Blicke in die Zukunft

Der neue ver.di-Chef Werneke will den bevorstehenden gesellschaftlichen Wandel sozial gestalten

  • Jörg Meyer, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

»Feuertaufe bestanden, würde ich sagen«, sagte die Gewerkschafterin Birthe Haak am Mittwoch bei ver.di-Bundeskongress in Leipzig. Angesprochen hat sie damit den neuen Chef der zweitgrößten Gewerkschaft Deutschlands, Frank Werneke. Der hatte nach seiner Wahl am Dienstag gerade sein erstes Grundsatzreferat vor den Delegierten gehalten.

Werneke kündigte eine Reihe von Vorhaben an, die er mit seiner Gewerkschaft in Angriff nehmen will. »Der technische Fortschritt, der Klimawandel und die zunehmende soziale Ungleichheit verlangen von uns zukunftsgerechte Antworten«, sagte er zu Beginn der Rede. Und dafür brauche es »einen massiven Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft«, der sozial gestaltet werden müsse, »ohne dass neue Ungerechtigkeit entsteht«.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Für Werneke gehört dazu, dass sie die Gewerkschaft darüber klar wird, was sie selber tarifpolitisch durchsetzen will und kann und wo die Politik gefordert ist. In der Tarifpolitik befinde sich die Gesellschaft - und die Gewerkschaft - an einem »absolut kritischen Punkt«. Für wesentliche Teile der Privatwirtschaft drohe das Modell der Tarifautonomie zu scheitern, wenn der Trend zur Tarifflucht von Unternehmen steigt. Er wolle nicht auf die politischen Entscheidungen von Regierungen vertrauen, sondern Tarifverträge fordern und durchsetzen. Das aber setzt eine starke, auseinandersetzungsfähige Gewerkschaft voraus. »Mit Euch zusammen will ich das in den kommenden vier Jahren zum gemeinsamen Schwerpunkt machen«, sagte er in Richtung der Delegierten.

Neben der Tarifpolitik spulte Werneke in seiner Rede anfangs nervös erscheinend, aber immer souveräner den Kanon gewerkschafts- und gesellschaftspolitischer Forderungen ab. Auskömmliche gesetzliche Rente, eine bessere öffentliche Daseinsvorsorge, Ausfinanzierung des Pflege- und Gesundheitssystems, bezahlbare Mieten, Kampf gegen Rechts sowie Entschärfung des Hartz-IV-Regimes, denn: »Arbeitslosigkeit ist zuallererst eine Krisenerscheinung unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems - keine individuelle Schuld.«

Er stellte sich mit dem Bezug auf den Umwelt- und Klimaschutz in Kontinuität zu seinem Vorgänger, und das war das neue Thema in der Rede. Bsirske hatte sich in den letzten Monaten oft zum Thema geäußert und im August die knapp zwei Millionen ver.di-Mitglieder zur Teilnahme am Klimastreik und den »Fridays for Future«-Demos aufgerufen. Ein programmatischer Satz fiel relativ früh: »Wie es um den Zusammenhalt der Gesellschaft bestellt ist, hängt ganz entscheidend von einer gerechten Verteilung der Einkommen ab.«

Nach Ende des knapp eineinhalbstündigen Referats setzte Werneke noch ein starkes Zeichen. Während die Delegierten ihm applaudierten, holte er das neue Führungsteam, bestehend aus seinen beiden Stellvertreterinnen und der neuen Vorsitzenden des Gewerkschaftsrates zu sich auf die Bühne.

Anschließend verabschiedete das neue Führungsduo das alte. Frank Werneke und Martina Rößmann-Wolf, die neue Vorsitzende des Gewerkschaftsrates und damit ehrenamtliche ver.di-Vorsitzende, hoben die Verdienste von Bsirske und der langjährigen Vorsitzenden des Gewerkschaftsrats, Monika Brandl, hervor.

Bsirske hörte die warmen Worte von Werneke und schenkte seinem Nachfolger zum Beginn der Amtszeit einen Kugelschreiber - auf dass der Beschenkte viele wegweisende Papiere damit unterschreiben möge. Einen Kugelschreiber? Ja, aber nicht irgendeinen: Mit dem Stift hat Bsirske vor 18 Jahren die Fusionspapiere seiner Gewerkschaft unterschrieben.

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