte er »Auf neuem Terrain: Wie das Kapital das Schlachtfeld des Klassenkrieges umgestaltet« (auf Englisch, Chicago 2017).

Der hier dokumentierte Text ist ein Auszug aus seinem Beitrag »Schnelle Technologie, langsames Wachstum. Roboter und die Zukunft der Arbeit« in dem kürzlich erschienenen Buch »Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit«. Das Buch wurde von Florian Butollo und Sabine Nuss bei Dietz Berlin herausgegeben und kostet 20 Euro.

Nach 100 Jahren Taylorismus und drei Jahrzehnten Lean Production befinden sich die meisten Jobs in der Industrie auf einem unteren oder mittleren Qualifikationsniveau. Dies bedeutet einerseits, dass diese Arbeitsaufgaben potenziell von Robotern erledigt werden können. Andererseits zeigt sich daran, dass die Einsatzbereiche der Roboter seit den 1960er Jahren nur in geringem Maße ausgeweitet werden konnten. Es fehlt ihnen immer noch an Geschicklichkeit und Mobilität.

Und wie Ford betont, benötigen Industrieroboter »eine aufwendige und kostspielige Programmierung«. Während Computer das menschliche Genom entziffern oder beim uralten chinesischen Go-Spiel gewinnen können, werden Industrieroboter meist für einfache Aufgaben eingesetzt. Das Moore’sche Gesetz gilt hier nicht, es ist, wie wir noch sehen werden, »aus der Bahn geworfen«, um Robert J. Gordon zu zitieren. Roboter haben also auch deshalb eine relativ geringe Rolle beim Abbau von Arbeitsplätzen gespielt, weil ihre Entwicklung nicht so reibungslos verlief, wie es sich viele vorstellen.

Zum Teil verdankt sich dies dem »Moravec’schen Paradox«. Der Robotik-Experte Hans Moravec hatte konstatiert, »dass es vergleichsweise einfach ist, Computer mit der Leistungsfähigkeit von Erwachsenen Mathematikaufgaben lösen, Intelligenztests bewältigen oder Schach spielen zu lassen, dass es hingegen schwer oder unmöglich war, sie in Hinblick auf Wahrnehmung und Bewegung mit den Fertigkeiten eines einjährigen Kindes auszustatten«. Die großen Sprünge bei KI und Computerkapazität lassen sich also nicht ohne Weiteres in körperliche Fähigkeiten von Robotern übersetzen, was ihren Einsatz in der Industrie oder Logistik begrenzt.

In ihrem Glauben an die unvermeidliche Verbesserung alles Digitalen hatten Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee in ihrem Buch von 2014 vorausgesagt, dass bis zu dem vom Pentagon gesponserten Roboterwettbewerb die meisten der Probleme mit der Mobilität gelöst sein würden. Als er dann 2015 stattfand, berichtete der »Economist«: »Sie fielen aufs Gesicht und sie fielen auf den Rücken. Sie stürzten wie Kleinkinder, falteten sich wie billige Anzüge zusammen oder gingen wie eine Tonne Ziegelsteine zu Boden.« Solche körperlichen Einschränkungen machen sie natürlich zu wackeligen Investitionen. Dies erklärt jedoch nur zum Teil, warum sie sich so langsam der Herstellung und dem Transport materieller Dinge anpassen.

Sicherlich gibt es auch Roboter mit einer fortgeschritteneren KI, die Probleme lösen können und lernfähig sind. Einige, wie Baxter von der Firma Rethink, sind mit Sensoren ausgestattet, mit denen sie die Anwesenheit von Menschen erkennen und mit ihnen zusammenarbeiten können. Auch beim Einsatz von Robotik in der Medizin, Biotechnologie und einigen anderen Bereichen sind Fortschritte zu verzeichnen. Hier geht es aber um die Auswirkungen der Automatisierung auf jene Beschäftigten, die den Großteil der Waren und Dienstleistungen des Landes produzieren. Die meisten Industrieroboter, die in der Fertigung und insbesondere in der Automobilproduktion eingesetzt werden, führen grundlegende Funktionen wie Lackieren, Schweißen und einfache Montagetätigkeiten aus. Eine neue Generation von »kollaborativen Robotern« soll die Muskelkraft von Fließbandarbeitern verstärken. Im Jahr 2016 machten diese nur drei Prozent des weltweiten Umsatzes mit Industrierobotern aus, sollen aber auf etwa ein Drittel ansteigen. Zweifellos werden diese die Produktivität steigern, aber sie ersetzen nicht direkt die Beschäftigten.

Der entscheidende Grund für die langsame Verbreitung von Industrierobotern liegt nicht in der Technologie als solcher, sondern in der politischen Ökonomie. In eine Technologie wird nur dann investiert, wenn sie eine Steigerung der Profitabilität verspricht und wenn genügend Profite vorhanden sind, um sie finanzieren zu können - das sind die Probleme der heutigen Zeit.

Hightech in Zeitlupe - der Trend

Die Abschwächung der Investitionen in Hightechausrüstungen lässt sich auch historisch nachweisen. Für den Ökonomen Anwar Shaikh ist »das angemessene Maß für den technischen Wandel das Verhältnis des aktuellen BIP zum aktuellen Kapitalstock«. Natürlich ist dies ein ökonomisches Maß für die Veränderungen und kein Maß für die Effizienz der Technologie. Aber als solches gibt es Aufschluss über das Investitionsverhalten des Kapitals. In den 35 Jahren von 1980 bis 2015 ist dieses Verhältnis zwar gestiegen, aber die Wachstumsraten haben sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt deutlich verlangsamt. In den 1980er Jahren stieg diese Quote um durchschnittlich bescheidene 1,8 Prozent pro Jahr. In den 1990er Jahren halbierte sich dieses Wachstum auf 0,9 Prozent und sank dann für die Jahre 2000 bis 2009 auf 0,3 Prozent. Während der Erholungsphase von 2010 bis 2015 kam das Wachstum mit 0,08 Prozent pro Jahr fast vollständig zum Erliegen.

Bei genauerer Betrachtung der Investitionstätigkeit können wir erkennen, dass sich die Investitionen in neue »informationsverarbeitende Technologien« und »Industrieausrüstungen« nicht so entwickelt haben, wie es die Prognosen der Techno-Futuristen nahelegen würden. Im Verhältnis zu den gesamten Ausrüstungsinvestitionen sind diese Investitionen seit Anfang der 1990er Jahre gesunken, während der Anteil der Investitionen in Transportausrüstungen gestiegen ist - zweifellos aufgrund der starken Expansion des Logistiksektors.

Das Wachstum der Investitionen in die Informationsverarbeitung war in den 23 Jahren von 1992 bis 2015 überraschend gering, es lag im Jahresdurchschnitt bei 2,4 Prozent. Die Investitionen in industrielle Ausrüstungen wuchsen hingegen durchschnittlich um 5,8 Prozent pro Jahr, aber den Beschreibungen des Bureau of Economic Analysis (BEA) zufolge war nur ein kleiner Teil von ihnen digital gesteuert oder mit Robotik verbunden. Die höchsten Zuwächse hatten mit 11 Prozent die Investitionen in Transportausrüstungen zu verzeichnen. Auch Roberts stellt fest, dass das Wachstum der Investitionen speziell in neue Technologien in den letzten Jahren abgenommen hat, und die Zahlen des Economic Policy Institute (EPI) zeigen den gleichen Trend.

Ein weiteres Maß für das Wachstum der Technologie und ihrer Anwendung ist die Zunahme der mit der Computerisierung verbundenen Erwerbstätigkeit, die das Bureau of Labor Statistics (BLS) unter der Kategorie »Computer and mathematical occupations« erfasst. Diese Gruppe ist zwar überdurchschnittlich angewachsen, aber auch dieses Wachstums hat sich deutlich verlangsamt - von 12 Prozent pro Jahr im Zeitraum 1983 bis 2000 auf 3 Prozent in den Jahren 2000 bis 2014. Für die Zukunft geht das BLS von einem weiteren Rückgang der Wachstumsrate auf gut 1 Prozent im Jahrzehnt 2014 bis 2024 aus. Gemessen an ziemlich sämtlichen ökonomischen Kriterien sind also die Prognosen der Techno-Futuristen unhaltbar.

Während sich diese Futuristen auf die beeindruckenden technologischen Errungenschaften stürzen, liegt das Geheimnis dieser schwachen und rückläufigen Entwicklung in der wirtschaftlichen Volatilität und der anhaltenden Profitkrise, von denen die USA und die gesamte Welt seit den 1970er Jahren geplagt werden. Unter diesen Umständen waren große und kontinuierliche Investitionen in neue Technologien einfach nicht möglich.

Verschärft wurde das Problem durch den rasanten Anstieg der Unternehmensverschuldung in diesen Jahren. Der Ökonom Michael Roberts weist darauf hin, dass die Unternehmen zum Bedienen ihrer Schulden entweder ihre Profitabilität steigern müssten oder andernfalls gezwungen wären, auf Investitionen in die Produktionskapazität zu verzichten. Wie es scheint, haben sie Letzteres getan. Weitere Investitionen in der Automobilindustrie, dem wichtigsten Anwender von Robotern, stehen zudem vor dem Problem anhaltender globaler Überkapazitäten. Ein weiteres Indiz dafür, dass in naher Zukunft keine großen Investitionen in der Fertigung zu erwarten sind, ist die relativ geringe Kapazitätsauslastung, die in den 1990er Jahren noch deutlich über 80 Prozent lag und mittlerweile im Durchschnitt um etwa 75 Prozent schwankt. Ohne ein Wirtschaftswunder dürfte der weitere Vormarsch der Roboter in weiten Teilen der Industrie holprig und langsam verlaufen.

Fazit

Die Vergangenheit ist zwar nicht immer ein verlässlicher Leitfaden für die Zukunft, aber für einen deutlichen Anstieg der Investitionen in die Automatisierung müsste es eine längere Periode mit stabilem Wirtschaftswachstum und steigenden Profitraten geben. Die sehr langsam und schleppend verlaufende Erholung der US-Wirtschaft seit 2009 deutet darauf hin, dass es dazu in absehbarer Zeit nicht kommen wird. Höchstwahrscheinlich wäre eine katastrophale Depression in der Größenordnung der 1930er Jahre erforderlich, um durch die massive Zerstörung älterer, weniger effizienter Kapitalanlagen den Weg für eine neue Wachstumsära frei zu machen.

Im Zuge einer solchen Krise würde aber auch die Unzufriedenheit der Arbeiterinnen eskalieren und zumindest die Frage nach einer gesellschaftlichen Alternative wieder im Raum stehen. Sollte diese Alternative ein weiteres Mal vertagt werden und eine Phase schnellen Wachstums zur massenhaften Verdrängung der lebendigen Arbeit aus der Produktion durch Automatisierung, fortgeschrittene Robotertechnik usw. führen, so würde das System mit Sicherheit in eine erneute Krise der Profitabilität geraten.

Für die Techno-Futuristen stellen hingegen die massiven Produktivitätssteigerungen der neuen Technologien die Rettung des Systems dar. Sie garantieren höhere Gewinne, auch wenn sie Arbeitsplätze vernichten. Aber trotz all der Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz oder Robotern kommen diese Technologien nicht von selbst in die Fabriken und Lagerhäuser. Sie müssen durch konkrete Investitionen eingeführt werden, von denen sich die Kapitalisten, die das Geld dafür vorstrecken, eine Steigerung ihrer Gewinne versprechen. Dass dies in naher Zukunft in dem Umfang geschehen wird, wie es für die »Roboterrevolution« erforderlich wäre, scheint die bizarrste Annahme dieses Futurismus zu sein.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.